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Fur den konfessionellen Frieden

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Im Namen des konfessionellen ist seit der Wiederherstellung der österreichischen . Staatlichkeit Erfreuliches geschehen. Dieser von allen Gutwilligen warm begrüßte Fortschritt, soll bewahrt und vergrößert, werden. Ein Zwischenfall veranlaßt jedoch einen Apoell an d\f Berufenen.

Die in Wien erscheinende Halbmonatsschrift „D er neue We g“, dfe sich mit ihrem Untertitel als „Jüdisches Or?an mit amtlichen Mitteilungen der Isrealitischen Kultusgemeinde Wien“ legitimiert, veröffentlicht in ihrer dieser Tage erschienenen Nummer 21/22, anschließend an die amtlichen Mitteilungen der Kultussemeinde einen umfänglichen Artikel: „Vom Lueger-Marsch zum Juda verrecke.“ Auch wenn diesem Titel nicht die Rubriken-Merke vorgesetzt wäre: „Der Leser hat das Wort“, würde man nicht die amtliche Stelle, welche die repräsentative Geltung dieses Blattes garantiert, für den Inhalt dieses Artikels aus ihrem Vorwissen verantwortlich halten können. Aber gerade deshalb wird man darauf rechnen, daß an dieser Stelle der Anruf im Sinne des inneren Friedens und der gemeinsamen Wohlfahrt Verständnis findet.

Der Artikel setzt mit einer Art zeitgeschichtlichen Rückblick ein, in dem gesagt wird, für die Kommunalisierungspolitik des „Lueger-Soz'alismus“ sei das „Hauptmotiv“ das Bestreben gewesen, „möglichst viele Wähler in ein Abhängigkeitsverhältnis zu bringen und dadurch der christlichsozialen Partei zuzuführen“. Nach dieser Betrachtung eines stadtwirtschafthehen Programms, dessen Durchführung und Erfolge europäischen Ruhm erwarben und bahnbrechend in der Kommunalpolitik wirkten, fährt der Verfasser fort, auf dem Höhepunkte ihrer Macht habe die Partei I.uegers den Radauantisemitismus nicht mehr brauchen können, aber die alten Schlagworte bis zu dem Refrain des Lueger -Marsches: „Der Lueger soll regieren und die Juden sollen krepieren“ hätten weitergelebt:

„Als das Horst-Wessel-T.ipd durch Deutschlands Straßen hallte, da scholl als Schlachtruf der braunen Horden der “Refrain des Lueser-Marsches — im Text etwas verpreußt — wider: Jud* verrecke! Der Schlußschritt vom österreichischen Reügions- nnd Wirtschafts-Antisemitismus zum deutschen Kassen-Antisemitismus war getan Er kostete in Europa sechs Millionen Juden das Leben.

Vom Lueger-Marsch bis zum Schlachtruf der SA zieht dieser Refrain als politischer Weisheit letzter Schluß durch zwei Menschena!terin seinem Geburtslande (!) 'Österreich, herum: ,Schlagt die Juden tot!'

„Wir verzichten darauf die zu erhebende Beschwerde durch Zitate der folgenden Beschimpfungen des österreichischen Volkes zu verschärfen — Beschimpfungen, wie sie noch kaum ein Feind Österreichs niedergeschrieben hat. Wir wollen uns nicht einmal mit der ungeheuerlichen Bezichtigung befassen:

„Der Österreicher Hitler hat den Krieg gegen die ganze Welt geführt und verloren, hinter ihm standen, solange er siegreich war, nahezu alle Österreicher. Erst als ihn das Kriegsglück verließ, verlassen mußte, gingen manchen Mitläufern die Augen auf.“

Denn die Unwissenheit des Verfassers ist so groß, daß ihm das Verdienst der christlichsozialen Bewegung unbekannt blieb, vom Grundsätzlichen her die rassenantisemitische Welle gebrochen zu haben, die vom schönerianisehen Alldentschtum her um die Jahrhundertwende Österreichs zu überschwemmen drohte. Hier ist es uns darum zu tun, das Festsetzen einer Geschichtsfälschung zu verhindern und ihr zu verwehren, neue Erbitterung und neuen Haß in die befriedete Gemeinschaft zu tragen. Der Gedankengang des zitierten Artikels „Vom Lueger-Marsch bis zum Juda verrecke!“ ist von Anfang bis zum Schluß auf einem falschen Text des Lueger-Liedes aufgebaut, Noch leben Hundemausende, die für den Text dieses Liedes Zeugnis geben und ihn unzählige Mal auf der Straße und in Versammlungen als das begeisternde Kampflied sittlicher und sozialer Erhebung gesungen haben. Ein einfacher Mann aus dem Volke hatte es gedichtet. Sein Name ist verschollen. Der vollständige Text lautete wörtlich: “

„Laßt uns den Helden preisen, der uns zum Kampfe führt,

Ihm freudig Ehr erweisen und Dank, der ihm gebührt.

Laßt uns die Hände heben für ihn auda zum Gebet,

Gott möge Sieg uns geben, wo nur sein Banner weht.

Für Freiheit, Recht und Wahrheit kämpfst Du mit starker Hand,

Des Christenbanners Klarheit trägst Du durchs ganze Land,

Dein mädht'ges Wort die Herzen erfüllt mit Kampfeslust,

Warm schlägt für Volkes Schmerzen das Herz Dir in der Brust.

Dich fürchten nur die Hasser des Kreuzes und des Lichts,

Die Zagen und die Prasser, Du selbst, Du fürchtest nichts.

Das Volk, dem Du Dich weihtest, Dein Volk, es liebt auch Dich,

Und was Du ihm erstreitest, dankt es Dir ewiglich.“

Zu jeder Strophe lautete der Refrain :

„Hoch Lueger! laßt uns singen, aus dem Herzen soll es klingen,

Stimmet froh sein Loblied an! Ehre sei dem braven Mann!

Man mag an diesem Text die Leichtfertigkeit der Auslassungen ermessen, zu deren Veröffentlichung ein amtliches Mitteilungsblatt mißbraucht wurde. Es ist wohl als sicher anzunehmen, daß von jener Stelle, unter deren publizistischem Dach die hier gekennzeichneten, bedauerlichen Ausschreitungen erfolgten, das Notwendige zum Schutz gemeinsamer Interessen und zur Gutmachung veranlaßt werden wird.

Kürzlich wurden in Wien zwei Symphoniekonzerte angekündigt, die von einem Gastdirigenten aus dem Ausland geleitet werden sollten und wegen ihres Programms regem Interesse unseres Publikums begegneten. Sie wurden, kurz bevor sie stattfinden sollten, abgesagt und einige Zeit darauf wieder angekündigt. Aber nur das erste Konzert fand statt; das zweite mußte überhaupt entfallen.

Ein Liederzyklus eines modernen Komponisten wurde nicht weniger als viermal angekündigt und wieder abgesagt, so daf? bei Laien schüchterne Zweifel aufstiegen, ob er überhaupt schon fertigkomponiert sei. Eine Oratorienaufführung wurde zweimal verschoben, also dreimal angekündigt, und nunmehr endgültig auf den Herbst vertagt. Man könnte eine ganze Liste all der Veranstaltungen und Werke, insbesondere solche neuerer Komponisten, aufstellen, die angesagt wurden und nicht stattgefunden haben. Es wäre nicht zu wundern, wenn das Konzertpublikum allmählich allen Ankündigungen auf weitere Sicht skeptisch begegnete und künftig zögern würde, sich die Eintrittskarten zu musikalischen Veranstaltungen mehrere Tage oder Wochen im voraus zu besorgen. Das wäre schade, vor allem vom Standpunkte der Veranstalter Bei guter Vorsicht müßte sich dieser Übelstand während der nächsten Spielzeit doch wohl auf jenes kleinere Maß beschränken lassen, mit dem bei einem umfassenden Konzertbetrieb und angesichts der gewiß vielen noch zu überwindenden technischen Schwierigkeiten gerechnet werden muß.

Ein Bericht der Agentur United Press vom 3. Juli meldete, in der amerikanischen Zone Westdeutschlands habe der stellvertretende Militärgouverneur. Generalleutnant Lucius D. C 1 a y, für alle Nationalsozialisten, die, nach dem 1. Jänner 1919 geboren, also jüngerals 27 Jahre sind und gegen die keine Anklage wegen strafgesetzlich zu verfolgender Akte vorliege, einen „Generalpardon“ erklärt mit der Begründung, daß „diese Altersgruppen praktisch keine M ö g 1 i c h k e i t. hatten sich dem nationalsozialistischen Einfluß zu entziehen“. Diese Amnestie trifft also in Westdeutschland der amerikanischen Zone alle, die 1933 noch nicht 14 Jahre alt geworden waren. Es wird in der englischen Zone nicht anders sein.

Viele Österreicher, die seit einem Jahre mit unserer jungen Generation beruflich zu tun hatten, zumal Hochschullehrer, haben tiefbewegt die Tragik junger Menschen vor sich gesehen, die In frühem Alter irgendwie der Partei eingereiht, ohne etwas Straffälliges getan zu haben, nun sich verzweifelt dem Ausschluß von den Studien oder der Sperre ihres Berufseintnttes gegenübersehen. Immer wieder der Ausbruch bitteren Schmerzes: „Heute bin ich 24; 1938, als der Nationalsozialismus kam, war ich 16 Jahre alt. Heute verlangt man von mir,daß ich, als kh von der Pflichtorganisation der Hitlerjugend zur Partei kam, schon die Politik besser verstanden haben soll als so mancher Erwachsene. Ich soll jetzt fertigstudieren, bald meine Eltern von ihren für mich gebrachten Opfern entlasten, ich möchte arbeiten, meine Pflicht tun und man läßt es nicht zu!“ — Gegenüber solcher verzagenden Jugend hat es dann immer nur den Trost gegeben: „Nur Geduld. Das zu erwartende Gesetz wird ungerechte Härten vermeiden “ Viele Hunderte junger Menschen sind betroffen. Man muß ihnen den Glauben an die Gerechtigkeit geben. Wir Österreicher dürfen uns gegenüber unserem eigenen Fleisch und Blut nicht durch die Menschlichkeit und weise Mäßigung beschämen lassen, die ein amerikanischer General deutscher Jugend erweist, in der Überzeugung, sie dadurch „vom Einfluß der Nazi-Ideologie freizumachen und zum Verstehen wahrer Demokratie zu führen“.

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