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Fischen im selben Teich

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Jörg Haider hat schon viele Kehrtwendungen vollzogen. Warum nicht auch in der Koalitionsfrage - wenn erst einmal die Ära Vranitzky vorbei ist?

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Jörg Haider hat schon viele Kehrtwendungen vollzogen. Warum nicht auch in der Koalitionsfrage - wenn erst einmal die Ära Vranitzky vorbei ist?

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Die Ergebnisse des Wahlsonntags vom 13. Oktober, noch mehr aber die nachher angestellten Analysen der Wählerströme, lassen erkennen, daß der Kampf vor allem zwischen SPO und FPÖ stattgefunden hat und daß diese beiden Parteien auch weiterhin im Kampf vor allem um die Gunst der traditionellen sozial istischen Stammwähler, der Arbeiter im engeren Sinn des Wortes, liegen werden.

Die Tatsache, daß die SPÖ dramatisch abgenommen hat, und zwar sowohl bei den Kuropawahlen als auch bei den Wiener Gemeinderatswahlen, ist ein Symptom dafür, daß sich vormals sozialistische Wähler in einer Partei voqjTechnokraten und Apparatschiks, in der Privilegien und Pfründenwirtschaft lustig weitergedeihen, nicht mehr gut aufgehoben fühlen. Die SPÖ hat sich zu sehr auf ihren historischen Lorbeeren ausgeruht und muß nun mit Schrecken erkennen, daß sich die Lorbeerzweige in Disteln verwandelt haben. Der Unmut über die große Koalition und das von ihr ausgehandelte Sparpaket zu Lasten der kleinen Leute ist vor allem der SPÖ schlecht bekommen und hat sich für die in Opposition zur Regierung stehenden und EU-skeptischen Freiheitlichen gut ausgewirkt.

Doch all diese Faktoren vermögen das ganze Ausmaß des sozialistischen Niederganges und des komplementären Aufholprozesses der FPÖ nicht zu erklären. Hinzu kommen noch Reaktionen auf die in der Wahlwerbung hochaktiven Persönlichkeiten, wobei im Falle von SPÖ und FPÖ nicht die Spitzenkandidaten motivierend gewirkt haben, sondern gewissermaßen ein Duell zwischen Franz Vranitzky und Jörg Haider stattgefunden hat. Und obwohl bisher Franz Vranitzky in allen Umfragen weit vor Haider lag und letzterem in diesen staatsmännische Qualitäten abgesprochen und Vranitzky zugesprochen wurden, hat sich diesmal Haider bei der Mehrheit der männlichen Wähler durchgesetzt und die Nase vorne behalten. Dies muß kein Präjudiz, für die Zukunft sein, signalisiert aber doch einen Trend, den die SPÖ nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.

Aus Gesprächen mit vielen Menschen, vor allem jüngeren, ist herauszuhören, was vielen an Haider gefällt und an Vranitzky mißfällt. Während Vranitzky den Eindruck der Verbrauchtheit erweckt, die nur mühsam mit Arroganz kaschiert wird, vermittelt Haider den einer ungebrochenen Vitalität und Dynamik. Haider ist eine stark polarisierende, charismatische Persönlichkeit, dergegenüber Persönlichkeiten wie Franz Vranitzky oder vordem Erhard Busek sich als kalt lassend ausnehmen. Nun ist Dynamik an sich noch kein Wert und keine Garantie für eine gute Politik: aber sie ist in einer Zeit der Stagnation und des Auf-der Stelle-Tretens der großen Koalition ein nicht zu . unterschätzendes Plus.

Leider sind die nach der Wahl zu registrierenden Reaktionen der handelnden Personen nicht dazu angetan, das Image zugunsten Franz Vranitzkys zu ändern. Denn der Wille, sich nicht dem Votum der Wähler zu beugen und -koste es, was es wolle - so lange als möglich an der Spitze zu bleiben, wird von den Menschen nicht als Pflichterfüllung und Ausharren in schwerer Stunde, sondern als Sessel -kleberei empfunden. Wenn Vranitzky und die Seinen meinen, es habe sich doch nur um europäische und AViener Lokalwahlen gehandelt, die die Position des Bundeskanzlers und Parteiobmanns nicht berühren, so sei an das Verhalten eines Mannes erinnert, dem Vranitzky seinen Aufstieg verdankt und der historische Größe und Schuldeinsicht bewiesen hat: Fred Sinowatz trat nach der Wahl Kurt Waldheims zurück, obwohl es sich bei der Wahl des Bundesprä-, sidenten um die eines ganz anderen Staatsorgans handelte.

Trotzdem hatte Sinowatz damals mit Recht das Gefühl, daß auch er auf dem Prüfstand war und daß die Niederlage Kurt Steyrers auch seine Niederlage war, da er sich im Kampf gegen Waldheim zu weit vorgewagt hatte. Mit wieviel mehr Recht müßte Vranitzky die Niederlage seiner Partei auch als seine höchstpersönliche empfinden und mit der entsprechenden Konsequenz quittieren!

Und auch das Verhalten der von Vranitzky repräsentierten Partei erscheint kaum geeignet, das negative Bild, das die SPO schon vor den Wahlen verbreitet hat, zu korrigieren. Auch in diesem Zusammenhang ist es naheliegend, eine größere Vergangenheit zu beschwören: Auch nach der Wahlniederlage 1966 gab es einen einsichtslosen Parteivorsitzenden, der so weitertun wollte, als sei nichts Besonderes geschehen. Damals aber gab es einen Bruno Kreisky, der als Herausforderer zur Verfügung stand und genügend Persönlichkeiten und Gruppen in der Partei hatte, die ihn unterstützten und die Absetzung Pit-termanns herbeiführten. Heute fehlen sowohl der Herausforderer als auch die Gefolgsleute, die ihn auf den Schild heben. Müssen daraus nicht viele den Schluß ziehen, daß es sich im Grunde niemand der in Frage Kommenden mehr zutraut, eine Erneuerung einzuleiten und die Partei aus ihrem Tief herauszuführen, sondern daß es alle für ein Himmelfahrtskommando halten, diese Aufgabe zu übernehmen?

Demgegenüber strahlt Jörg Haider Mut und Zuversicht aus und wirkt mit dieser Uberzeugung suggestiv und ansteckend. Haider ist es auch zuzutrauen, daß er, der vom Oppositionsführer zum Staatsmann mutieren will, auch in der Koalitionsfrage eine Kehrtwendung vollzieht und nicht mehr auf die ÖVP, die sich mit einer bürgerlichen Koalition allzulange Zeit gelassen hat, sondern auf eine SPÖ nach Vranitzky setzt. Haider, der auch schon mit antisemitischen und deutschnationalen Traditionen und mit den antiklerikalen Ressentiments des Jägers, von dem er herkommt, gebrochen hat, hat auch, wenn es sein muß, die Kraft, mit dem bürgerlichen Antimarxismus und Antisozialismus von gestern zu brechen und gemeinsame Sache mit einer neuen SPÖ zu machen.

Wer kann ausschließen, daß die SPÖ, um an der Macht zu bleiben, und Haider, um an die Macht zu kommen, übermorgen eine solche Koalition eingehen - dann nämlich, wenn sich die große endgültig erschöpft und eine Form der kleinen Koalition spruchreif wird? SPÖ und FPÖ könnten sich dann auf ein ähnliches Wählerpotential stützen und die Sorge um dieses gemeinsam tragen. Jedenfalls muß die ÖVP achtgeben, daß ihr nicht ein zweites Mal widerfährt, was seinerzeit Klaus von Kreisky angetan wurde: daß ihr die FPÖ als Koalitionspartner von der SP weggeschnappt wird.

Doch noch ist es nicht so weit und es muß auch nicht so weit kommen. Schließlich sollte man nicht vergessen, daß es auch noch die ÖVP gibt. Sie verfügt in der Person von Ursula Stenzel über eine Persönlichkeit, die, wenn sie noch an Härte und Konturen gewinnt, dem Format (nicht dem politischen Inhalt nach) eine österreichische Margaret Thatcher, in welcher Funktion immer, werden und auch mit Jörg Haider fertigwerden könnte, so wie sie Franz Vranitzky zusammen mit Jörg Haider in den Schatten gestellt hat.

Noch hat die große Koalition eine kleine Chance und eine kurze Zeit, um ihre Überlebensfähigkeit zu beweisen. Nimmt sie diese Chance nicht wahr, indem sie überzeugende Taten setzt oder mit einer Änderung des Wahlrechtes (in Richtung Mehrheitswahlrecht) Alleinregierungen einer Partei den Weg ebnet, wird kein Weg an einer kleinen Koalition, damit aber auch an Jörg Haider, vorbeiführen.

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