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Vor einigen Jahren tagte in der Wiener Hofburg eine Europakonferenz. Prominente Vertreter aller westeuropäischen Staaten waren zugegen; ihre Fahnen wehten bunt und froh, wo eben einige Jahre zuvor die Flaggen der vier Besatzungsmächte deren Macht verkündeten.

Gleichzeitig lag am Sockel des Prinz-Eugen-Denkmals ein Kranz in dunkelroter Farbe. Gewidmet war er, wie die Inschrift verriet, von der „Legion Europa“. Es war purer Zufall, oder Provokation, daß gleichzeitig, während sehr ehrenwerte Herren in der Hofburg über Europa sprachen, hier, in der hellen Sonne des Tages, sich ein Kreis zu Wort meldete, der im europäischen Untergrund eine Rolle spielt, was gelegentlich bei OAS-Attentaten sichtbar wird.

Nehmen wir dieses kleine Ereignis zum Anlaß, eine größere Gefahr und eine große Aufgabe anzusprechen.

Man spricht von Europa. Man hat sehr viel von Europa gesprochen in diesen letzten Jahren. Es gibt Europabewegungen, die in Konkurrenz miteinander stehen. In Österreich wurde nicht selten, mit fast drohender Gebärde, ein Anschluß an Europa gefordert, in einer Sprache und einer Zielrichtung, die jene Österreicher, die ihr Gedächtnis nicht verloren oder verdeckt hatten, an die Anschlußsucht vor 1938 erinnerte.

Österreich liegt in Europa.

Gerade weil dies für uns eine Existenzfrage ist, müssen wir alle Männer und Mächte, alle „Europäer“, die heute von Europa reden und ihr Europa bauen wollen, uns genau ansehen. Ansehen auf zwei Momente hin: woher kommt dieser Europäismus und wohin geht er? Woher kommen geistig und politisch diese „Europäer“ und wohin zielen sie?

In der deutschsprachigen Europapropaganda im mitteleuropäischen Raum lassen sich unschwer eine ganze Reihe von Schlagworten, Parolen, Zielen und Feindansprachen feststellen, die man lückenlos versammelt im „Reich“ finden kann. Für erinnerungsschwache Zeitgenossen und für eine Jugend, die vielfach nicht weiß, woher so manches kommt, was ihr als Verheißung guter Zukunft vorgestellt wird, was in Wirklichkeit jedoch Abguß und erneuerter Aufguß gestriger, ewig-gestriger Ideologien ist, sei hier erinnert: Der hochbegabte, aus rheinischen katholischen Kreisen stammende Dr. Joseph Goebbels verstand es mit beachtenswertem Geschick, in seiner Zeitschrift „Das Reich“, die er in Schweden drucken ließ, mitten im zweiten Weltkrieg eine Europaidee zu verkünden, die ein Gemisch altehrwürdiger Formen und Visionen mit einem neuen Inhalt war. Europa sollte geeinigt werden, unter Führung des Führers und des Großgermanischen Reiches, zum Endkampf gegen den Bolschewismus.

Unschwer läßt sich bei den nicht wenigen Europäismen heute dieser Bodensatz und dieser Hintergrund feststellen. Diese Europäer und diese Europaideologien stammen aus der Propaganda des kalten und heißen Krieges der Goebbels-Leute. Ihre Mittel sind die des kalten Krieges.

Für Österreich kommt nur eine Europabewegung in Betracht, deren Vergangenheit rein, deren Gegenwartsarbeit offen, einsichtig, deren Zukunftsziel der große Friede ist.

Vor 40 Jahren gründete hier in Wien Coudenhove-Kalergi die Paneuropabewegung. 1922, in wirrer Zeit. „Symbol der Bewegung sollte ein rotes Kreuz auf goldener Sonne sein: das Kreuz Christi auf der Sonne Apollos; übernationale Humanität, verbunden mit dem strahlenden Geist der Aufklärung. Dieses Zeichen auf hellblauem Grund — der blaue Himmel als Abbild des ungetrübten Friedens — wurde zur Fahne der Bewegung.“

Der Gründer dieser Bewegung erließ einen Aufruf, Mitglied zu werden. „Einundfünfzig Anmeldungen kamen, meist von Phantasten und Narren.“ Daraufhin begann Richard Coudenhove-Kalergi allein mit der Organisation und dem Aufbau der Paneuropabewegung, mit der Maxime: „Es sollen uns alle fernbleiben, die die Bedeutung der Idee verfälschen oder für sich nutzbar machen wollen. Alle Sektierer, Verräter, Spione und Zyniker. Denn sie werden mit uns so wenig anzufangen wissen wie wir mit ihnen.“

1924 wurde in der Wiener Hofburg das Generalsekretariat der Bewegung eröffnet. Als Sprachrohr wurde die Monatsschrift „Paneuropa“ geschaffen. Vom 3. bis 6. Oktober 1926 tagte in Wien der erste Paneuropakongreß, unter dem Ehrenvorsitz von Benesch, Caillaux, Loebe, Nitti, Politis und Seipel. Mehr als 2000 Europäer aus 24 Nationen nahmen an diesem Kongreß teil.

Zu Weihnachten 1932 erhielt Richard Coudenhove-Kalergi vom Berliner S. S. S.-Klub eine Einladung, am 30. Jänner 1933 im Hotel Kaiserhof einen Vortrag zu halten über „Deutschlands Europäische Sendung“. Der S. S. S.Klub, Deutschlands führender politischer Klub, überparteilich, trug seinen Namen nach seinen drei Gründern: General von Seeckt, Reichsgerichtspräsident Dr. Walter Simons und Außenminister a. D. Dr. Solf. In seinen Lebenserinnerungen (in': „Eine Idee erobert Europa“) berichtet Richard Coudenhove-Kalergi von einem Gespräch mit Hjalmar Schacht in den bewegten Jännertagen von 1933. Schacht erklärt da: „In drei Monaten ist Hitler Reichskanzler! Aber seien Sie unbesorgt: Hitler ist der einzige Mann, der imstande ist, Deutschland mit den Westmächten zu versöhnen! Sie werden sehen: Hitler wird Paneuropa bringen.“ Coudenhove-Kalergis Einwände beiseiteschiebend betonte Schacht nochmals: „Hitler allein kann Paneuropa schaffen, weil er allein keine Rechtsopposition zu fürchten hat. Stresemann und Brüning haben versagt, weil ihnen immer wieder die Rechtskreise in den Arm fielen. Hitler allein braucht auf diese Opposition keine Rücksicht zu nehmen; darum wird es ihm, und nur ihm, gelingen, Europas Frieden und Zusammenarbeit endgültig zu sichern.“

Am 30. Januar 1933 sprach Richard Coudenhove-Kalergi im Hotel Kaiserhof. „Während der Debatte, die meinem Vortrag folgte, wurden scharfe Angriffe gegen den Nationalsozialismus laut. Ich sprach die Hoffnung aus, daß trotz aller nationalsozialistischen Opposition Paneuropa eines Tages triumphierte werde. — Irdischen wurden, unter dem gleichen Dach, die Grundlagen errichtet für das Dritte Reich.“

Mit dem Sitz in Wien, steht die Paneuropabewegung 1933 bis 1938 im Kampfe mit Hitler. In der Nacht des „Anschlusses“ gelingt es Richard Coudenhove-Kalergi, im Wagen des schweizerischen Gesandten über die Grenze zu fliehen. Das Hauptquartier Paneuropas in der Wiener Hofburg wurde besetzt und beschlagnahmt, die Paneuropaliteratur vernichtet, die Union verboten.

Unter den Fahnen der europäischen Nationen, der Paneuropabewegung und Österreichs sprach am 26. September 1962 Richard Coudenhove-Kalergi über die gegenwärtigen Aufgaben der Paneuropabewegung.

Motive seiner großangelegten Rede und seiner Europapolitik sind: „Die Paneuropabewegung war von Anfang an eine Friedensbewegung, realistischer Pazifismus.“ Mehr denn je bedarf die Welt einer realistischen Friedenspolitik. Dies um so mehr, als seit dem Beginn der Paneuropabewegung die Erfindung der Atombombe einen völligen Umsturz der Kriegstechnik zur Folge hatte. Nach einem dritten Weltkrieg wären die Trümmer eines vereinigten Europas von den Trümmern eines zersplitterten Europas nicht zu unterscheiden. Auf jeden Fall bedeutet ein solcher Atomkrieg nicht nur den Untergang Paneuropas, sondern Europas und seiner dreitausendjährigen Kultur. Daher sollten es alle Paneuropäer unterlassen, mutwillig zum Krieg gegen die Sowjets zu hetzen; ebenso aber, durch die Schwäche und Uneinigkeit des Westens Rußland zum Einmarsch nach Europa einzuladen.

„Die Beendigung des kalten Krieges muß eines der vornehmsten Ziele der Paneuropabewegung sein. Wenn er andauert, muß damit gerechnet werden, daß durch irgendeinen, heute nicht absehbaren Zwischenfall dieser kalte Krieg sich in wenigen Minuten in den Atomkrieg verwandelt. Es gibt nur ein Mittel, den drohenden Atomkrieg zu verhindern: die Beendigung des kalten Krieges durch eine Politik der friedlichen Koexistenz zwischen

den beiden rivalisierenden Wirtschaftssystemen des Westens und des Ostens. Solange es nicht möglich ist, durch einen Friedensvertrag diese friedliche Koexistenz zwischen den beiden Militärblöcken, der NATO und dem Warschauer-Pakt-System, zu gewährleisten, sollte ein langjähriger Waffenstillstand zwischen den beiden Gruppen abgeschlossen werden, bis eines Tages die Voraussetzungen für einen wahren Frieden zwischen ihnen gegeben sein werden. Zu diesen Voraussetzungen gehört die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes für die Europäer jenseits des Eisernen Vorhanges. Denn ihnen, und ihnen allein, kommt die Entscheidung zu, ob sie künftig dem Bund der Europäer angehören wollen oder dem Sowjetblock. Niemals darf Europa seine Brüder und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhanges vergessen. Aber der schlechteste Dienst, den es ihnen erweisen könnte, wäre, sie in das Schlachtfeld der Welt zu verwandeln. Nur durch eine Verbesserung der West-Ost-Beziehungen kann Europa ihnen helfen. Denn nur dann verliert diese Region ihre strategische Bedeutung; dann erst kann sie aus einem Glacis zu einer Kulturbrücke werden.“

„Wie unsere Bewegung vor vierzig Jahren, zur Zeit der Ruhrbesetzung, die deutsch-französische Versöhnung gefordert hat, um einen zweiten Weltkrieg zu vermeiden, so sollte sie heute zur Versöhnung zwischen Ost < und West mahnen, , um den dritten und letzten Weltkrieg zu verhindern. Es erscheint heute weniger schwer, Amerika mit Rußland zu versöhnen, als es damals Schien, eine Brücke der Verständigung zu schlagen zwischen Deutschland und Frankreich.“

Richard Coudenhove-Kalergi bekennt sich zur „Vision eines größeren Europa, eines wahren Paneuropa, von Wladiwostok nach San Francisco“: Das ist das Vermächtnis der alten Paneuropabewegung an die junge Generation. Die Vision eines erdumspannenden Reiches der Europäer, getragen von zwei starken Flügeln, deren westlicher Amerika heißt und deren östlicher Rußland. Dieses neue und größere Europa soll nicht die Eroberungsträume unserer Vorfahren weiterspinnen, sondern im Geiste einer neuen Brüderlichkeit von Nation, Rasse, Partei und Weltanschauung den Kampf gegen den drohenden Atomkrieg — und Atomtod — entschlossen aufnehmen. Denn dieser Atomtod bedroht weniger die alte als die junge Generation. Auch das vereinte Europa ist nur eine kleine Provinz der großen Welt. Sie kann keinen Frieden finden, solange rings um sie kalte und heiße Kriege toben.

Richard Coudenhove-Kalergi schlägt die Einberufung einer großeuropäischen Friedenskonferenz der Mitglieder der NATO und des Warschauer Paktes vor — am besten wohl in Wien.

Richard Coudenhove-Kalergi appelliert an Österreich, seine Aufgabe als Mittler heute vor allem im Kampf gegen den kalten Krieg zu erfüllen.

Das ist das Kennzeichen der falschen und der echten Europabewegungen: An ihrer Stellung zum kalten Krieg kann man sie erkennen!

Am selben Tage, an dem Richard Coudenhove-Kalergi abends im Konzerthaus sprach, fand nachmittags in der niederösterreichischen Landesregierung die Rekonstruktion der österreichischen Paneuropabewegung statt. Ihr Präsidium hat Leopold Figl übernommen. Der Bauernsohn aus Niederösterreich, der am 2. Oktober sechzig Jahre alt würde, verkörpert ein Urvertrauen bäuerlicher und katholischer Herkunft, das dem Urvertrauen Richard Coudenhove-Kalergis, der aus europäischem und-japanischem Uradel stammt (die Kalergis sind eine Nebenlinie der byzantinischen Kaiserfamilie Phokas), entspricht. Gegen die unheilige Allianz der Angstmacher, der Neurotiker, die den kalten Krieg in der eigenen Brust in alle Welt hinaustragen, soll hier, in Österreich, wieder eine starke, lebensfähige Zelle geschaffen werden, in der gute Europäer, gute Österreicher heute für die Entschärfung der Atmosphäre und heute und morgen für das größere Europa arbeiten. Der Mut, den Richard Coudenhove-Kalergi in 68 Lebensjahren bewiesen hat, sollte unsere junge Generation provozieren. Unser Leben und sein Sinn sind so groß, als wir unsere Aufgaben zu sehen wagen.

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