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Freie oder gelenkte Landwirtschaft

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Zunächst die Tatsachen: Während und nach dem Kriege hatte die amerikanische Landwirtschaft eine Reihe von Hunger- und Mangelgebieten in aller Welt mit Lebensmitteln zu versorgen. Dadurch wurde die agrarische Produktion der USA auf Hochtouren gebracht, und zwar in einem Maße, daß die „New York Times“ geradezu von einer Revolutionierung der landwirtschaftlichen Erzeugung spricht. Seit fünf Jahren aber haben diese Exportmöglichkeiten aufgehört. Den Farmern ist es begreiflicherweise schwergefallen, ihre Produktion wieder mit einem Ruck zurückzuschrauben, und zwar um so schwerer, weil die Hauptprodukte vom Staate nach wie vor zu Paritätspreisen übernommen, wurden. So ist es zu jenen unvorstellbaren Agrarüberschüssen im Werte von acht Milliarden Dollar gekommen, deren Lagerung täglich eine Million Dollar verschlingt und die zur wirtschaftlichen Sorge Nr. 1 der USA geworden sind, weil sie einen verhängnisvollen Druck auf die Agrarpreise ausüben. Und so kommt es zur paradoxen Lage, daß inmitten der höchsten Prosperität, die die Wirtschaft der Vereinigten Staaten je erlebt hat, Preise und Erlöse der Landwirtschaft ständig im Sinken begriffen sind und die Agrarmärkte vor dem Zusammenbruch stehen, wenn es nicht gelingt, den Druck der Ueberhänge zu beseitigen.

Dr. E. von Hofmannsthal hat diese Entwicklung und all ihre Folgen für das Farmertum an dieser Stelle („Die Furche“ Nr. 47 vom 19. November 1955) kritisch beleuchtet und sie darauf zurückgeführt, „daß sich der Farmer im-kritischen Augenblick nicht auf eigene Kraft und Urteil, sondern auf Subvention und Kontrolle der Regierung verlassen habe. Der Niedergang des Farmers sei ein Symptom des Bankrottes der, S t a a t s i n t-e r v e n-t i o n, der sich in allen Ländern zeige und in allen geleugnet und verschleiert werde“.

Dieser einfache Erklärungsversuch einer Krise, die in Wahrheit auf sehr viele Ursachen zurückgeht, und die Verallgemeinerung subjektiver Schlüsse auf alle Länder dieser Erde treffen aber nicht zu; und zwar um so weniger, als die Amerikaner selbst — für die schon der Anschein einer staatlichen Bevormundung der Wirtschaft ein rotes Tuch bedeutet — keineswegs zu solchen Schlußfolgerungen kommen und in Sachen der Landwirtschaft ihre pro:cktionistische Einstellung nicht im mindesten geändert haben. Als Realökonomen müssen sie also sehr gewichtige Gründe dafür haben, bei der Landwirtschaft von ihren mehr od weniger freiwirtschaftlichen Grundsätzen so weit abzuweichen. Denn, was ist inzwischen geschehen? Die Regierung Eisenhower hat dem Kongreß am 10. Jänner 1956 ein neues Agrarprogramm vorgelegt, dessen Vorschläge zur Lösung des Ueberschuß-problems und damit der Agrarkrise in ihrer Großzügigkeit, aber auch in den angewendeten Methoden, alles in den Schatten stellen, was bisher diesseits des Eisernen Vorhanges an Staatsinterventionen praktiziert wurde. Denn als wichtigste Maßnahme ist eine einschneidende Verringerung der Anbauflächen und damit der Erzeugung bei den Hauptüberschußprodukten Weizen, Baumwolle und Mais, und zwar um 20 Prozent ihres bisherigen Ausmaßes, vorgesehen. Die ausgeschiedenen Flächen sollen vorläufig auf drei bis vier Jahre unbearbeitet, also brach liegenbleiben. Dieses Boden-Reserve-Programm ist grundsätzlich auf freiwilliger Basis geplant. Wenn sich jedoch ein Farmer zur Teilnahme entschließt, muß er sich verpflichten, beispielsweise seine bisherige Weizenanbaufläche von 100 Acres auf 80 Acres zu reduzieren und die Reservefläche weder zu bebauen noch zu beweiden. Natürlich muß dieser Entschluß durch wirtschaftlichen Anreiz gefördert werden, denn die Farmer können ohne Entschädigung auf den Ertrag eines Fünftels ihrer Ackerfläche nicht verzichten. Eine zu gründende Bodenbank soll die Entschädigung übernehmen. Die gewaltigen dafür erforderlichen Mittel — und das ist das Ei des Kolumbus — sollen aus den Verkaufserlösen der gegenwärtigen staatlichen Lagerbestände stammen. So konnte also Eisenhower vor dem Kongreß mit Recht erklären: Die Bekämpfung des Ueber-schusses wird mit dem Ueberschuß finanziert.

Diese Bodenreserve soll also dem Anbau nur vorübergehend entzogen werden. In einem parallel laufenden. Bodenkonservierungsprogramm, dessen Durchführung puch der Bodenbank zugedacht ist, besteht jedoch die Absicht, dem Ackerbau eine noch größere Fläche von 25 Millionen Acres (10 Millionen Hektar) dauernd zu entziehen. Es handelt sich um riesige Flächen minderer Ertragsfähigkeit, die erst unter dem Sog der Kriegs- und Nachkriegskonjunktur unter den Pflug genommen wurden und die vom Standpunkt der Erhaltung der Humusschichte und der klimatischen Wechselwirkungen besser Wald- oder Weideland geblieben wären. Denn gerade auf diesen ausgedehnten Flächen im Südwesten und Westen der USA haben verheerende Staubstürme vielfach in großen Räumen die Ackerkrume weggeblasen. Diese Bodenflächen sollen wieder werden und dauernd bleiben, was sie gewesen sind, nämlich Wälder und Prärieweiden. Zum Teil sollen sie im Rahmen großzügiger Bewässerungs- und Elektrifizierungsprojekte auch zu Stauseen herangezogen werden. Man will also aus der heutigen Zwangslage Nutzen ziehen und begangene Sünden wiedergutmachen. Auch für dieses Konservierungsprogramm sind naturgemäß bedeutende Mittel erforderlich, weil, wie Eisenhower sagte, der Landwirtschaft nicht zugemutet werden könne, daß sie die Kosten und Lasten dieser gewaltigen und einschneidenden Umstellung, deren Ursache letzten Endes der Krieg ist, allein tragen solle. Auch sie sollen über die Bodenbank aus den Erlösen der Ueberschußgüter aufgebracht werden.

Inzwischen haben die Vorschläge, die durch ein Ueberschußexportprogramrrf ergänzt werden, im Repräsentantenhaus bereits insofern Gestalt angenommen, als für ihre Verwirklichung in diesem Jahre eine,Milliarde Dollar, und zwar 650 Millionen für die Bodenreserve und 350 Millionen für die Bodenkonservierung, beantragt sind. Damit werden voraussichtlich schon.heuer rund 50 Millionen Acres bisher landwirtschaftlich genutzter Fläche brach-gelegtwerden, durch eine drastische Intervention des Staates, der im übrigen keineswegs gewillt ist, die bisherige Preisgarantie für die landwirtschaftlichen Grunderzeugnisse auf der Basis der Kaufkraft-Parität aufzugeben.

Da die Farmer nur noch 13,5 Prozent der amerikanischen Bevölkerung ausmachen und ihr Einkommen nur 5,5 Prozent vom Nationaleinkommen beträgt, kann die naheliegende Frage . nach den Mo t i v e n für diese außergewöhnlichen und kostspieligen Eingriffe weder aus politischen Hintergründen des Wahljahres noch aus befürchteten Rückwirkungen auf die allgemeine Prosperität hinreichend erklärt werden.

Warum also? Was wäre geschehen, wenn der Staat nach diesem Kriege die Farmen sich selbst und dem freien Spiel der Kräfte überlassen hätte? Sicher wäre es nie zu diesen gigantischen Ueberschüsscn gekommen, denn der Preisverfall hätte ohne staatliche Paritätsgarantie mindestens fünf Jahre früher eingesetzt — und nach der Farmer eingewirkt — deren Denkart es völlig fremd ist, längerdauernde Krisenzeiten etwa durch eine Beschränkung des Lebensstandards zu übertauchen, wie es unsere europäischen Bauern gewöhnt sind, um das Vatererbe in der Generationsfolge weiterzugeben. Dem amerikanischen Durchschnittsfarmer sind nur zwei Möglichkeiten plausibel: Entweder eine Landwirtschaft gewinnbringend und mit Schwung zu betreiben, oder sie aufzugeben. Und diesen letzteren Weg der Landflucht hätten zwangsläufig ungezählte : Farmer angetreten, um das sinkende Schiff rechtzeitig zu verlassen.

Nach einem solchen — ohne Staatsintervention — unvermeidlichen Schrumpfungsprozeß oder, besser gesagt, Zusammenbruch der amerikanischen Landwirtschaft wären genau so viele Farmer und Farmen auf der Strecke geblieben, als das unerbittliche Würfelspiel der freien Kräfte , an wirtschaftlichen Opfern gefordert hätte, um durch eine Drosselung der Produktion Angebot und Nachfrage wieder einigermaßen ins Gleichgewicht zu bringen. Oder — um wieder mit E. v. Hof'nannsthal zu sprechen — die Auf E. v. Hofmannsthal — auf das Urteilsvermögen gäbe der Staatsintervention im kritischen Augenblick hätte zwangsläufig den Bankrott der Landwirtschaft zur Folge gehabt — und zwar paradoxerweise — inmitten einer nie erlebten Konjunktur der Volkswirtschaft, die die Höchstleistungen der Farmer nicht mehr braucht. Denn der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, er kann gehen.

Die amerikanische Staatsführung war und ist sich aber — wie ihre weitblickenden Konzepte schließen lassen — der Tatsache wohl bewußt, daß das Ernährung spotential auch in Friedenszeiten ebenso wichtig ist als die Erhaltung der , wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit oder der Wehrkraft eines Volkes.

Die Ernährungssicherung beruht auf dem verfügbaren Grund und Boden und den Menschen, die ihn bebauen wollen und zu bebauen verstehen. Da die Agrarübcrsehüsse zu einer einschneidenden Einschränkung der Produktion zwingen, hatte die amerikanische Regierung nur zwischen einem dauernden und kaum wiedergutzumachenden Verlust der Landwirtschaft an Menschen oder einer Reduktion der Anbauflächen zu wählen, denn ein dritter Weg zu herabgesetzten Flächenerträgen ist bei gleichbleibenden Agrarpreisen betriebswirtschaftlich ungangbar.

Präsident Eisenhower hat sich bezeichnenderweise dafür entschieden, eine weitere Verminderung der Farmbevölkerung unter allen Umständen und ohne Rücksicht auf die Kosten zu verhindern und so einen Stamm von landwirtschaftlichen Fachleuten, Betriebseinrichtungen und Betriebsmitteln aufrechtzuerhalten. Solange dieser landwirtschaftliche Grundstock vorhanden ist, kann die 20prozentige Bodenreserve jederzeit einberufen und wieder in die Ernährungswirtschaft eingesetzt, werden.

; Für die denkenden Europäer ist dieses Beispiel aus der jüngsten Agrargcschichte der USA außerordentlich lehrreich. Denn es zeigt, daß allein die Erhaltung der Nahrungsfreiheit — abgesehen von allen anderen soziologischen Wechselbeziehungen — die Sicherung einer bodentreuen bäuerlichen Bevölkerung und wohleingerichteter Bauernhöfe voraussetzt. Ohne staatliche Intervention — im Sinne einer Markt- und Preissicherung —, und zwar nicht nur zugunsten der Verbraucher, und ohne Opfer der Gesamtbevöl-kerung, die letzten Endes ihrem Wohle dienen, ist dieses Ziel in einem modernen Industriestaat, in dem die Landwirtschaft ihrer produktionstechnischen Sonderstellung wegen am schwächeren Hebelarme sitzt, nicht zu erreichen.

Auch in Oesterreich ist der bäuerliche Bevölkerungsanteil bereits auf ein Fünftel und der land- und forstwirtschaftliche Anteil vom Nationaleinkommen auf i 5 Prozent herabgesunken. Diese Tatsachen sind alarmierend und geben Anlaß, über das amerikanische Beispiel nachzudenken. Das österreichische Volk und seine berufenen Vertreter werden voraussichtlich noch heuet Gelegenheit haben, bei der Frage des Landwirtschaftsgesetzes ihre Reife und ihr Verständnis für zukunftsichernde Schutzmaßnahmen unter Beweis zu stellen.

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