6783461-1970_02_05.jpg
Digital In Arbeit

Flugzeug-Schicksal...

Werbung
Werbung
Werbung

Für die „Concorde“ finden sich keine Käufer. Das ist eine der seltsamsten Sensationen dieser Tage. Diese erste, von Frankreich und England mit Milliardenaufwand gemeinsam entwickelte Uberschallverkehrs-maschine stößt bei keiner einzigen Luftverkehrsgesellschaft auf Interesse. Sie ist mit ihrem Fassungsraum von 132 Personen mit Rücksicht auf ihre enormen Herstellungskosten zu klein und mit ihrem Zuschnitt für große Entfernungen zu wenig elastisch im Einsatz, um rentabel zu sein. Außerdem beschränkt sich der Wunsch des fliegenden Publikums, in einem Tag rund um die Erde fliegen zu können, offenbar nur auf Snobs, die kein Dauergeschäft versprechen. Anders ist es mit den fliegenden Transport-„Elefanten“. Für die Jumbo-Jet Boeing 747 liegen bereits 183 feste Bestellungen vor, obwohl die Maschine erst in den siebziger Jahren herauskommen wird. Sie bietet allerdings 490 Personen Raum, und das macht sie für die Fluggesellschaften anziehender, vor allem rentabler, auch wenn sie oder weil sie langsamer fliegt. Ähnliches gilt für die ebenfalls erst kommende DC-10-30, die 345 Personen befördern kann und für die schoc 88 Bestel-

lungen vorliegen. Den Trend hat schon der Erfolg der DC-8-63 ausgewiesen. Von dieser Jumbo-Jet mit einem Fassungsvermögen von 251 Personen sind bereits 488 Stück ausgeliefert und 56 fest bestellt. Mit den Überschallmaschinen ist man dagegen nirgends glücklich. Die Sowjets erproben zur Zeit ihre Tupolew 144, kommen aber auch einstweilen über Versuchsflüge nicht hinaus. Die Amerikaner bringen ihre Supersonic Transport (SST) nicht weg vom Reißbrett. Es müssen da andere Hemmungen vorliegen als bloß wirtschaftliche Rentabilitätsüberlegungen.

Solche Hemmungen liegen tatsächlich vor. Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat sie mit kommerzieller Enttäuschung beschrieben: „Unverkennbar ist ein wachsendes Unbehagen angesichts der Vertechnisierung der Umwelt, eine Angst vor dem Fortschritt, der außer Kontrolle zu geraten droht.“ Das ist es also. Das ist gar nicht leicht zu nehmen. Die für Publikumsstimmungen außerordentlich empfindlichen Fluggesellschaften fürchten jedenfalls, sie könnten in den Strudel einer Technik-feindlichen Welle gerissen werden. Dabei spielt nicht nur das Unbehagen über

eine zu klein gewordene Welt eine Rolle, sondern auch eine sehr reale Befürchtung. Jede Uberschallmaschine zieht nämlich hinter sich die Schleppe eines explosionsartigen Knalls her: Auf dem Flug von London nach Rom würden 100 Snobs und Geschäftemacher in der „Concorde“ 100 Millionen Menschen aus dem Schlaf wecken. Ein solches Risiko nimmt keine Fluggesellschaft auf sich. In der Schweiz, wo man die Interessen einer höchstqualifizierten Industriearbeiterschaft und des Fremdenverkehrs zu wahren hat, plant man deshalb kurzerhand ein Gesetz, das das Uberfliegen des Landes mit Uberschallmaschinen verbieten soll. Man erkennt Grenzen des Fortschritts. Man erkennt Grenzen der Technik.

Dabei ist der Fall der „Concorde“ gar kein Einzelfall, im Gegenteil, einmal hellhörig geworden, bemerkt man, daß er schon fast typisch ist, schockierend typisch. Gerade das macht die Sache so seltsam. Man scheint so manche Fälle „Concorde“, die es offenbar schon gibt, in dieser fortschrittswütigen Welt einander nur hinter der hohlen Hand der Fachwelt zuzuraunen. So hat in Japan, wo man die

modernen Riesentanker von 100.000 und jetzt schon 300.000 Tonnen Fassungsraum zuerst konstruiert hat, das Verkehrsministerium heuer vor dem Bau noch größerer Tanker gewarnt und das Verbot der Einfahrt solcher Riesen in die Bucht von Tokio angekündigt, weil „dort ein dauerndes Gedränge herrscht“. Die Aussicht auf die Bestellung von 500.000-Tonnen-Tankern lockt nicht mehr. Das führende Erdölorgan der Welt, der Londoner ,J?etroleum Press Service“ schreibt, daß man sich „vor dem Alpdruck der Schwierigkeiten, die mit dem Bau und Betrieb solcher Schiffe verbunden sind“, fürchtet. Bisher zeigt auch kein Welthafen Eile, sich für derartige Tankergrößen auszubauen. Denkt man vielleicht an den Brand eines solchen Riesen in einem Hafen? Vielleicht. Man kann sich dann die Atombombe ersparen.

Der Gedankensprung von „Concorde“ und Riesentankern zu dem Gesetz, mit dem Kalifornien ab 1975 keine weiteren Autos mehr zulassen will, ist nicht groß. Auch hier macht sich die Abwehr der hypertrophier-ten Technik bemerkbar. Und wenn es um den kybernetischen Schachspielautomaten Norbert Wieners still geworden ist, weil es ihn gar nicht geben kann, so erhärtet dieser Fall nur die in den USA bis zur Psychose sich ausbreitende Enttäuschung über das Versagen der Computer, die mit ihren acht bis zehn Prozent unkontrollierbaren

Irrtümern langsam, aber sicher das öffentliche Leben in Verwirrung bringen. In Europa, wo man noch unter dem Eindruck der Thesen des Franzosen Servant-Schreiber den Computer als den Schlüssel zum irdischen Paradies und Träger einer geistigen Revolution zu betrachten geneigt ist, macht man zwar auch schon die Empfänger von computergesteuerten Unterlagen auf die Möglichkeiten von Irrtümern aufmerksam, bleibt aber noch hartnäckig dabei, daß derartige Fehler nur durch menschliche Unzulänglichkeit verursacht würden, denn der Götze Maschine ist natürlich unfehlbar.

Die im Falle „Concorde“ sichtbar gewordene Schranke gegen die hypertrophierte Technik scheint bei den SALT-Gesprächen zwischen den USA und der Sowjetunion bereits in „bewußter“ Form angestrebt zu werden: Da der Megatod durch den hundertfachen Overkill des Rüstungsstandes erreicht ist, erübrigen sich Anstrengungen zur Schaffung eines weiteren Overkills etwa durch Mehrkopfatomraketen. Ubersetzt heißt das: Da die Möglichkeit zur Tötung von hunderten Millionen Menschen mit dem ersten strategischen Schlag durch einen Rüstungsbestand gesichert ist, der die hundertmalige Ausrottung der ganzen Menschheit erlaubt, so kann man auf die kostspieligen Maßnahmen zur 101. Ausrottung verzichten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung