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Frankreich und osterreich

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De Begegnung christlicher Gewerkschafter Frankreichs mit den Führend ihrer österreichischen Berufs- und Gesinnungsgenossen, die im letzten Frühjahr in Wien stattfand, hat nach achtjähriger Trennung eine Verbindung erneuert, die nicht mehr abreißen wird. Einer der ersten Mitarbeiter Gaston T e s s i e r s, des Generalsekretärs der christlichen Gewerkschaften Frankreichs, Herr Georges Levard, sendet uns einen Brief, der an Gemeinsamkeiten der Erlebnisse und der Aufgaben beider Länder erinnert. Gerade weil Österreich noch mit allerlei Mißverständnissen in der Welt zu ringen hat, wird die Wärme der nachstehenden Ausführungen und das Verstehen, das sie für Österreich beweisen, in unserem Volk besonders empfunden werden.

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De Begegnung christlicher Gewerkschafter Frankreichs mit den Führend ihrer österreichischen Berufs- und Gesinnungsgenossen, die im letzten Frühjahr in Wien stattfand, hat nach achtjähriger Trennung eine Verbindung erneuert, die nicht mehr abreißen wird. Einer der ersten Mitarbeiter Gaston T e s s i e r s, des Generalsekretärs der christlichen Gewerkschaften Frankreichs, Herr Georges Levard, sendet uns einen Brief, der an Gemeinsamkeiten der Erlebnisse und der Aufgaben beider Länder erinnert. Gerade weil Österreich noch mit allerlei Mißverständnissen in der Welt zu ringen hat, wird die Wärme der nachstehenden Ausführungen und das Verstehen, das sie für Österreich beweisen, in unserem Volk besonders empfunden werden.

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Eine Tatsache war es vor allem, die die französische Delegation in Österreich angesprochen hat: Die Gemeinsamkeit der Probleme und der Erwartungen, die unsere beiden Länder beherrschen.

Die Ruinen von Wien haben unseren Augen ein leider nur zu bekanntes Schauspiel geboten. Weiß man überall, daß Frankreich zwei Kriege in seinem Lande gehabt hat — 1940 und 1944 — und zweimal verwüstet wurde? Weiß man auch, daß 1,900.000 Häuser beschädigt und zerstört wurden — zweimal so viel als im ersten Weltkrieg, und daß am Tage der Befreiung Tausende Brücken zerstört waren, unsere Handelsflotte in alle Winde zerstreut war, und unsere Eisenbahnzüge in keinem größeren Radius mehr als 50 Kilometer verkehrten?

Die österreichischen Probleme werden durch die Teilung des Gebietes in vier Zonen erschwert. Gerade die Franzosen vermögen dies sehr gut zu verstehen. Ihr hauptstädtisches Gebiet wurde während der mitleidlosen deutschen Besetzung in gleicher Weise in vier Teile zerschnitten; dazu kam noch, daß alle Verbindungen mit dem Kolonialgebiet, durch das Lebensnerven Frankreichs laufen, unterbrochen waren.

Die Verpflegungsschwierigkeiten haben uns hart angepackt. Wir Franzosen sind sozusagen Spezialisten geworden in der Kenntnis solcher Not. Nach der Statistik hat bei uns für 70 Prozent der Erwachsenen das Durchschnittsgewicht um 12 Prozent abgenommen; wenn man dabei bedenkt, da8 das flache Land kaum gelitten hat, dann erkennt man erst, wie sehr die Stadtbevölkerung betroffen wurde und noch darunter leidet. Viele unserer österreichischen Freunde haben uns gesagt, wie tief es das österreichische Volk empfinde, daß so viele Kriegsgefangene noch zurückgehalten werden. Es war für mich, der ich mich fünf Jahre in Kriegsgefangenschaft in Preußen befunden hatte, nicht schwer, mich in diese Gefühle hineinzudenken.

Man könnte diese Parallelen des Schicksals weiter verfolgen und die Vergleichspunkte für unsere beiden Länder noch vervielfältigen. Aber wir sind der Ansicht, daß es die Hauptsache ist, daß wir bei unseren Besprechungen in Österreich s e h r reale Grundlagen für unsere Zusammenarbeit gefunden haben.

Die maßgebenden Mitglieder des öffentlichen Lebens, die uns in Wien empfangen haben, gaben uns die Möglichkeit, Zeugnisse der größten Wichtigkeit für das Verständnis Frankreichs gegenüber den österreichischen Problemen zu sammeln. Nach unserer Ansicht muß dieser Besuch auch ein Morgen haben. Die Geschidite unserer Völker ist in verschiedenen Zeitläuften gemeinsam geschrieben worden und wir glauben, daß es auch in Zukunft so sein soll. Deswegen legen wir großen Wert auf gemeinsame und persönliche Beziehungen, wie wir sie auf unserer Reise anknüpfen konnten. Sie werden sicher sehr dazu beitragen, jene unerläßliche internationale Fühlung zu festigen, die für den Weltfrieden von so großer Wichtigkeit ist.

Wir bewundern den liebenswürdigen Mut, mit dem das österreichische Volk sein Vaterland wieder aus der Not aufrichtet und trotz allem sein künstlerisches und heiteres Wesen erhält, eine besondere Eigenschaft, die ihm erlauben wird, das unglückliche Erbe des Krieges zu erledigen. Wir Franzosen machen es mit unseren Mitteln ähnlich, suchen unser Eisenbahnnetz, unsere Wirtschaft, unsere Finanzen und unsere Schiffahrt wieder herzustellen.

Mitglieder unserer Delegation, die Pädagogen waren, hatten gute Kenntnis von dem früheren hohen Rang des österreichischen Schulwesens. Sie waren erstaunt, die Zerstörungen zu sehen, die hier die Hitlerherrschaft in diesen sieben Jahren angerichtet hatte. Ein richtiger Abgrund war aufgerissen worden, Der Nationalsozialismus wußte eben sehr wohl, was für Methoden er anwenden mußte, um zu seinem Ziel zu gelangen. Welch ein Glück, daß es den Österreichern in tapferem Widerstand gelungen ist, das Joch abzuschütteln. Das zeigt aber auch, daß der wirkliche Wert der Völker mehr noch als in ihrer materiellen Macht in ihren moralischen Kräften, in dem Stand ihrer Kultur, ihrer Tradition und ihrer Geschichte ruht, vorausgesetzt, daß sie diesen treu bleiben. Wir betrachten es als ein zweifach glückliches Symbol in diesem Sinne, daß Paris, unsere schöne Hauptstadt, nicht zerstört wurde und daß Wien, obwohl es schwer gelitten hat, seinen Stephansdom wieder aufbauen kann und der Turm von St. Stephan noch stolz über die Stadt sich emporhebt.

Die Lebenskräfte unserer Staaten haben nicht gelitten. Wii können der Zukunft vertrauensvoll ins Auge blicken. Gewiß, diese Zukunft zeichnet sich noch nicht klar ab, aber wir sind überzeugt, daß die enge Verbindung zwischen Österreich und Frankreich zum Weltfrieden beitragen wird und jeder auf seinem Platz noch mehr, noch Dauerhafteres und Fruchtbareres beizutragen hat.

Der Beitrag, den Österreich zu leisten hat ist es, wie es schon oft in der Geschichte der Fall war, der Treffpunkt von Zivilisationen zu sein, die sich hier zuweilen aneinander gestoßen haben oder aber sich verbanden — und der Beitrag Frankreichs ist es, Planer von führenden Ideen der Menschheit zu sein. Diese Beiträge der beiden Nationen weiden einen vornehmen Platz einnehmen dürfen, wo es sich darum handelt, den Menschen eine Welt zu schaffen, in der ein friedliches Zusammenleben, Freiheit und Kultur gesichert sind.

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