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Führerprobe

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Die Welt bemüht sich wieder einmal nach Kräften, auf dem Kopf zu stehen. Und sie bringt es beinahe fertig. Schien eine Zeitlang nur das gegenseitige Mißtrauen der Großen das Hindernis für ein friedliches Weltbild zu sein und mußte man die Hoffnung als berechtigt ansehen, daß der gute Wille, den Völkern Ordnung und Ruhe zurückzugeben, dieses Hindernis beseitigen werde, so hat sich nach und nach die internationale Szenerie in eine große Reihe von gefährlichen Unruhherden aufgelöst, über deren dunklem Hintergrund in der zerbrochenen Welt politische und weltanschauliche Gegensätze wetterleuchten. Kaum ein Land ist, in dem nicht diese Unruhe zittern würde, und kaum ein Tag, an dem nicht absonderliche Erscheinungen dieser unheimlichen Atmosphäre entstiegen. Man braucht nicht an Balkanländer zu denken. Wer hätte sich vorstellen können', daß der Staat Masa-ryks, den zwei durch Tüchtigkeit und Fleiß ausgezeichnete, einander nahverwandte slawische Stämme bewohnen, bald nach seiner Befreiung aus einer harten urd blutigen Zwingherrschaft das Schauspiel gegenseitiger Zerfleischung und einer wilden Verschwörersucht bieten würde, in der selbst die nächste Umgebung des stellvertretenden Ministerpräsidenten einbezogen und Jagd gemacht wird auf die katholische -slowakische Intelligenz, Ordensbrüder und selbst Ordensfrauen? Nicht nur hier, auch in Italien schwankt die sozialistische Mitte in einer Lage, die gerade sie zu staatsmännischer Zielerkenntnis und dem Erweis staatsaufbauender Kraft nötigen möchte. In dem heftigen Ansturm der radikalen Linken zum Sturze Degasperis, der mit bewunderungswürdigem Geschick bisher das Land durch die vielen Fährnisse der Nachkriegszeit geführt hat, hat Sarragat noch keinen festen Standplatz zu finden vermocht, kann die römische Arbeiterkammer mit der Ankündigung des Generalstreik; fackeln und ein abermaliger Regierungssturz mit knapper Mühe verhindert werden. Überall fiebert es. Schon ruft Ohurchill die Konservativen Englands auf, für Neuwahlen sich vorzubereiten, um England aus einer Bedrängnis zu erretten, deren Ursachen der Führer der Konservativen in einer folgenschweren inneren und äußeren Politik sieht.

Indes der Zionismus seine internationalen Einflüsse in der UNO mobilisiert, um mit einer Teilung Palästinas die staatliche jüdischnationale Heimstätte zu sichern, rüstet die Arabische Liga zu bewaffnetem Widerstand. Und abermals verwirrt sich das palästinensische Problem, bisher, solange England seine Mandatsmacht auszuüben bereit war, eine vornehmlich britische Sorge, nun aber, da England das Mandat an die Adresse der Vereinten Nationen gekündigt hat, eine gefährliche Verlegenheit für die ratlose Welt. So weit greift die allgemeine Unruhe, daß selbst Dänemark, das als eines der wenigen europäischen Länder von dem Schicksal verschont blieb, unmittelbarer Kriegsschauplatz zu werden und seinen Volkswohlstand fast unversehrt aus der Feuersbrunst gerettet hat, von einer Krise geschüttelt wird, die von dem Streit um den Anschluß Südschleswigs ausging und jetzt zu dem Sturz der liberalen Regierung Christensen durch die Linke und der Ausschreibung von Neuwahlen führte.

Zu allen den einzelnen innerstaatlichen und äußeren Dissonanzen die alles übertönende Disharmonie in dem Völkerkonzert der UNO. Vor allem die Bewegungsunfähigkeit ihrer wichtigsten Institution, des Sicherheitsrates, der letztlich in sieben vergeblichen Kampfabstimmungen seine Lebenskraft sosehr zerrieben hat, daß der Vertreter Neuseelands in Lake Success resigniert erklären zu müssen glaubte, man könne „nicht mehr damit rechnen, daß der Weltsicherheitsrat überhaupt in der Lage sei, irgendein Problem zu lösen“. Es ist nur ein Reflex dieses Zustandes an der obersten Clearingstelle für internationale Verständigung, wenn jetzt die Verhandlungen der Wiener Viermächtekommission für den österreichischen Staatsvertrag vor dem Abschluß stehen, ohne daß ein positives Ergebnis von Bedeutung an irgendeiner Stelle erreicht worden wäre.

Das Herüberschatten des breitausladenden Konflikts innerhalb der Großmächte auf alle Geschehnisse in den Völkerbeziehungen und nicht zuletzt auf die Schicksale der Kleinen und Schwachen, die nicht zurückschlagen können und auch keine Lust haben, an internationalen Intrigen und Verschwörungen teilzunehmen, verdüstert heute den Weg der ganzen Menschheit. Dazu die auf den meisten Ländern Europas lastende Sorge um das tägliche Brot, die Angst vor dem bevorstehenden schweren Winter, um die Wiederherstellung der im Kriege zerstörten Arbeitsmittel, die Aufrichtung der Produktion, der Währung und des Rechtslebens, also um die endliche Rückkehr zu Sinn und Wesenheit staatlicher Ordnung — und all dies in das Unberechenbare, Ungewisse getaucht. Nun freilich ist jetzt auch in Österreich die Zeit, da die immer Unruhigen und immer Unzufriedenen ihre Ernte reifen sehen möchten und dafür nichts unversucht lassen werden, sie in ihre Scheuer zu holen. Aber auch die Zeit, wo diejenigen, denen es um ein freies Österreich und um ein freies Menschentum in dieser Stunde geht, ihre Probe werden bestehen müssen. Jeder einzelne und vor allem die Führer.

Bei seinem kürzlichen Besuche in Vorarlberg sprach der Bundespräsident Doktor Renner am Grabe Jodok Finks, seines Vizekanzlers aus der Zeit der Gründung der ersten Republik, warme Worte freundschaftlichen Gedenkens an den großen christlichsozialen Volksmann, aber auch über seine eigene Zusammenarbeit mit dem jetzigen Regierungschef; er rief damit die Erinnerung an jene Eintracht der beiden großen

Staatspartfeien wach, die nach dem ersten Weltkrieg) die ersten Schritte des jungen Staatswesens behütete. Der Weg führte durch Gefahren. Sie wurden durch die Klugheit und den Mut einträchtiger staats-männischejr Führer bestanden. Die damaligen Gegebenheiten und ihre politischen Erfordernisse haben sich mit vervielfachter Dynamik erneuert. Vor allem werden jetzt die beiden führenden Parteien der grundsätzlichen Einigkeit in den politisdien Lebensfragen bodürfen und gleichzeitig der absoluten Lioyalität gegeneinander. Und in dem einein Wesentlichen kann es ja doch nur ein Überzeugung und einen Willen gebera: ein freies Österreich zwischen Ost und West.

Der Ernst der Lage, der keine wesentlichen Unterschiede in ihrer Beurteilung zuläßt, stellt die Führer beider Gesinnungslager vorVeine große Verantwortung. Jetzt sind Staatsmänner zur Prüfung aufgerufen.

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