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Freiheitliche „Aequidistanz”

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Unter dem Eindruck der bereits in der bundesdeutschen Wahlnacht stark sichtbaren rotblauen Koalitionsansätze gaben sie sich noch ablehnend gegenüber einer möglichen SPÖ-FPÖ-Koalition nach dem 1. März 1970; zehn Tage später schalteten sie auf „Aequidistanz” zu den beiden großen Parteien: Österreichs Freiheitliche, die 1963/64 drauf und dran waren, den ÖVP-Kanzler der relativen Mehrheit durch den freiheitlich gestützten Doktor Pittermann zu ersetzen, wollen sich nun alle Möglichkeiten offen halten.

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Unter dem Eindruck der bereits in der bundesdeutschen Wahlnacht stark sichtbaren rotblauen Koalitionsansätze gaben sie sich noch ablehnend gegenüber einer möglichen SPÖ-FPÖ-Koalition nach dem 1. März 1970; zehn Tage später schalteten sie auf „Aequidistanz” zu den beiden großen Parteien: Österreichs Freiheitliche, die 1963/64 drauf und dran waren, den ÖVP-Kanzler der relativen Mehrheit durch den freiheitlich gestützten Doktor Pittermann zu ersetzen, wollen sich nun alle Möglichkeiten offen halten.

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Was hat die Schwenkung von der Anti-SPÖ-Linie, die FPÖ-Geschäfts- führer Bogner vehement vor dem TV-Schirm vertrat, auf den Pfad des gleichen Aibstands von ÖVP und SPÖ verursacht? Deutschlands Freiheitliche steuerten bereits im Wahlkampf auf die Koalition mit den Sozialdemokraten hin und mußten eine bittere Wahlniederlage hinnehmen: Dies dürfte dar erste Grund sein, der die Freiheitlichen Österreichs zum Umstecken veranlaßte.

Nicht unwesentlich am freiheitlichen Kurswechsel dürften aber die Sozialisten beteiligt sein: Ihr Vorsitzender Dr. Kreisky trommelt konstant, wer FPÖ wähle, der wähle ÖVP; aber auch das sozialistische Boulevardblatt „Expreß” richtete eine deutliche Warnung an die Freiheitlichen: Sie sollten sich nicht auf eine Koalition mit der ÖVP festleigen, sondern sich für den Fall des Falles auch für die SPÖ bereithalten.

Diesen Rat akzeptierte FPÖ-Obmann Peter offensichtlich, als er am 3. Oktober vor Journalisten freiheitliche „Aequidistanz” verkündete. Das Echo bei den beiden nun von freiheitlicher Sicht möglichen Koalitionspartnern auf diese Peter-Erklärung war sehr unterschiedlich: Während die SPÖ der FPÖ offensichtlich noch immer nicht ganz traut und weiter auf der Masche „FPÖ-Wahl ist ÖVP-Wahl” spielt, gab sich die ÖVP deutlich: Das bundesdeutsche Wahlergebnis und die nachfolgende Bildung der kleinen Koalition habe deutlich gezeigt, daß man Koalitionen nicht wählen könne; schaffe der Wähler keine klaren Mehrheiten, dann müsse er damit rechnen, daß der Wille der relativen Mehrheit iq Koalitionsverhandlungen verfälscht werde; daher bleibe das Wahlziel der Volkspartei die klare Mehrheit.

Erinnerungen an 1963

Daß es freilich nach wie vor tragfeste Brüchen zwischen den österreichischen Freiheitlichen und den Rechtsradikalen gibt, geht aus der August/September-Nummer des „Neuen Forum” hervor: Das Mitglied des FPÖ-Bundesparteivorstandes Karl Peter verteidigte seine Mitarbeit bei der rechtsradikalen „Deutschen National-Zeitung” mit dem Hinweis, daß sich der Wiener Landesparteivorstand der FPÖ einstimmig mit seiner Tätigkeit für dieses Blatt einverstanden erklärt habe und dieses Blatt der Wiener FPÖ „bei den letzten Landtagswahlen uneigennützig wertvolle publizistische Hilfe geleistet” hätte. Er danke’ der „National-Zeitung” für ihre „mutige Schreibweise” und werde „auch weiterhin um eine gute Zusammenarbeit mit ihr bemüht sein”.

In der Wahlwerbung mit der viergeteilten (Gesellschaft, Bildung, Aufstieg und Europa) „Formel 70”, bei der gutklingende Schlagworte wirksam aneinandergereiht werden, zeichnet die FPÖ Anleihen bei der den Ultra- rechten eigenen Symbolik: Eckige Runen formen sich zu einer Art Raketensymbol für die „Formel 70” und die geballte Hand mit hochgerecktem Daumen versucht Dynamik zu versinnbildlichen.

Der nun auf Äquidistanz zu den beiden großen Parteien getrimmte FPÖ-Obmann Peter, der die Pforten seiner Partei auch für die ganz Rechten offen halten will, handelte noch vor fünf Jahren anders. Damals ließ er sich nicht nur vom damaligen SPÖ-Außemminisfer Dr. Kreisky sagen, wie sich eine Partei in der EWG-Frage verhalten sollte, sondern verteidigte die vor der Tür stehende kleine Koalition mit den Sozialisten im Jänner 1964 vehement gegen die Angriffe Freiheitlicher Wirtschaftstreibender Schon im Oktober 1963 hatte er erklärt: „Unsere Meinungsunterschiede mit der SPÖ sind geringer, als allgemein angenommen wird.” Am 24. Juni 1963 hatte Peter in Krems freimütig zugegeben: „Seit Sommer 1962 spricht die FPÖ mit der SPÖ.” Hinter dem Nebelvorhang der von FPÖ und SPÖ provozierten Habsburgkrise waren sich Sozialisten und Freiheitliche schon so nahe gekommen, daß Pittermann erklären konnte: „Die große Koalition ist nicht als unverrückbares Tabu zu betrachten.”

Hat das deutsche Beispiel gezeigt, daß ein offener Linkskurs den Freiheitlichen nicht gerade gut tut, so ist für SPÖ und FPÖ doch auch eine Lehre aus der deutschen Regierungsbildung zu ziehen: Wären die Abmachungen zwischen FDP und SPD nicht vor der Wahl getroffen worden, hätte die Einigung über die Koalition nicht so rasch erfolgen können, daß die Opposition gegen die SPD im freiheitlichen Lager gar nicht zum Aufmucken kam. Daß bei der FPÖ im Falle langwieriger Koalitionsver- handlumgen mit der SPÖ mit einem Riß durchs FPÖ-Lager zu rechnen ist, zeigt schon der freiheitliche Koalitions-Zick-Zack-Kurs der letzten Tage.

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