"Flüchtlingslager Europas"

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Bilder vom Leid und Elend der Nachkriegszeit und der alliierten Besatzung in Österreich in einer Ausstellung der Nationalbibliothek.

Gendarmen, die im Garten des Belvedere auf die Ankunft der Politiker warten; Neugierige, die sich hinter den schmiedeeisernen Toren am Eingang zum Schloss drängen; vom Regen durchnässte Menschen, die am Ring Walzer tanzen: Einen ungewohnten Blick auf das im heurigen "Gedankenjahr" zentrale Ereignis, die Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages, wirft die Österreichische Nationalbibliothek in ihrer Fotoschau "Die junge Republik". Nicht die Außenminister am Balkon des Belvedere, sondern die einfachen Leute, ihre Freude und ihre Aufregung, stehen hier im Mittelpunkt. Die "Alltagsbilder aus Österreich", so der Untertitel der Ausstellung, erschöpfen sich freilich nicht in Fotografien aus den Maitagen des Jahres 1955, sondern bieten einen erhellenden Einblick in den Alltag der Nachkriegszeit, von den Zerstörungen des Krieges bis zu den Anfängen der Wohlstandsgesellschaft.

Menschen, die in Bombenschutt nach Heizmaterial suchen, heimgekehrte Soldaten, die verloren vor Schutthalden stehen, sind die Motive beeindruckender Bilder von Entbehrung und Leid, wie sie unmittelbar nach Kriegsende im Land herrschten. Davon waren allerdings nicht nur Österreicher betroffen, sondern auch Zigtausende Flüchtlinge oder Heimatlose, die in Österreich festsaßen oder in langen Zügen das Land durchquerten. Als "Flüchtlingslager Europas" charakterisiert Hans Petschar das Österreich der Jahre 1945/46 in seinem empfehlenswerten Begleitband zur Ausstellung (Ueberreuter Verlag).

Österreichs Fotografen...

Auch der Besatzungsalltag ist mit ungewöhnlichen Bildern festgehalten: Soldatinnen aller vier Besatzungsmächte - für Österreicher damals wohl ein Kuriosum; ein britischer Soldat mit Kinderwagen und Kind, Russen im Wiener Prater, amerikanische Soldaten mit schönen Fräuleins im Arm. Bilder von wohlgenährten Kindern auf dem Rummelplatz, Aufnahmen des ersten Selbstbedienungsladens weisen auf das beginnende Wirtschaftswunder hin. Sehr schön zu sehen ist die gesellschaftliche Veränderung bei einer Fotoserie Erich Lessings von 1952, die einen Blick in die anlässlich eines Reifenwechsels entstandene Zuschauermenge wirft: Die älteren Gaffer scheinen optisch noch den Zwanziger Jahren zu entstammen, während die Jungen schon die Lässigkeit und die typischen Frisuren der Halbstarken zur Schau tragen.

Ein Teil der Bilder stammt von den österreichischen Starfotografen Harry Weber, Erich Lessing, Otto Croy und Lothar Rübelt, der andere Teil von den namenlosen Fotografen der Bildabteilung der us-Informationsdienste in Österreich (usis), einer professionellen Agentur mit einem umfangreichen Archiv, aus dem nationale wie internationale Medien schöpfen konnten. Diese Fotos, die 1977 von der amerikanischen Botschaft der Nationalbibliothek übergeben wurden, sind besonders interessant, spiegelt sich doch in ihnen nicht nur heimische Geschichte, sondern auch die damalige Weltpolitik. Rund 40 österreichische Fotografen arbeiteten für die von amerikanischen Presseoffizieren geführte usis, deren Aufgabe es war, den Österreichern die Werte der Demokratie und Toleranz zu vermitteln, aber auch gezielt amerikanische Interessen zu transportieren.

... und US-Presseoffiziere

Dem auf der Bühne der Weltpolitik umstrittenen Marshall-Plan etwa ging eine Fotoserie "Hunger und Elend in Österreich" voraus, in die sogar Bilder aus der Zeit unmittelbar nach dem Krieg geschummelt wurden. Mit dem beginnenden Kalten Krieg schoss sich die usis auf die Sowjets ein. Unter der Rubrik "Russians and Commies" wurden Bilder "kommunistischer Umtriebe" oder Schnappschüsse bedrohlich wirkender russischer Soldaten geführt. Der kommunistische "Völkerkongress für den Frieden" im Wiener Konzerthaus wurde1952 mit gezielten Gegenbildern desavouiert, so dass die Großveranstaltung in der westlichen Presse weitestgehend ignoriert wurde. Auch die 1953 einsetzende Entspannung schlug sich sofort in den usis-Bildern nieder: Anlässlich einer rituellen Übergabe des Stadtkommandos von den Russen an die Amerikaner tauchten plötzlich Bilder von amikal miteinander plaudernden Soldaten der beiden Großmächte auf. Und auch Fotos vom Hochwasser 1954 zeigten nicht nur us-, sondern auch sowjetische Soldaten beim Hilfseinsatz.

Die junge Republik.

Alltagsbilder aus Österreich 1945-1955

Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, Josefsplatz 1, 1010 Wien

www.onb.ac.at

Bis 31. 10. Di -So 10-18, Do 10-21 h

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