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Freiwilligkeit der Neutralität?

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Dies ist nun ganz eindeutig und vorbehaltlos. Die aus den genannten österreichischen Regierungsmitglie-dern bestehende Delegation war natürlich , genauso ermächtigt wie Ihre sowjetischen Partner, bindende Erklärungen abzugeben, was denn auch beiderseits geschah. Im Memorandum ist daher auch nicht von „der Sowjetregierung und der österreichischen Regierungsdelegation“, sondern eben von „der sowjetischen und der österreichischen Regierungsdelegation“ die Rede. Auch auf sowjetischer Seite befand sich demnach nicht die ganze Regierung, sondern eben nur eine Delegation derselben. Bezeichnenderweise heißt es auch nicht, daß die betreffenden Mitglieder der österreichischen Bundesregierung ... Sorge tragen würden, daß usw., sondern daß sie „im Zusammenhang mit dem Abschluß des österreichischen Staatsvertrages für die Annahme folgender Beschlüsse und Maßnahmen durch die österreichische Bundesregierung Sorge tragen werden“ Es folgt sodann die bindende Zusage: „Im Geiste usw. wird die österreichische Bundesregierung eine Deklaration in einer Form abgeben, die Österreich die internationale Verpflichtung auferlegt“ usw. Es handelt sich hier also um eine Verpflichtung zu einer Verpflichtung; jedes Argument, jene sei noch nicht diese gewesen, ist daher müßig. Zudem haben die Bestimmung des Memorandums laut Artikel 36 des Staatsvertrages „als integrierende Bestandteile dieses Vertrages Geltung und Wirksamkeit“. Ferner ist wohl richtig, daß der Nationalrat das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität erst nach Abzug der Besatzung beschlossen hat; jedoch schon vor Abzug derselben, nämlich am 7. Juni 1955, als noch russische Bajonette ihre unerbetenen Schatten warfen, hatte er eine Entschließung angenommen, in der er ,,aus freien Stücken“ die immerwährende Neutralität erklärt und die Bundesregierung auffordert, ihm den Entwurf eines entsprechenden Bundesverfassungsgesetzes vorzulegen. Wie wenig weit es mit der Freiwilligkeit in diesem Zusammenhang her ist, ist an allen praktischen und verbalen österreichischen Versuchen zu sehen, ihn, wo immer möglich, zu durchlöchern, zum Beispiel in der Frage des Verbots von Speziallwaffen (Art. 13 [1] des Staatsvertrages). Während seines Besuches to Moskau im März 1967 stellte nämlich Bundeskanzler Klaus den Antrag,' Österreich den Besitz von „defensiven Raketenwaffen“ zu gestatten. Nun gibt es natürlich dergleichen ebensowenig wie den Unterschied zwischen einem Angriffs- und Verteidigungsdolch. Als der russische General Kurotschkin drei Monate später nach Österreich kam, meinte er denn auch väterlich, ein modern ausgerüstetes Heer sei besonders für ein kleines Land sehr kostspielig... Dies zeigt nebenbei auch deutlich, in wie hohem Kurs die österreichische Neutralität und ihre Verteidigungsfähigkeit in sowjetischen Augen stehen. Das wäre realistischermaßen allerdings schon dem zweiten Absatz des eben zitierten Artikels des Staatsvertrages zu entnehmen gewesen, der eine Erweiterung der im ersten Absatz angeführten Liste verbotener Waffen auf solche vorsieht, die noch entwickelt werden könnten. Dies allein ist also schon deutlich genug und In diesem sehr wesentlichen Punkt weit von der Neutralität entfernt, „wie sie die Schweiz wahrt“. Der Versuch, eine Beseitigung dieser oder anderer Beschränkungen durch ein im Artikel 17 des Staatsvertrages vorgesehenes Abkommen zwischen dem Sicherheitsrat und Österreich zu erreichen, ist anscheinend nie gemacht worden.

Der österreichische Völkerrechtsexperte Josef L. Kunz spricht es denn auch in einem Artikel im „American Journal of International Law“ (Vol. 50, Seite 418 bis 425) unumwunden aus, daß „der Grund für die Erfassung des Neutralitätsstatuts die Erfüllung einer von der Sowjetunion gestellten Bedingung war, um dadurch schließlich den Staatevertrag zu erhalten und den Abzug der Besatzungstruppen zu erwirken“. Jedenfalls ist dieser Punkt wund genug, um mit, noch dazu von niemandem gefragten, Akzenten auf ihm sparsam umzugehen. Und auch den Westmächten wurde die Neutralität Österreichs „aufoktroyiert“. Dieser Tatbestand erfährt eine deutliche Bestätigung dadurch, daß sich die Außenminister der drei Westmächte aus naheliegenden strategischen Gründen dem Sowjetvorschlag, Österreich zu neutralisieren, zunächst nachdrücklich widersetzten •und sich am 14. Februar 1954 auf der Berliner Konferenz bereit erklärten, die damals noch strittigen fünf Artikel des Staatsvertragsentwurfes in der Fassung der Sowjetregierung zu akzeptieren, falls die Sowjetunion unter anderem auf die neueinge-brachten Vorschläge über die Neutralisierung Österreichs verzichten und den Staatsvertrag sogleich unterschreiben würde. Ferner verweist Dr. Bruno Kreisky in einem Artikel in der Zeitschrift „Österreich in Geschichte und Literatur“ (Heft 3, Jahrgang 1953) darauf, daß die schließliche Bereitschaftserklärung der österreichischen Bundesregierung zur Neutralität auf der Berliner Konferenz keineswegs die ungeteilte Zustimmung der westlichen Alliierten gefunden habe. Dies Ist nur zu verständlich, denn für sie als Mitglieder des Nordatlantikpaktes kann ein Herausbrechen der mitteleuropäischen Eisenbahn-, Straßen-und Schiffsverbindungen aus ihrem Aufmarschplan nur eine schwere Einbuße desselben bedeuten. Gerade deswegen aber anderseits der eiserne russische Zwang, demgegenüber schließlich nicht nur Österreich, sondern auch die Westmächte nachgeben mußten.

AU dies wäre nun in Ansehung der Ereignisse der letzten 50 Jahre keine Blöße, die des Feigenblattes nicht belegter offizieller Version bedürfte, wenn Österreich an ihrem Eintreten und Ablauf nicht in der eingangs erwähnten Weise beteiligt wäre. Hier ist jedoch Einsicht kaum das Motiv und die Meinung jener, die sich dieses Adamskostüms bedienen. Sie sind angesichts der allerdings splitternackten Tatsachen auch schwer zu ergründen und schon von vornherein auch taktisch nicht zu rechtfertigen. Denn was ist nun besser: die unleugbare Tatsache des eisernen Zwanges als unvermeidlich einfach zuzugeben und dann natürlich von Freiwilligkeit nicht viel zu reden, oder die allerdings nicht zu dokumentierende offizielle österreichische Darstellung der bewußten Voraussetzungen aufrechtzuerhalten? Beide Auffassungen können den Weg zu einer künftigen wirklich freien Entscheidung offenhalten: entweder nach dem von Italien pragmatisch befolgten Grundsatz, daß unter zwingenden Umständen geschlossene Verträge nicht länger einzuhalten sind, als solche Umstände bestehen, oder nach der dialektischen Unterscheidung von abstrakter oder formaler und realer Möglichkeit, von denen erstere „auf abstrakten, formal-logischen Gedankenkonstruktionen beruht und daher der Grundlage in der objektiven Wirklichkeit entbehrt und nicht durch die begebene historische Entwicklung bestimmt wird“.

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