6761874-1968_20_03.jpg
Digital In Arbeit

Für Italien ein erzwungener Eid

Werbung
Werbung
Werbung

Dieser hier nur skizzenhaft wiedergegebene Ablauf von Symptomen einer konsequenten Haltung Italiens in der Causa Südtirol läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Betrachtet man die Dinge mit dem Auge des Realisten, so kann und muß man die Haltung Italiens voll und ganz verstehen. Das in Rede stehende Gebiet ist zunächst durch den Fried ensvertrag von St.-Germain-en- Laye (10. September 1919) rechtsgültig an Italien gefallen. Im Pariser Abkommen vom 5. September 1946 (das ein integrierender Bestandteil des Friedensvertrages der alliierten und assoziierten Mächte mit Italien vom 10. Februar 1947 ist) haben sich Italien und Österreich unter dem Zwang der damaligen Umstände von ihren wechselseitigen Standpunkten mit einem Zuviel beziehungsweise Zuwenig abgefunden.

So mußte das Abkommen für beide Teile, besonders aber für Italien, von vornherein die Bedeutung eines erzwungenen Eides haben. Nun haben sich jene Umstände, unter deren Zwang das Pariser Abkommen entstanden und unterzeichnet worden ist, seither, vor allem zugunsten Italiens, entscheidend geändert. Dessen Weltgeltung ist heute größer denn je, während sich die unsere weniger zu entfalten vermochte. Italien ist heute für den Westen weltpolitisch unentbehrlich. Dies ist bezüglich des neutralen Österreich nicht der Fall. Bezeichnenderweise hat sich auch keines der Mitglieder der EWG in nachdrücklicher Weise für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Österreich eingesetzt. Frankreich war hierin anläßlich des Besuchs seines Ministerpräsidenten im September vorigen Jahres in Wien sogar eher abweisend. Diese ungünstigen Aspekte der internationalen Stellung Österreichs nützt Italien, nachdem es schon in den vergangenen Jahren erfolgreich je nach der jeweiligen Situation einen weichen oder harten Widerstand praktiziert hat, natürlich heute um so nachdrücklicher aus. Dies wurde, nachdem es nicht gelungen ist, wenigstens bald nach Erlassung des Autonomiestatuts, eine sinngemäße Erfüllung des Pariser Abkommens zu erreichen, mit jedem Jahr leichter.

Der Gläubiger ist schuld ...

Als entscheidende Überwindung letzter Hemmungen kann die praktische Nichtbeachtung der beiden Resolutionen der Vereinten Nationen über Südtirol vom 31. Oktober 1960 und 28. November 1961 angesehen werden, in deren erster im Zusammenhang mit der Empfehlung einer Fortsetzung der Verhandlungen hinsichtlich befriedigender Ergebnisse ausdrücklich von „einem vernünftigen Zeitraum“ die Rede ist. Es ist schon in privatrechtlichen Verhältnissen mißlich, wenn sich der Begünstigte allzu geduldig zeigt, ge schweige dann in völkerrechtlichen, wo die in solcher Geduld liegende implizite Auslegung unbestimmter Termine sich nach Umfang und Intensität ungleich nachteiliger auswirkt. Eine zu schwach betriebene Forderung muß den Schuldschein allmählich entwerten. Hier ist es schicklich, daran zu erinnern, daß die ersten noch relativ harmlosen Sprengstoffanschläge im Sommer 1956, also fast zehn Jahre nach Abschluß jenes Abkommens erfolgt sind, dessen sinngemäße, nämlich rechtzeitige Erfüllung ihnen ziemlich sicher vorgebeugt hätte. Als Herr Fanfani nach dem schon etwas weniger harmlosen Attentat auf der Porzescharte den italienischen Botschafter in Wien anwies, er möge mit größtem Nachdruck die österrei chische Regierung auf die internationale Verantwortung aufmerksam machen, die ihr aus der Tatsache erwachse, daß auf ihrem Territorium verbrecherische Aktionen organisiert würden, die dann in Italien zur Ausführung gelangten, so waren damals ohne die geringste internationale österreichische Verantwortung hierfür eben schon weitere fast elf Jahre und seit der Inbesitznahme Südtirols seitens Italiens fast ein halbes Jahrhundert vergangen, in dem es Italien auf seine Weise jedenfalls nicht gelungen ist, durch Befriedigung der berechtigten Ansprüche der Südtiroler seiner internationalen Verantwortung auf eigenem Hoheitsgebiet so rechtzeitig Rechnung zu tragen, daß es zu einem Anlaß jener nachdrücklichen Vorstellungen gar nicht hätte kommen können. Die Gedanken, daß überhaupt Vorwürfe des .säumigen Schuldners an den Gläubiger, er, nämlich der Gläubiger, habe nicht alles zur Abwendung der Folgen seiner, nämlich des Schuldners, Nichterfüllung getan, nach fast einundzwanzig Jahren einfach grotesk sind und unumschränkte Macht in einem Gebiet auch ausschließliche Verantwortung für die daselbst herrschende Ordnung beziehungsweise Unordnung beinhaltet, gingen nur leider in Äußerungen des Bedauerns, im Eifer polizeitechnischer und gerichtlicher Hilfe sowie in den in ihrem positiven Tenor sachlich unbegründeten und für die Weltöffentlichkeit daher irreführenden Reden vor den Vereinten Nationen unter.

Wenn oben eine internationale österreichische Verantwortung für das bisherige Scheitern der Verhandlungen über die Durchführung des allmählich der Fossilisation zum Opfer fallenden Vertrages begründetermaßen abgelehnt wurde, so ist dies hinsichtlich der moralischen Verantwortung allerdings nicht möglich. Der geduldige Gläubiger verliert bekanntlich seinen Anspruch nicht, er gefährdet ihn nur, ist aber dann natürlich für einen praktischen Verfall desselben nicht zuletzt auch vor sich selbst verantwortlich.

Es hat sich nichts geändert

Es wurde bereits gesagt, daß die Politik Italiens in der Südtirolfrage während aller Regierungen seit dem letzten Krieg — es waren deren nicht weniger als zweiundzwanzig — im wesentlichen absolut die gleiche war. Diese Erfahrung allein führt schon jedes Warten auf die dreiund- zwanzigste ad absurdum.

Aber das Warten an sich über die Grenzen aller uns von einer relativ wohlwollenden Weltmeinung zu kluger Nutzung gebotenen „vernünftigen Zeiträume“ hinweg ist nicht der einzige Fehler. Es war und ist, zunächst ganz allgemein, ausgefüllt mit einer von vornherein verfehlten Methode. Diese hat — das kann nach zweiundzwanzig Jahren der Erfahrung kaum bestritten werden — stark dazu beigetragen, uns in die Lage zu bringen, in der wir uns heute eben befinden.

Eine autoritätslose Zeit war in der Geschichte immer noch auch eine Schreckliche, und eine nachgiebige Autorität sieht einer nicht vorhandenen, vor allem in der Auswirkung, verzweifelt ähnlich. Was immer wir aber heute in diesem Zusammenhang tun, kann nur unsere bisherige Haltung bloßstellen und desavouieren. Es ist die große Frage, ob es von einem moralischen und schließlich auch taktischen Gesichtspunkt unsere Aufgabe ist, die peinlichen Begleiterscheinungen und Folgen italienischer Abgeneigtheit bekämpfen zu helfen. Die Attentäter von Ebensee sind bis heute nicht bestraft, ja der Mailänder Untersuchungsrichter hat sie am 25. April 1965 mit der Begründung, eine formelle Anklage wegen eines im Ausland begangenen Verbrechens könne nur auf besondere Weisung des Justizministeriums erhoben werden, aus der Haft entlassen. So unterscheiden sich römische und norisch- pannonische Auffassung der Dinge, der fordernde Schuldner und der sich entschuldigende Gläubiger. Und dies, vor allem unter anderem auch immer wieder in den Generalversammlungen der Vereinten Nationen, vor den Vertretern jener Überseeländer, in Asien, Afrika und Amerika, die sich ihr Selbstbestimmungsrecht mit allen Mitteln und äußerster Härte erkämpft haben. Man kann von einem demokratischen Regime wohl verlangen, daß es nicht selbst Verschwörungen und Attentate in anderen Ländern ermutigt, fördert oder gar anzettelt, jedoch kann man von ihm nicht erwarten, daß es sich über den Rahmen normaler Rechtshilfe und der in die Zuständigkeit der Interpol fallenden Angelegenheiten zum Gendarmen eines anderen Landes macht. Der ganze EWG-Jammer kann unschwer auf unsere vorbildlich verkehrte Haltung gegenüber den offiziell uns nichts angehenden Terroranschlägen zurückgeführt werden. Wohl heißt es in Punkt 3 der zweiten UNO-Resolution: „... empfiehlt ferner, daß die betreffenden Staaten sich jeder Handlung enthalten, die ihre freundschaftlichen Beziehungen beeinträchtigen können“; sie trägt uns aber zum Beispiel nicht auf, zur Verteidigung der Ordnung in Italien Truppen ausrücken zu lassen und so die Attentate, die gewiß nicht wir provoziert haben, für Italien noch zusätzlich aufzuwerten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung