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Für Österreichs Stellung in der Weltwirtschaft

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Bereits vor dem zweiten Weltkrieg sind mit dem Zerfall des Goldwährungsstandards und der durch maßlose Überschätzung des Nachkriegsbedarfs verursachten Überinvestitionen in einzelnen Ländern Strukturwandlungen in weltwirtschaftlichen Gefüge eingetreten, die durch die politische Vorstellung des „geschlossenen, autarken Wirtschaftsraumes“ noch stärker betont wurden. Der zweite Weltkrieg brachte vor allem in den USA eine gewaltige Entfaltung der wirtschaftlich - industriellen Entwicklung, während Kerneuropa, von der technischen Entwicklung abgeschnitten, zu gleicher Zeit schwere Verluste an Industriepotential hinnehmen mußte. Randeuropa, insbesondere Großbritannien, beklagte den Ausfall wichtiger Rohstoffgebiete in Südostasien Kautschuk, Zinn, Erdöl und Kopra, indes in den USA eine Verlagerung nach der synthetischen Produktion eintrat. Weitere Industriereviere sind während des Krieges in Südafrika, Indien und China emporgewachsen. So ergaben sich daraus für die europäische Produktion schwerwiegende Folgen, die nicht zuletzt in der immer stärker fühlbaren Dollarknappheit ihren Ausdruck fanden. Die Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichts war daher — auch mit Hilfe des Marshall-Plans — außerordentlich schwierig, zumal der Krieg die Goldreserven Europas und die außereuropäischen Investitionen zum Großteil aufgezehrt hatte. Die letzte Phase im Ringen um den Ausgleich der zwischenstaatlichen Zahlungsbilanzen ist die Abwertung des Pfundes und im Anschluß daran jene der Währungen von weiteren 35 Staaten. Dieser Anpassungsprozeß der internationalen Wechselkurse ist aber im Grunde nichts anderes als das Eingeständnis einer, im Verhältnis zu anderen Partnern, kostspieliger arbeitenden Industrie.

Auf den Weltmärkten kann sich nur die leistungsfähigste Industrie durchsetzen. Stellt man aber die Durdischnitts- werte der industriellen Produktivität und Landwirtschaft in Europa zunächst dem Wert des Produktionsvolumens pro Kopf des Arbeiters für die Industrie und für die Landwirtschaft in den USA gegenüber, so liegt die Produktivität der industriellen Arbeitsleistung in Europa im Jahre 1948 rund 10 Prozent unter dem Vorkriegsstand von 1938. Der Rückgang der agrarischen Produktivität ist noch wesentlich größer. Andererseits ist in den Vereinigten Staaten die industrielle Produktivität im Verhältnis zu 1938 um 27 Prozent und der landwirtschaftlichen Arbeit im Verhältnis zum Jahresdurchschnitt 193438 u m 75 Prozent gestiegen, so daß die industrielle Produktivität in Europa im Jahre 1948 kaum ein Viertel und die agrarische etwa ein Sechstel der amerikanischen erreichte.

Aber auch innerhalb des europäischen Kontinents besteht ein von West nach Ost sinkendes Produktionsgefälle. Wenn zum Beispiel der Nettowert der industriellen Produktion pro Kopf des Arbeiters in Westeuropa 1948 zwischen 580 bis 900 Dollar Kaufkraftbasis 1938 und der Nettowert der landwirtschaftlichen Produktion zwischen 200 bis 500 Dollar schwankt, so betragen die korrespondierenden Ziffern für Zentraleuropa, darunter auch Österreich, 340 bis 450, beziehungsweise 110 bis 200 Dollar. Dazu kommt, daß nun auch die ehemaligen Agrarländer des S ü d o s t k r e i s e s rund 25 bis 35 Prozent ihres Nationaleinkommens jährlich für industrielle Investitionen einsetzen. Auch von dort ‘also nimmt — ganz abgesehen vom Vorsprung im W esten — der industrielle Druck auf Österreich zu.

Es ist klar, daß das durch schwere Substanzverluste geschwächte Österreich, dem außerdem noch die Notwendigkeit einer tiefgreifenden wirtschaftlichen Strukturwandlung auferlegt ist, hier die Konsequenzen zu ziehen bat. Der Wettbewerb auf den Auslandsmärkten hat bereits vor der jüngsten europäischen Abwertungswelle harte Formen angenommen. Der heutige Lebensstandard kann also nur durch eine gewaltige Steigerung der gesamtwirtschaftlichen, nicht allein nur der technischen Leistungskraft erhalten werden. Heute liegt aber, als Folge der mittelbaren und unmittelbaren Kriegseinwirkungen, die Produktivität der österreidiischen Industrie, bei Annahme des Durchschnittsindex 1937 =s 100, bei 85,42 Juli 1949. Dies, während die Entwicklung in den anderen Ländern über den Vorkriegsdurchschnitt vielfach hinausgegangen ist, so daß es im Grunde keineswegs genügt, sich in Österreich mit der Produktivität der Vorkriegshöhe zu begnügen.

Der gegenwärtige Lebensstandard wird zum Großteil durch die amerikanische Hilfe bestritten. Um das Niveau auch nach Ablauf der ERP-Hilfe halten zu können, muß also eine ganz gewaltige Anstrengung zur Senkung der Produktionskosten pro Gütereinheit vorgenommen werden. Mit der jüngsten Abwertungswelle tritt das Problem der Kostengestaltung in den Vordergrund, ein Problem, das durch technische Vervollkommnung, also Investitionen, betriebsorganisatorische Vorkehrungen, Steigerung der individuellen Arbeitsleistung, und auf dem öffentlichen Sektor durch stabile Währungsverhältnisse, gesunden Staatshaushalt, eine produktionsfreundliche Steuerpolitik, leistungsfördernde Lohnpolitik und durch eine Handelspolitik ergänzt werden muß, die Österreich aus seiner Marktenge herausführt und in übergeordnete weltwirtschaftliche Zusammenhänge einordnet.

Die von den zuständigen Stellen ausgearbeiteten Investitionsprogramme tragen diesen Erwägungen Rechnung. In diesem Zusammenhang treten vor allem die Fragen der Kapitalbildung und hier wieder die Pflege eines leistungsfähigen Kapitalmarkts hervor, was wieder einerseits auf die Steuerpolitik, andererseits auf eine angemessene Abgrenzung des öffentlichen und privaten Kredits rückstrahlt. Zusammen mit der Eigenfinanzierung, mit ermöglichter Rücklagen- und Reservenbildung gilt es, durch entsprechende Lenkung des Kapitalmarktes eine der internationalen Entwicklung angemessene Investitionsquote zu erwirtschaften. In Westeuropa wurde im Jahre 1938 Dollarwert 1938 pro Kopf der Bevölkerung eine Investitionsquote von 27 bis 38 Dollar und im Jahre 1948 eine solche von 32 bis 55 Dollar eingebracht. Österreich darf auf diesem Gebiet nicht Zurückbleiben.

Ein solch tiefgehender Erneuerungs- und Rationalisierungsprozeß benötigt den Einsatz angemessener Mittel. Österreich ist heute ein Land, dessen Kapitalsubstanz erst langsam wieder aufgebaut werden muß, so daß eine Inanspruchnahme des Kapitalmarktes trotz langsam ansteigender Spareinlagen nur in begrenztem Umfange und hier wieder nur für besonders produktive Zwecke in Frage kommt.

Als vernehmlichste Finanzierungsquelle für die durchzuführenden Investitionen springen heute die sogenannten Counterpart Funds, jene Hilfsfondsmittel, die sich aus den Verkaufserlösen der im Rahmen des Marshall-Plans gelieferten und im Inland abgesetzten Güter bei der Nationalbank ansammeln, in die Bresche. Im Durchschnitt gehen heute im Monat 225 Millionen Schilling solcher Beträge auf den Erlös-Konten der Nationalbank ein, die einerseits den Zahlungsmittelumlauf ständig entlasten, andererseits aber nach Maßgabe der von der österreichischen Regierung ausgearbeiteten Investitionsprogramme im Rahmen von an die ECA Economic Cooperation Administration, Washington, herangetragenen Freigabeansuchen für produktive Investitionen oder für Währungsstabilisierungszwecke herangezogen weiden. Insgesamt sind im Kalenderjahr 1949 aus den Hilfsfonds Investitionen im Gesamtwert von rund 2,3 Milliarden Schilling vorgesehen.

In technischer Hinsicht werden diese Hilfsfondsmittel entweder zur Finanzierung der im außerordentlichen Haushalt vorgesehenen Investitionen zum Beispiel Bahn, Post usw. oder aber — soweit sie nicht unmittelbar zur Verminderung der Bundeschuld bei der. österreichischen Nationalbank herangezogen werden — zur Refinanzierung von Seiten der Nationalbank für jene Investitionskredite Aufbaukredite verwendet, und zwar werden sie im Wege der Kreditinstitute nach vorhergehender Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wirtschaftsplanung Begutachtung der Anträge nach der -planungsmäßigen Seite und der Nationalbank Beirat der Bundesregierung zur Lenkung des öffentlichen und privaten Kredits zur Finanzierung genehmigt. Diesem kommerziellen Modus sind auch die Aufbaukredite der verstaatlichten Industrien — nicht aber der Staatsbetriebe! — zwecks besserer kreditwirtschaftlicher Kontrolle unterworfen.

Die Notwendigkeit der gesamtwirtschaftlichen Leistungssteigerung hat die österreichische Bundesregierung außer dem Investitionsbegünstigungsgesetz noch bewogen, im Planjahr 194950 die erste Bundesanleihe seit dem Ende des zweiten Weltkrieges für Aufbauzwecke und zur Konsolidierung schwebender Verbindlich k e i t e n Umwandlung der Reichsanleihe 1938 — zweite Ausgabe zur Zeichnung aufzulegen. Beide Gesetze haben die Steigerung der Produktivität und die Vermehrung des Sozialprodukts durch Erhöhung der Investitionsquote zum Ziel. Wäh-rend das Investitionsbegünstigungsgesetz durch steuerliche Erleichterungen in den Kalenderjahren 194950 zweckgebundene Investitionsrücklagen in der Höhe von 20 Prozent des Gesamteinkommens von Seiten der einzelnen Unternehmungen ermöglichen will, soll die fünfprozentige Aufbauanleihe 1949 außer der Konversion und dem Anreiz zur Auflösung von Horten durch eine mit dieser Anleihe verbundene Steueramnestie, Mittel zur Finanzierung von Investitionen bereitstellen. In diesem Zusammenhang hat es die Bundesregierung als zweckmäßig befunden, für die Zeichnung der Anleihe den großen Kreis jener Personen zu gewinnen, dem im Jahre 1938 für die verschiedenen österreichischen Anleihen die Konversion in eine „deutsche Reichsanleihe 1938 — zweite Ausgabe“ auf erlegt worden ist. Damit wird den Besitzern dieser Reichsanleihe, die in Wahrheit nicht deutsche Staatspapiere gezeichnet hatten, sondern früher Besitzer vollwertiger österreichischer Bundesanleihen waren, die Möglichkeit erschlossen, durch Zeichnung dieser neuen Aufbauanleihe einen Teil ihres früheren Anleihevermögens wieder herzustellen.

Hilfsfonds, Investitionsbegünstigungsgesetz und Aufbauanleihe sind demnach die tragenden Pfeiler für die Finanzierung der notwendigen Investitionen, die in technischer Hinsicht die Leistungsfähigkeit Österreichs wiederherstellen und damit die Wettbewerbsfähigkeit auf den Auslandsmärkten erhöhen. Eine auf die weltwirtschaftliche Einordnung östereichs gerichtete aktive Handelspolitik wird die sinngemäße Ergänzung hiezu bieten. Wesentlich ist allerdings, daß die Steigerung der Produktivität zu einer wirklichen „Res publica“ wird. In diesem Sinne wird vor allem die Ausrichtung nach den höheren Werten der sozialen Gerechtigkeit, des Pflichtbewußtseins, der Disziplin und die Beobachtung der ewigen Sittengesetze im großen und im kleinen das „Kapital höchster Ordnung’ sein, ohne welches jede auf das rein Materielle gerichtete Anstrengung zum Scheitern verurteilt ist.

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