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Paul VI. im Heiligen Land: Friede aus Jerusalem

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Tn einer ersten Stellungnahme, unmittelbar nach der dreitägigen Pilgerfahrt des Papstes Paul VI. ins Heilige Land, erklärte der Erz-bischof von Wien, Kardinal König, auf die Frage: „Welche Erwartungen knüpfen sich an die Pilgerfahrt des Papstes und seine Begegnungen im Heiligen Land?“:

„Aus der Ansprache Papst Paul VI. in Bethlehem kann man schließen, daß er nicht nur zu den Ursprüngen des Christentums zurückkehrte, um die Einheit der Herkunft für die Aufgaben der Gegenwart zu aktivieren, sondern daß er damit — unabhängig, ob das schon seine erste Absicht war oder nicht — den Friedenskräften in der Welt neuen Auftrieb und neue Ziele geben wollte. Diese Ziele beziehen sich auf die Welt, auf die christlichen Kirchen und auf den Menschen als solchen.“

Friede, Friede, Friede! In vielen Sprachen scholl es dem Heiligen Vater entgegen, und er selbst sprach den Frieden in der Begegnung in griechischer, lateinischer, hebräischer und arabischer Sprache an.

Mit dieser Ansprache des Friedens, mit dem Friedensgruß, trat der Papst unmittelbar in Zonen des Kampfes, des Streites, des Krieges und Bürgerkrieges ein — rund um die „Stadt des Friedens“, Jeruscholajim — Jerusalem: die zweigeteilte Stadt, die seit eineinhalb Jahrtausenden von christlichen Betern und Theologen als „visio pacis“, hohe Schau des Gottesfriedens, besungen und bedacht wird und seit weit über zweitausend Jahren im bitterbösen Kampfraum von Menschen liegt.

König Hussein überreichte dem Papst ein aus Olivenholz gearbeitetes Relief, das die Taufe Christi im Jordan und die Geburt des Herrn in Bethlehem darstellt. In arabischer Schrift stehen über den beiden Skulpturen die Worte „Glaube, Friede, Nächstenliebe, Brüderlichkeit“. Der Heilige Vater umarmt beim Abschied den König und spricht ihn mit dem arabischen Friedensgruß „Salam aleikum“ an.

Eng wurzelverwandt sind sie, die beiden Worte des Friedens: Salam arabisch, und Schalom, hebräisch. Ein Abgrund aber trennt heute noch einen arabischen Frieden vom israelischen Frieden. Arabische Politiker, Wortmacher und Militärs lassen keinen Zweifel über ihre offen erklärte Absicht: bei erstbester Gelegenheit „die Juden“ und natürlich ihren Staat zu vernichten.

Schalom. In Megiddo begrüßt der israelische Staatspräsident Shazar den Papst mit der uralten Grußformel des Heiligen Landes: „Gesegnet seist Du, der Du kommst.“ Und er fährt fort, in hebräischer Sprache:

„Wir sind Ihnen diesen Weg entgegengekommen, nach Megiddo, der Stadt, die Salomon gegründet hat, um Sie willkommen heißen zu können, sobald Sie unsere Erde betreten, die Erde des Heiligen Landes.“

Salomon, „Fürst des Friedens“: Schon die Kirchenväter sehen in ihm die Vorbildung des „wahren Friedensfürsten“ Jesus Christus. Megiddo, das ist das alte Armageddon, das Bollwerk für die Verteidigung des Reiches, eine „Stätte der Streitwagen“, eine Walstatt. Hier wurde Ahasiah, König von Juda, getötet. Hier fiel der König Josiah im Kampf gegen den ägyptischen Pharao. Die Apokalypse des Johannes sieht hier den letzten entscheidenden Kampf der Endzeit stattfinden.

Schalom! Papst Paul VI. grüßt Israel und die Juden mit dem uralten Heilsgruß Schalom. „Der heute entzweiten Welt haben Wir ein mit nichts vergleichbares Geschenk zu bieten, das auf jeder Seite der Heiligen Schrift erkennbar ist und das Wir heute glücklich in Unserem Gruß, in Unserem Gebet und in Unseren Wünschen zusammenfassen, in dem Wort: Schalom, Schalom!“

Sechs Kerzen. „Sechs für sechs Millionen“, sagt der israelische Minister für religiöse Angelegenheiten, Dr. Wahrhaftig, zum Dekan des Kardinalskollegium, Eugene Tisserant. Der Kardinal antwortet dem Minister: „Ja, sechs für sechs Millionen.“ Diese sechs Kerzen sollten zu einem frommen Brauch in gutchristlichen, gutkatholischen Häusern werden. Jedes Jahr sollten die mahnenden Lichter an einem Tage stehen: „Sechs für sechs Millionen ...“

Von Nazareth aus richtet der Papst einen Gruß an die Arbeiter in aller Welt. Er erinnert, daß auch Jesus Christus in Nazareth als einfacher Zimmermannslehrling gearbeitet hat: „Er ist euer großer Arbeitskamerad und wirklicher Bruder!“

Eirene: das griechische Wort für Friede. Weit über tausend Jahre, besonders heftig nach 1059, besteht die „Irenik“, das „Friedensgespräch“ zwischen Ost und West, in der Christenheit in einer Polemik, die in gewissen Zeiten zu mörderischen Haßkampagnen geführt hat. Der christliche Osten, einschließlich Rußland, hat bis heute die Plünderung Konstantinopels, 1204, nicht vergessen. Athosmönche und andere organisierten im Spätmittelalterund in früher Neuzeit regelrechte antilateinische Propagandafahrten am Balkan und im Nahen Osten. Die heiligen Stätten im Heiligen Land sehen — zum Teil mit muslimischen Augen — auf die erbitterten Streite zwischen Orthodoxen und Lateinern, auch zwischen römischen Katholiken verschiedener Orden und Kongregationen. Hinter dem Ost-West-Konflikt der getrennten Kirchen steht deren noch älterer Ost-West-Konflikt zwischen griechischem und lateinischem Geist.

Papst Paul VI. nimmt nicht auf einem vorbereiteten Thron, sondern auf einem Stuhl neben dem Patriarchen Athenagoras Platz. Sie geben sich den Friedenskuß. Sie beten gemeinsam, griechisch und lateinisch das Vaterunser und bei der zweiten Begegnung in der Residenz des orthodoxen Patriarchen das siebzehnte Kapitel des Johannes-Evangeliums: das große Gebet Jesu an den himmlischen Vater um die Einigung seiner Jünger, seiner Brüder und Söhne.

Die beiden Kirchenfürsten begegnen einander noch ein drittes Mal. Sie wissen beide: diese dreimalige Begegnung kann die tausendjährige Nichtbegegnung nicht einfach „aufheben“. Aber sie wissen auch: sie haben ein Zeichen gesetzt, eine unauslöschliche Tat, brüderliche Umarmung und Vergebung. Paul VI. spricht von der vom Herrn gebotenen Christenpflicht, siebenmal siebzigmal zu vergeben.

Auf der Via Dolorosa, auf dem Kreuzweg des Meisters, ist erstmalig und dann wieder in der Ansprache nach der Messe in der Grotte des Heiligen Grabes, das geschehen, was Katholiken, Orthodoxe, andere Christen und Nicht-Christen seit Jahren erhofft haben und wofür katholische Theologen und Laien, besonders in Frankreich, Holland, Belgien, nicht zuletzt auch in Österreich in diesen letzten Jahren bittend und betend eingetreten sind: ein mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa. Das große Conflteor der lateinischen, der römisch-katholischen Kirche. Wer die Stimme des Papstes bei diesem Confiteor im Rundfunk mit angehört hat, wird es nie wieder vergessen.

„Wir sind gekommen als Verbrecher, die zur Tatstätte zurückkehren, als Deine Jünger, aber auch als Deine Verräter. Wir schlagen an die Brust und bitten um Vergebung.“

Dieses Gebet sprach Papst Paul VI. auf seinem Kreuzweg, auf dem Kreuzweg des Herrn. Große Einsame. Beter und Visionäre haben in vergangenen Jahrhunderten nicht zuletzt in der Ostkirche und im Protestantismus, im evangelischen Körper der Christenheit, diese Geste der Versöhnung ersehnt: das Mittelalter hat sie von einem Engelspapst erwartet. Der Papst tritt mitten in diese Welt, indem er die Kirche in den Schuldzusammenhang aller Menschen hineinstellt. Wer den Papst im Gedränge im jordanischen Teil von Jerusalem sah, eingepreßt zwischen vielfarbigem Volk, kann sich dies auch bildlich klar machen: der Heilige Vater ist in die Welt, zu den Menschen gegangen, um dies zu beginnen:

• die Mobilisierung der riesigen, unbetreuten Kräfte des Friedens, des Friedenswillens, die in allen Völkern, allen Rassen präsent, wenn auch oft unterdrückt sind.

• Papst Paul VI. hat mit seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land einen Kreuzzug des Friedens begonnen. Zurück nach Rom beginnt er, ihn zu entfalten.

Noch im Jerusalem traf er sich mit dem Schwager Kennedys, Sargent Shriver, dem Leiter des USA-Friedenskorps, der ihm eine Botschaft des Präsidenten Johnson überbrachte.

Nun gilt es, unter Führung des Papstes ans Werk zu gehen: nicht zuletzt hier in unserem Lande, das seine besonderen Verpflichtungen und Aufgaben hat. Kardinal König wies in seiner ersten Stellungnahme zur Papstpilgerfahrt darauf hin: Athenagoras, Kardinal Wyszynski, die Kontaktnahme mit der Kirche in Ungarn, der Tschechoslowakei, in Rumänien stehen für die Wiener Erzdiözese auf dem Programm.

Dazu sind die Aufgaben für Christen und Nicht-Christen in unserem Lande nicht gering: für das Wachsen des inneren Friedens und für seine Ausstrahlung nach allen Seiten zu arbeiten, wach, klug, zäh, geduldig, im Geiste des Mannes, der die Welt grüßt: Schalom, mit dem Gruße des Friedensfürsten des Alten und Neuen Bundes, die zusammengehören und sich hören müssen: von heute an.

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