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Führer gesucht

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„Wir können nur in unserem Namen sprechen“ sagte mir Dr. Kadri Tukan aus Nablus, früherer Außenminister und Vetter des jordanischen Ministerpräsidenten, bevor er sich auf dem Luftweg via Nikosia, gemeinsam mit drei anderen Notabein, nach Ägypten begab, um dort der Trauer der palästinensischen Bevölkerung über Nassers Tod Ausdruck zu verleihen. Zum Begräbnis des großen Ägypters konnten sie nicht fahren, denn Uneinigkeit herrschte unter den Einwohnern der Stadt Nablus, und man hatte sie mit dem Tode bedroht, wenn sie im Namen der Bürger dieser Stadt an der Beerdigung teilnehmen würden. Die anderen Mitglieder der Delegation waren der Bürgermeister von Nablus und der frühere jordanische Wohlfahrts-minister. Sie verurteilten zwar den kleinen König auf das heftigste, doch vor dem Bürgerkrieg in Jordanien galten diese Notabein als seine Vertraute am Westufer des Jordans.

„König Hussein ist nicht unser König. Er ist ein Verräter an der arabischen Sache, hat er doch tausende Frauen und Kinder niedergemetzelt.“ Das kann man in Nablus immer wieder hören. Daher sind auch die früheren Freunde des Königs in Verdacht geraten und haben viel Vertrauen eingebüßt. In Nablus ist der Haß gegen den König besonders stark entflammt. Diese Stadt war allerdings schon immer ein Nest des Widerstandes gegen das jordanische Regime gewesen.

„Unser Führer ist Jasser Arafat. Er ist Palästinenser, und wir sind stolz auf ihn. Hussein, der Frauen und Kinder morden läßt, hat kein Recht, die palästinensische Nation zu führen“, erklärte mir Daoud Abu Machmud, ein 30jähriger Lehrer, den ich in einem Cafe am Hauptplatz in Nablus traf. Rings um uns versammelten sich immer mehr Neugierige, um unser Gespräch mit anzuhören. Wir saßen an einem kleinen Tisch am Straßenrand. Einige Kaffeehausgäste brachen ihr Kartenspiel ab, andere ihr Shesh-Besh (ein arabisches Würfelspiel), um an der Diskussion teilzunehmen. Ein junger Kaufmann sagte: „Die Israelis müssen unser Land verlassen; dann soll die UNO kommen, um uns zu ermöglichen, eigene Führer zu wählen. Weder Anwar el Chatib, noch Chikmet el Masri sind unsere Führer. Auch Jasser Arafat wurde von uns nicht gewählt. Vielleicht wird es jemand, den wir heute noch nicht kennen.“ Ein Magister aus der benachbarten Apotheke sagte: „Hussein hat verspielt, aber wir sind schwach. Die Israelis lassen uns keine politische Selbständigkeit und niemand weiß, was sein wird, wenn sie uns morgen verlassen. Dr. George Habash und Arafat sind gute Soldaten, aber keine Politiker. Die Israelis wollen wir nicht, aber Hussein ist noch schlimmer.“

In Jericho traf ich einen Beamten der Gesundheitsbehörde. „Die Israelis sind vielleicht nicht so schlecht, doch sind säe die Besatzungsmacht. König Hussein ist ein Massenmörder. Jasser Arafat ist ein Soldat, auf den wir stolz sind, der aber von Politik nichts versteht. Zuerst müssen die Isralis unser Land verlassen, dann soll eine UNO-Truppe kommen und für Ruhe sorgen, damit wir unsere Vertreter wählen können. Heute weiß noch niemand, wer sie sein werden. In unseren Augen haben die alten Führer verspielt, waren sie doch Anhänger König Husseins, und Junge konnten sich nicht durchsetzen, denn die israelische Militärregierung erlaubt keine politische Tätigkeit. Wie unser Palästina aussehen soll, ob es nur aus dem Gaza-Streifen oder aus Ois-Jordanien bestehen soll, oder auch mit Jordanien vereint werden wird, weiß ich nicht.“ Jede Stadt in Cis-Jordanien hat ihre eigene Mentalität. In Tulkarm hat man Angst, offen zu reden. Meine verschiedenen Gesprächspartner verwiesen mich auf die Lehrer des Seminars, die Intelligenz der Stadt, diese wieder erklärten, daß sie als Staatsbeamte nicht befugt seien, über Politik zu sprechen... Sie trauen nicht einmal ihren eigenen Kollegen.

In Ramallah hörte man das gleiche wie in Nablus: „Auf Dr. George Habash und Jasser Arafat sind wir 9tolz. Doch sie sind nicht unsere politischen Führer. Wer diese sind, wissen wir nicht“, erklärte mir ein kaufmännischer Angestellter, den ich dort in einem Cafe traf. En Hebron ist der Bürgermeister Scheich Mohammed el Dsch'abri tonangebend. Er tritt für die Bildung eines von Jordanien unabhängigen Palästina ein, das eventuell sogar mit Israel kooperieren und außer Cis-Jordanien auch noch den Gaza-Streifen einschließen sollte. In Ost-Jerusalem hat sich dieser Tage eine Gruppe junger Intellektueller zusammengetan, die einen palästinensischen Staat propagiert, die alten Führer und Scheichs nicht anerkennt, mit Israel Frieden schließen will, sich jedoch von den Terroristenführern Arafat und Chabash distanziert. Ob sie sich durchsetzen werden, ist sehr fraglich. Eines ist bereits klar: alle Einwohner Cis-Jordaniens hassen heute König Hussein. Die Israelis sind das kleinere Übel, doch als Okkupationsmacht natürlich auch nicht gerade beliebt.

In bezug auf König Hussein freilich befürchtet man, daß sein etwaiger Sturz in Jordanien und darüber hinaus ein Tohuwabohu heraufbeschwören könnte. Denn die Freischärler-Organisationen sind nicht fähig, zu regieren. Sie sind nur Soldaten.

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