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Für ein neues modernes Koalitionsgesetz

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Generalsekretärstellvertreter Fritz K 1 e n n e r versuchte in der vorigen Woche in Erwiderung auf meine grundsätzliche Stellungnahme („Die Furche“ Nr. 52/1956) zur Frage des geschlossenen Betriebes eine Reihe von Argumenten für „closed shop“ anzuführen. Bei Abwägung dieser Für und Wider könnte man es bewenden lassen, wenn die Frage nicht doch von weit- tragender grundsätzlicher Bedeutung wäre. Wenn immer wieder auf das Beispiel der Vereinigten Staaten hingewiesen wird, so stimmt dieses Argument möglicherweise in der Theorie, aber es wird von Besuchern amerikanischer Betriebe — deren es auch aus Gewerkschaftskreisen bereits eine ganze Reihe gibt — immer wieder darauf hingewiesen, daß der geschlossene Betrieb in Amerika praktisch nicht durchgeführt ist und auch nicht durchgeführt werden kann. Wieweit diese Behauptung stimmt, entzieht sich meiner Kenntnis, da ich aus eigener Wahrnehmung praktische Beobachtungen nicht anstellen konnte und mich darin auf meine Gewährsmänner aus Gewerkschaftskreisen verlassen muß.

Daß der Mensch in Gemeinschaften hineingeboren wird, ist richtig. Aber als Argument für den geschlossenen Betrieb überzeugt es noch nicht. Der Mensch wird in einen sogenannten Naturstand wie Familie, Sippe u. a. hineingeboren. Dieser Naturstand hat aber ftichts mit der Berufsgemeinschaft zu tun. Die freie Berufswahl und damit die Berufs- und Betriebsgemeinschaft entspringt dem Willen des Menschen, der Berufsstand kann daher dem Naturstand nicht gleichgesetzt werden. Wenn Klenner meint, daß die Konzentration in Gewerkschaften den wirtschaftlich schwachen Einzelmenschen zum gleichberechtigten Partner auf dem Arbeitsplatz macht, dann stimmt dies für Gegenwart und Vergangenheit. Man kann aber nicht von einem Mißbrauch der Freiheit sprechen, wenn der Dienstnehmer zwar die Vorteile, die die Gewerkschaft gebracht hat, für sich in Anspruch nimmt, aber dieser Gewerkschaft nicht bei treten will; denn das Nichtmitglied verlangt ja für sich von der Gewerkschaft keine Vorteile, sondern genießt eben die Vorteile, die ihm nicht der Gewerkschaftsbund, sondern das Gesetz einräumt. Eine andere Regelung ist praktisch auch gar nicht möglich. Für einen Betrieb kann grundsätzlich nur ein Kollektivvertrag und dann für alle Dienstnehmer im Betrieb gelten, ohne Rücksicht darauf, ob sie der Berufsvereinigung angehören oder nicht.

Ich bin bei der Beurteilung der Frage, ob geschlossener Betrieb oder nicht, vom Begriff der Freiheit ausgegangen. Klenner meint, daß es keine triftigen Gründe geben könne, den Beitritt zu überparteilichen Gewerkschaften abzulehnen, außer solchen asozialer Natur. So einfach liegen die Dinge nun aber doch nicht. In vielen Fällen lehnt der Dienstnehmer den Beitritt nicht ab, um den Mitgliedsbeitrag zu sparen. Er ist beispielsweise wegen Unzufriedenheit ausgetreten oder will von Haus aus nicht beitreten, weil ihm gewisse Dinge an den Gewerkschaften nicht gefallen. Wenn Klenner meint, daß nur das Mitglied das Recht der Kritik an der Gewerkschaftsarbeit habe, so ist das an sich richtig, aber wie sieht das praktisch aus? Hat das einzelne Mitglied überhaupt die Möglichkeit der Durchsetzung seiner Kritik? Was ist dann, wenn es mit seiner anerkanntermaßen auch berechtigten Kritik nicht durchkommt? Wo ist die Stelle, bei welcher Kritik geübt werden kann? Besteht heute überhaupt bei dem leider oft sehr bürokratischen Apparat der Gewerkschaften die Möglichkeit einer wirksamen Kritik? Hat sich also das Mitglied, das zwar berechtigt kritisieren kann, aber nicht imstande ist, sich durchzusetzen, einfach zu fügen und nur noch die Möglichkeit, weiter erfolglos zu strampeln oder hat es doch schließlich „das Recht“, äuszutfeten? Ich glaube, diese ultima ratio kann und darf mail dem Mitglied nicht verwehren, sollen die Gewerkschaften nicht letzten Endes Machtapparate werden, die sich nicht nach unten, sondern nur nach oben ausrichten dürfen. Wenn man die Rechte des Mitgliedes nicht auf ein Minimum einschränken will, so darf man ihm diese letzte Möglichkeit nicht nehmen, denn es sind oft gewichtige Gründe, die das Mitglied zum Austritt berechtigen. Ich könnte eine Reihe solcher Beispiele anführen, möchte aber die Diskussion auf das Grundsätzliche beschränken. Im Beitrittszwang liegt aber auch noch eine Gefahr für die Gewerkschaften selbst. Sie könnten zu einem rein bürokratischen Apparat absinken, wenn sie nicht mehr befürchten müßten, daß auch ihre Mitglieder austreten könnten. Wenn Klenner weiter vom moralischen Zwang spricht, der heute bereits in den Betrieben besteht und dem sich ein Dienstnehmer nur schwer entziehen kann, dann ist ja gerade das zu bekämpfen. Ueberall dort, wo Monopoltendenzen auftauchen und ein Zug zur Konzentration besteht, ist auch die Gefahr des Mißbrauchs der Macht gegeben. Daher muß es Kontrollen dieser Macht oder andere geeignete Mittel geben, den Mißbrauch zu verhindern. Im geschlossenen Betrieb sehe ich bisher solche Möglichkeiten nicht. Dazu kommt noch eine weitere Schwierigkeit. Klenner spricht von der Entscheidung der Belegschaft darüber, ob ihr Betrieb ein geschlossener sein soll oder nicht. Welche Mehrheit soll darüber entscheiden? Meint Klenner wirklich die Entscheidung der 51 Prozent über die übrigen 49 Prozent oder meint er eine qualifizierte Mehrheit? Wo erscheint der Betrieb berechtigt „geschlossen“, bei 60, 70, 80 oder gar erst bei 90 Prozent? Jedes Festsetzen einer qualifizierten Mehrheit wäre Willkür.

Man möge uns christliche Gewerkschafter verstehen, wenn wir gegen die Einführung des geschlossenen Betriebe? Bedenken haben. Wir haben noch immqr gewisse Erinnerungen aus der Vergangenheit und auch noch manche aus der Gegenwart. Wenn immer wieder auf sozialistischer Seite das Antiterrorgesetz als unangenehm empfunden wird, so ist daran zu erinnern, daß es seinerzeit nicht von ungefähr beschlossen wurde ... In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, daß das Antiterrorgesetz keine Maßnahmen dafür enthält, wenn der Unternehmer seine Betriebsangehörigen hindert, den Gewerkschaften beizutreten. Das ist leider immer noch vereinzelt der Fall und dagegen kann und muß angekämpft werden. Im übrigen haben sich die Zeiten geändert, und gerade unsere offene und, wie ich glaube, auch ehrliche und vor allem von Mensch zu Mensch geführte Aussprache beweist, daß dies der Fall ist. Es gibt nur einen Weg: uns zusammenzusetzen, Argumente für und wider zusammenzutragen, offene Aussprache zu pflegen und zu versuchen, etwas Neues zu schaffen, das beiden Teilen gerecht wird. Das Koalitionsgesetz von 1871 und möglicherweise auch das Antiterrorgesetz mögen überholt sein. Vielleicht ist wirklich der Weg einzuschlagen, den unlängst ein Kollege der sozialistischen Fraktion vorgeschlagen hat: gemeinsam ein neues Koalitionsgesetz moderner Art zu schaffen.

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