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Für Täter äußerst viel Verständnis

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Seit wenigen Tagen liegt der überarbeitete Entwurf zum Pornographiegesetz vor. Bringt er etwa Verbesserungen?

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Seit wenigen Tagen liegt der überarbeitete Entwurf zum Pornographiegesetz vor. Bringt er etwa Verbesserungen?

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is Mitte März will man entscheiden, welche konkreten gesetzgeberischen Vorschläge dem Ministerrat zur Beschlußfassung vorgelegt werden. Bereits im Frühjahr letzten Jahres hat Justizminister Michalek Maßnahmen zu einer Gesamtreform des I\)rno-Gesetzes vorgeschlagen. Neben einigen )ositiven Neuerungen, die die Bestrafung der Kinderpornographie und die Ausdehnung des Jugendschutzes auf Bildlichkeit, Schriftlichkeit und Ton vorsehen, weist der vorliegende Entwurf aber zahlreiche Schwächen auf, die zu einer weiteren Bearbeitung drängen.

Geändert wurde unter anderem die Altersgrenze für den Jugendschutz, die man bei 16 Jahren (statt bisher 18) ansetzt.

Eine der größten Lücken in der Darlegung ist die Straffreiheit sogenannter „Vorbereitungshandlungen" zum Kindesmißbrauch. Ein Gesetz, das dies duldet, ist betont kinderfeindlich. Denn so wird man zukünftig gegen Inserate in Zeitungen, die Kinderprostitution zum Ziel haben, nichts machen können. Unbekannte dürfen ungestraft per Annoncen nach einer „lieben Mama in finanziell beengten Verhältnissen mit einem willigen Buben" suchen. Die Behörden müssen zusehen, wie Kinderpeiniger auf diese Weise ihre Opfer anlocken. Allein diese Tatsache beweist, daß im Justizministerium die seit langem versprochenen legisti-schen Maßnahmen zur Verhinderung der K inderpornographie mehr ein Gerede als eine Wirklichkeit bleibt.

Begünstigt werden Pornohändler auch dadurch, daß im Entwurf sämtliche Ver-breitungsbeschrän -kungen und verbotene Ankündigungen im Sinne Paragraph 10 des geltenden Pornographiegesetzes entfallen. Wie kann man aber den Jugendschutz einigermaßen aufrecht erhalten, wenn ohne dieser Bestimmung die juristisch einwandfreie Möglichkeit besteht, einschlägige Produkte auf allen Plätzen (also auch vor Schulen) zu verbreiten?

Unter Paragraph 6 heißt es, daß pornographische Darstellungen mit Unmündigen oder mit Tieren sowie Gewaltdarstellungen nicht zu bestrafen sind, wenn sie der Wissenschaft, der Erfüllung einer Berufspflicht oder sonst einem anerkannten Zweck dienen. In dieser Freistellung liegt ein großes Schlupfloch verborgen. Denn damit könnte auch der abstoßendste Wortunrat in Büchern erlaubt sein, wenn es dem Autor gelingt, einen „wissenschaftlichen" oder „anerkannten Zweck" vorzutäuschen. Möglichkeiten gibt es dazu genug. Juristen weisen auf die Schwierigkeiten hin, einen „anerkannten Zweck" zu definieren.

Zur Farce wird das Gesetz schließlich, wenn es den „zwingenden Verfolgungsverzicht" der Verbrecher durch die Staatsanwaltschaft vorsieht. Mit dieser Maßnahme können Kinderschänder nach polizeilicher Gefangennahme bis zum Prozeß wieder laufen gelassen werden. Erscheint nicht der Eindruck, daß der Gesetzgeber sich mehr Sorgen um die Täter als um die Opfer macht. Tatsächlich ist es in Österreich rechtlich viel einfacher.

sich aus einer Kindesmißhandlung als aus einem Ladendiebstahl herauszureden. Grundsätzlich haben die Entwerfer von den Folgen des Pornographiemißbrauches unvollständige oder direkt falsche Ansichten. Auf Seite drei der Erläuterungen, die dem Gesetz beigelegt sind, wird behauptet, daß der Konsum von „Standard-Pornographie" keine direkten Auswirkungen auf das sexuelle Verhalten hat. Man beruft sich auf die angeblich größte Studie der letzten Zeit, genannt „Erotika und Pornographie", eine psychologische Langzeitstudie der Verlags Union München. Gleichzeitig wird eine leicht sinkende Tendenz bezüglich der Sittlichkeitsdelikte festgestellt. Diese Behauptung steht in krassem Gegensatz zu den täglichen Berichten von Sittlichkeitsdelikten, von unerhört vielen Sexualvergehen an Kindern in und außerhalb der Familie, wobei man annehmen muß, daß nur ein Drittel überhaupt bekannt wird.

Die Behauptung, daß Pornographie keine schädlichen Auswirkungen hat, dürfte ein Wunschbild sein. Dem steht jedenfalls gegenüber, daß Sexverbrechw vor Gericht zugegeben haben, daß sie ihre Anregungen zum Verbrechen durch diverse Videos erhielten. Sie haben sogar bis in Details die im Film gesehene Gewalttat nachgeahmt. Dieser Tatsache soll sich auch der neue Gesetzesentwurf nicht entziehen.

Walter Hauptmann, Facn-experte und Vorstand der In-terfakultären Forschungsstelle für Rechtspsychologie an der Universität Salzburg, hat in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf auf den Zusammenhang zwischen Pornoprodukten und Tathandlung hingewiesen. Außerdem bewies er anhand einer umfangreichen Studie, daß Schriften sowie Tonträger annähernd gleiche Effekte erzielen wie bildliche Darstellungen. Dies steht im Gegensatz zu dem vom Justizministerium verbreiteten Entwurf, der zukünftig pornographische Schriften und Tonaufnahmen als Tatobjekte ausscheiden will.

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