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Fesselnde Gegenwart

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STRATEGIE UND TAKTIK DER SOWJETISCHEN AUSSENPOLITIK. Von J. M. M a c-klntosh. W.-Kohlhammer-Verlag, Stuttgart. 380 Selten. Preis 12.80 DM.

Der Kommunismus hat viele Gesichter. Eines davon mußte er in letzter Zeit unwiederbringlich verlieren. Es ist das der politischen und Ideologischen Einheit.

Verfolgt man die Geschichte, so läßt sich ziemlich genau der Zeitpunkt angeben, von dem ab- die Fassade abzubröckeln begann. Die Gründe dazu liegen einerseits im historischen Ablauf, anderseits im Kommunismus selbst. Solange es nur einen sozialistischen Staat, nämlich die UdSSR, und damit nur eine nationale Verwirklichung des Kommunismus gab, konnte es kaum einen Unterschied zwischen den weltweiten Interessen Rußlands und denen des Marxismus-Leninismus geben. Als aber nach dem zweiten Weltkrieg außer der Sowjetunion auch andere Länder den Kommunismus teils übernahmen, teils übernehmen mußten, trat diese Differenz nur allzubald hervor. Zuerst war es Jugoslawien, das eigene Wege ging, heute folgt China in dem Maß, in dem es vor allem ökonomisch dazu fähig ist. Mit der Ausbreitung der Bewegung auf mehrere Staaten scheinen die Ziele des Marxismus-Leninismus nicht mehr übernational einheitlich, sondern nur mehr national abgewandelt erreichbar. Das führt zu tieferen Wurzeln der Entwicklung, die in den Kommunismus selbst hineinreichen.

Viel zu sehr von der weltweiten Propaganda und den Einheitsfanfaren des Ostens betäubt, übersah man allzu leicht eine nicht unwesentliche und aufschlußreiche Frage. Es ist nämlich sehr zweifelhaft, ob der Kommunismus je imstande ist, einen weltweiten Umsturz herbeizuführen. Dazu müßten sowohl Welt als auch rote Bewegung radikal anders aussehen. So fraglich also die global-revolutionäre Wirkung ist, so sehr erwies sich die marxistisch-leninistische Ideologie als nationaler Katalysator wirksam, der, in manchen Ländern zumindest, allein imstande war, eine Entwicklung einzuleiten, oder zu beschleunigen, die deren Teilnahme an einer Welt des 20. und 21. Jahrhunderts möglich und positiv macht. Das gilt für Rußland und China, während die europäischen Satelliten wohl allein besser zurande gekommen wären, aber das Unglück hatten, unter die Räder der großmächtigen russischen Dampfwalze zu kommen. Fälle wie Jugoslawien und Kuba deuten allerdings darauf hin, daß nicht allein hoffnungslose Rückschrittlichkeit Voraussetzung für das Wirksamwerden des Katalysators ist. Es wäre zuviel gesagt, wollte man diese zwei Länder reif für den Kommunismus erklären, jedenfalls konnten sie seinem militärisch-diktatorischen Auftreten nicht widerstehen. Das führt zu einem weiteren Grund, warum es um die Einheit des Marxismus-Leninismus nur schlecht bestellt sein kann, sobald die Vorherrschaft eines sozialistischen Landes aufgehört hat, eindeutig zu sein. Wie bekannt, bedarf der Kommunismus zu seiner

Verwirklichung einer Diktatur. Nun ist es aber ein auszeichnendes Merkmal aller Diktatoren, nicht anders als national-hegemonistisch und national-expansionistisch denken wie handeln zu können. Dieses Faktum, zusammen mit den übrigen angeführten, läßt es weniger als eine diktatorische Laune erscheinen, wenn heute Rußland und China miteinander zerfallen sind. Die Ursprünge des Prozesses, der sich vor unseren Augen abspielt, reichen weit in Zeiten zurück, die noch nicht die Segnungen von Arbeiterparadiesen, wohl aber politische und nationale Gegensätze kannten. In der Folge, dafür spricht vieles, werden sich die kommunistischen Diktaturen, meist unter der Vorherrschaft des einen oder anderen Giganten, weiter gliedern, wobei der Sog anderer politischer Entwicklungen, etwa eines geeinten Europas, leicht auch hinter dem Eisernen Vorhang spürbar werden kann.

Wie sollte aber auch eine Ideologie, die kaum imstande ist, auf nationaler Basis einiges von dem zu leisten, was sie verspricht, eine tragfähige Grundlage für die Einheit der Welt abgeben? Sie taugt nicht einmal als Grundlage für die Einheit des eigenen Lagers! Je mehr in Hinkunft mit Rußland und China zu rechnen sein wird, desto weniger wird mit dem Weltkommunismus zu rechnen sein.

Aber: Kommunismus, ob Partei oder Parteiung, ist eine Sache mit Programm. Elende und Mittellose, in Freiheit Geknechtete und Ausgebeutete gibt's genug, für sie wird das Programm immerhin eine Hoffnung sein und bleiben. Deshalb ist die von Marx revolutionär ausgeprägte, durch Lenin und Stalin vervollständigte und verteufelte Theorie weiterhin ein gefährliches Machtmittel, sei es auch in den Händen streitender Brüder. Bei dem traditionell großen Ingenium der russischen Außenpolitik wird auf alle Fälle mit dem Osten zu rechnen sein, auch wenn er gespalten ist. Unter diesen Voraussetzungen ist ein Buch wie das von Mackintosh vorgelegte, das sich mit der sowjetischen Außenpolitik in den Jahren 1944 bis 1962 auseinandersetzt, gewiß von hohem Interesse. Die Einsichten, die der Autor bei der Analyse dieses oft dunklen und schwer erfaßbaren Gebietes gewinnt, sollten zu denken geben. So verdammt hoch auch die Ziele der sowjetischen Außenpolitik gesteckt sein mögen (wobei die Höhe des Ziels oft zur Verschleierung der bisweilen banalen Realität beiträgt, so unwahrscheinlich auch ihr letztlicher Erfolg sein mag, so sehr auch bei der russischen Politik der Aspekt der Großmacht Vorrang hat vor dem Aspekt des sozialistischen Landes, eines steht fest: Entschlossenheit, Durchtriebenheit, skrupellose Anwendung aller Mittel, Flexibilität, zusammengefaßt in weltumspannenden Konzepten — so etwas bleibt nicht ohne Konsequenzen und Resultate. In den 15 Jahren,

die dem zweiten Weltkrieg folgten, gelang es Rußland auf Grund einer strategisch und taktisch durchdachten Politik fast durchwegs, die Initiative zu behalten und das Tempo sowie die Temperatur kalter wie heißer Kriege zu diktieren. Verglichen mit den ungeheuren, oft diabolisch folgerichtigen Anstrengungen erscheinen die Ergebnisse beinahe mager, so, als stünde zuviel gegen das Gelingen.

Bücher wie das vorliegende, die es möglich machen, ihnen bei ihrer Tätigkeit auf die Finger zu schauen,

kommen um so wülkommener, je seltener sie wirklich gelungen sind. Was einzig dieses Buch liefert, ist das Herausarbeiten der wechselnden Konzepte, die den verschiedenen Abschnitten der sowjetischen Außenpolitik, beginnend mit Stalins Nachkriegspolitik, zugrunde lagen. Flüssig in der besten angelsächsischen Tradition geschrieben, frappiert besonders die Schilderung der Umorientierung unter den Nachfolgern Stalins, wobei der Unterschied und das Gleichbleibende im außenpolitischen Denken Stalins und Chruschtschows wohl noch nie so sachgerecht und glaubwürdig dargestellt wurden.

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