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Fliegende Verkehrsgerichte ?

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Nach Statistiken des Pools der Europäischen Haftpflichtversicherungsanstalten wurden 1955 in Mitteleuropa allein 25.000 Menschen bei Verkehrsunfällen, an denen Kraftfahrzeuge beteiligt waren, getötet. In den USA sollen von zehn Kindern, die heute zur Welt kommen, vier durch Verkehrsunfälle getötet oder verletzt werden. (Die USA haben 60 Millionen Kraftfahrzeuge in Betrieb, Europa und die übrige Welt 40 Millionen.) Die letzten acht Kriege, die die USA führten, forderten 1,13 Millionen Tote, die letzten 5 5 Jahre Kraftwagen aber 1,15 Millionen Menschenleben nur in den USA.

In den USA, die ein von Kontinentaleuropa völlig verschiedenes Strafverfahrensrecht haben, wurde durch die Einführung sogenannter Schnellgerichte eine gewisse Besserung erzielt, das heißt, die Verkehrsunfälle nahmen nicht im selben Maße zu wie die zugelassenen Kraftfahrzeuge. Freilich wird diese Besserung auch auf andere Faktoren, wie zum Beispiel Ausbau der kreuzungslosen Highways, zurückzuführen sein. Die Schnellgerichte befassen sich mit relativ geringfügigen Vergehen gegen die sehr strengen Verkehrsvorschriften und verhängen empfindliche Strafen, darunter auch Führerscheinentzug. Bei schweren Fahrlässigkeitsdelikten werden Freiheitsstrafen verhängt, die in Europa selten in solchem Ausmaß ausgesprochen werden. Man will nun in Europa vielfach auch dazu übergehen, fliegende Verkehrsgerichte nach Art der amerikanischen Schnellgerichte einzurichten. In Frankreich wurden probeweise solche Gerichte eingeführt, wobei an gewissen Ausfallsstraßen zwei Personen in Zivilkleidung hinter einem Straßenkulminationspunkt lauerten und alle Fahrer, die den weißen Mittelstrich überfuhren, sofort bestraften. In Oesterreich fällt so etwas unter die Polizeistrafsachen und wird gleichfalls mit Organmandat sogleich bestraft, kann aber auch zu einem regelrechten Verwaltungsstrafverfahren führen. In Deutschland ist man dazu übergegangen, bei gerichtlich strafbaren Verkehrsdelikten (mit Verletzungen usw.) die Amtsund Landgerichte zu sofortiger Gerichtsverhandlung zu bemühen. Das hat in einigen Fällen gut gewirkt, ist aber Ausnahme geblieben. In Oesterreich wurde in den letzten Jahren durch fortschrittlich eingestellte und mit Arbeit nicht zu sehr überlastete Strafrichter der Bezirksgerichte öfter sofort nach einem Verkehrsunfall verhandelt und Urteil gesprochen, besonders gegen Ausländer, die ja wieder weiterfahren wollen und nicht gerne wochen- und monatelang auf die Freigabe ihres zunächst meist beschlagnahmten Wagens warten. Das setzt aber ein gutes Zusammenspiel zwischen Staatsanwaltschaft (bzw. staatsanwaltschaftlichem Funktionär) und Gericht voraus, das nur in seltenen Fällen-gegeben ist. Außerdem muß natürlich zuerst einmal die erhebende Polizei oder Gendarmerie rasch handeln und die Anzeige an das Gericht rasch erstatten. Dies wird zwar eher der Fall sein, weil diese Exekutivorgane rasches Handeln gewöhnt sind, sehr im Unterschied eben zur Staatsanwaltschaft und zu den Geflehten.

Die „Schnellgerichtsbarkeit’ ist im österreichischen Strafprozeßrecht nicht vorgesehen. Nur im Bewirtschaftungsstrafrecht hat es ein Schnellgerichtsverfahren gegeben. Das schließt nicht aus, daß schnell Recht gesprochen werden kann, wenn alle beteiligten Faktoren (Polizei, Staatsanwalt, Gericht, Verteidiger) Zusammenwirken. Im Verkehrsrecht kann das fliegende Verkehrsgericht sicher sehr oft günstige Auswirkungen haben. Daß man, wie heute oft der Fall, erst nach Monaten oder Jahren das Urteil fällt, führt zu erheblichen Schwierigkeiten. Der Fall läßt sich hinterher nicht mehr so rekonstruieren wie er sich gestaltet hat, die lange Zeitdauer zwischen Tat und Urteil führt zu sehr milden Urteilen, denn die Zeit heilt alle Wunden, einschließlich der Folgen für die Verletzten und ihre Hinterbliebenen. Gerade bei Verkehrsdelikten kann man aber nicht für milde Urteile sein, sondern muß strenge Strafen verlangen, soll das Präventivprinzip zum Tragen kommen, also die Vorbeugung gegen die Wiederholung der Tat. Sicherlich gibt es viele Einwände gegen die Prävention. Vor allem spricht die Statistik dagegen, denn zum Beispiel hat die Todesstrafe das Begehen von Kapitalverbrechen niemals herabgesetzt. Immerhin wird doch mancher Autofahrer vorsichtiger werden, wenn er weiß, daß er mit harten Strafen zu rechnen hat, ebenso übrigens auch der Fußgänger, der Unfälle verschuldet, denn aüch die Fußgänger haben ihr gerütteltes Maß am Mitverschulden bei Verkehrsdelikten.

Ob man ein Schnellgerichtsverfahren für Verkehrsdelikte anstreben soll, ist in den letzten Jahren oft erörtert worden, und die Frage wird immer aktueller. Es läßt sich vieles für eine solche Einführung Vorbringen. Vor allem können Beschuldigte und Zeugen sich nicht so leicht verabreden oder eine Verantwortung beziehungsweise Aussage zurechtlegen, die die Wahrheitsfindung erschwert. Frisch nach dem Unfall wird jeder Beteiligte viel eher sagen, wie es gewesen ist, als Wochen und Monate später. Auch jene Zeugen, die die Wahrheit sagen wollen — leider die Minderheit — werden sich längere Zeit später an viele wichtige Einzelheiten nicht mehr erinnern, die unmittelbar nach dem Unfall noch in sicherer Erinnerung sind. Schäden lassen sich leichter gutmachen, wenn sie sogleich festgestellt werden, Fahrzeuge müssen nicht lange Zeit durch Beschlagnahme blockiert sein, das Vertrauen in die Justiz nimmt sicher zu, wenn rasch geurteilt wird.

Die Nachteile eines solchen Verkehrsgerichtes sind aber auch offenkundig. In vielen Fällen läßt sich eben nicht sofort feststellen, was zum Unfall geführt hat. Es bedarf langwieriger Untersuchungen einschließlich der Blutalkoholuntersuchung, für die mindestens Tage benötigt werden. Sachverständige stehen nicht gleich zur Verfügung. Der Abtransport von Verletzten ist wichtiger als die Feststellung von Spuren. Manche Zeugen, besonders Schwerverletzte, kann man nicht sogleich vernehmen, sondern muß warten, bis der Arzt sie für vernehmungsfähig erklärt. Auch gegen Schnellgerichtsurteile muß es Rechtsmittel geben, da in der abendländischen Rechtsordnung trotz mancher Kritik hieran inappellable Urteile als rechtsstaatswidrig gelten. Dann aber kann durch das Rechtsmittel der Vorteil des Schnellverfahrens aufgehoben werden. Des weiteren wird man es Richtern und anderen Funktionären nicht zumuten können, bei jedem Wetter für ein Schnellgericht auf der Landstraße zur Verfügung zu stehen, zumindest müßten mehr Richter und Beamte eingestellt werden als heute.

Das Problem ist also nicht einfach zu lösen. Am ehesten noch durch Schnellgerichte des ordentlichen Verfahrens, wie dies beim Strafbezirksgericht Wien schon ansatzweise geschieht, wo bestimmte Gerichtsabteilungen nur mit Uebertretungen wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit befaßt sind. Diese gewinnen dann so große Routine, daß sie auch die Verhandlungen rasch ausschreiben, sofern auch die staatsanwaltschaftlichen Funktionäre entsprechend spezialisiert oder angewiesen sind. Da der Autotouring-Club nun schon in ganz Oesterreich die Richter kostenlos die Fahrschule machen läßt (was zwar zuwenig ist, aber schließlich kann er nicht auch noch kostenlose Fahrzeuge zur Verfügung stellen), sind auch viele Verkehrsstrafrichter so versiert, daß sie manche einfachere fahrtechnische Frage ohne jeden Sachverständigen einwandfrei lösen können, wie überhaupt das Bestellen von Sachverständigen sich allmählich zu einem Unwesen herauszubilden beginnt, wobei leider nur zu häufig der eine Sachverständige aus reinem Berufsehrgeiz heraus in derselben Sache zu ganz anderen Ergebnissen kommt als der andere. Der große Mangel an kraftfahrtechnischen Sachverständigen (die übrigens nicht immer auch solche aus dem Verkehrsfache, also hinsichtlich des fahrtechnischen Verhaltens des Lenkers sind) wirkt sich ohnehin hemmend aus.

Man darf sich also von Verkehrsgerichten, Wie sie jetzt auch in Oesterreich ventiliert wer-’ den, wohl in gewissen Fällen einen Rückgang der Unfälle, aber kein Allheilmittel gegen sie erhoffen.

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