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Gastfreund statt Unternehmer

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Wenn die Grazer Südost-Herbstmesse 1964 ihre Pforten öffnet, wird sich dem interessierten Besucher eine imposante Schau von Spitzenleistungen der steirischen Wirtschaft präsentieren. Eisen und Holz, Maschinen und technische Geräte, Textilien und landwirtschaftliche Erzeugnisse werden in bunter Folge wie auf einer Palette ausgebreitet sein und so den Fleiß und den unbändigen Selbstbehauptungswillen eines Grenzvolkes dokumentieren. Bei Betrachtung des steirischen Wirtschaftsgefüges darf aber auch der Fremdenverkehr nicht fehlen, setzt er doch in unserem Land Beträge um, die an die Milliardengrenze reichen. Dabei macht allerdings der Fremdenverkehrswirtschaft — wie natürlich auch anderen Wirtschaftszweigen — die geographische Randlage unseres Landes sehr zu schaffen. Diese Schwierigkeit konnte aber in den letzten Jahren immer mehr durch eine solide Werbung, durch Verbesserung der Verkehrsverhältnisse und der erhöhten Ausgestaltung der Fremdenverkehrseinrichtungen und Betriebe überwunden werden. So verzeichnet die Steiermark im abgelaufenen Fremdenverkehrsjahr gegen 6 Millionen Nächtigungen von in- und ausländischen Gästen, wobei die Zuwachsrate ausländischer Fremdennächtiguingen über dem österreichischen Durchschnitt liegt.

Dessenungeachtet ist die Steiermark nach wie vor das ideale Erholungsgebiet für den österreichischen Feriengast mit der kleineren Brieftasche oder der größeren Familie, weil die Betriebe die Forderung der steirischen Fremdenverkehrspolitik nach Preistreue und Preisdisziplin weitestgehend erfüllen. Man wird aus der Steiermark kaum Klagen über Preisexzesse vernommen haben, obgleich auch hier die Lebensmittelpreise und Personallasten wie überall etwas angestiegen sind. Eine der Ursachen der Preistreue ist die Tatsache, daß im offiziellen steirischen Gaststättenverzeichnis bei den Tagespensionspreisen Inklusivpreise verzeichnet sind, in denen also die Trinkgeldablöse und sonstige Abgaben inbegriffen sind. Damit wird jegliche Manipulation bei der Verrechnung von Zuschlägen etwa je nach dem Aussehen des Gastes verhindert. Der Inklusivpreis im Gaststättenverzeichnis sieht naturgemäß zunächst wie eine Preiserhöhung aus, ist es aber nicht Der Nachteil dieser Optik ist jedoch bei weitem aufgewogen durch die größere Verläßlichkeit der Preisauszeichnung, die von zahlreichen Fremdenverkehrsfachleuten und vor allem von den betroffenen Gästen auf das wärmste begrüßt wurde. Aber auch der Gastwirt weiß heute, daß er der wachsenden in- und ausländischen Konkurrenz nur durch höhere Leistungen bei gleichbleibenden stabilen und angemessenen Preisen begegnen kann.

Aber auch das Fremdenverkehrsreferat der Steiermärkischen Landesregierung tat das seinige, um die Situation der Gast- und Beherbergungsbetriebe zu entlasten. Im laufenden Jahr wurden gegen 17 Millionen Schilling begünstigter Kredite an kleinere und mittlere Betriebe abgegeben, was zur Foge hatte, daß die damit getätigten Investitionen nicht sofort ihren Niederschlag in einem erhöhten Preis fanden. Durch namhafte Zuschüsse des Referates wurden die steirischen Fremdenverkehrsgemeinden beziehungsweise die Fremdenverkehrsvereine in die Lage versetzt, Prospekte aufzulegen und für die Ortsverschönerung zu sorgen.

Aber es folgten noch andere Maßnahmen. Die an warmen Badeseen nicht allzu gesegnete Steiermark verzeichnete im Jahre 1952 als Ersatz hierfür 58 Schwimmbäder. Im Jahre 1964 waren es bereits 138, wobei im nächsten Jahr noch über 30 weitere Badeanlagen dazukommen werden.

Der allgemeine Zug zum geruhsamen Bergwandern veranlaßte das Fremdenverkehrsreferat, dafür zu sorgen, daß eine Reihe von Schutzhäusern neu ausgebaut und ein Netz von Wanderwegen angelegt wurde. Die Dienste, die hier die alpinen Verbände, wie der österreichische Alpenverein, die Naturfreunde und andere alpine Vereinigungen geleistet haben, sind unschätzbar.

Die Verkehnslage hat sich in der Steiermark stark verbessert. Die beiden Straßenzüge von Graz nach Wien sind breiter und damit schneller geworden. Die Ennstalbundesstraße zählt nunmehr nach ihrem endgültigen Ausbau zu den schönsten Straßenzügen Österreichs und verbindet entweder über Schlad- ming oder über Bad Aussee die Landeshauptstadt Graz mit dem Westen. Diese Straße dient auch dem Durchzugsverkehr nach dem Südosten, und es ist erfreulich, festzustellen, daß sich die Liberalisierung des Reiseverkehrs mit Ungarn auch für die Hotellerie von Graz günstig auszuwirken beginnt. Zahlreiche ausländische Reisegruppen nächtigen vor oder nach einer Ungarnreise in der Landeshauptstadt Graz. Anderseits erhalten Ungarn neuerdings für eine Auslandsreise einigermaßen ausreichende Devisen, und damit gewinnt die Steiermark einen alten, traditionellen Kundenkreis wieder zurück.

Mit diesem Partner ist die Einseitigkeit des Reiseverkehrs nach dem Südosten wesentlich herabgemindert worden, während mit Jugoslawien nach wie vor der Zustand der touristischen Einbahn besteht, das heißt, viele Österreicher fahren nach Jugoslawien und fast keine Jugoslawen kommen nach Österreich. Dies ist ein ungesundes und unbefriedigendes Verhältnis. Bisher hat man von Gegenmaßnahmen abgesehen, aber es wäre der jugoslawischen Regierung schon zu empfehlen, mehr Reisedevisen zuzuweisen als bisher.

Die Elektrifizierung der Österreichischen Bundesbahnen auf dem steirischen Gebiet steht vor ihrem Abschluß. Mit der Eröffnung des Teilstückes St. Michael—Selzthal ist einer der bedeutendsten Verkehrswünsche der Steiermark erfüllt. Nun bleibt nur noch das Stück Bruck an der Mur—Graz übrig, und auch die Verwirklichung dieses Ausbauwunsches ist in greifbare Nähe gerückt.

Der Luftverkehr hat sich in der Steiermark überaus gut eingeführt. Die Frequenzen sind die besten aller innerösterreichischen Luftverkehrslinien. Es ist daher unverständlich, warum die Austrian Airlines den Flugplan für Graz in der Zukunft ungünstiger gestalten wollen. Aber hier wird wohl das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.

Besonders liegt dem Land Steiermark die Erschließung der Bergwelt durch Höhenstra-

ßen am Herzen. Hier wurden in den letzten Jahren einige großzügige Straßenbauten vollzogen, die zu einer richtigen Sehenswürdigkeit wurden. Es ist dies vor allem die Hochwurzenstraße bei Schladming, die Dachstein- Thürlwandstraße in der steirischen Ramsau, die Straße auf den Stoderzinken bei Gröb- ming, die Straße Mitterndorf—Tauplitz, die

Sölkpaßstraße sowie die Planneralmstraße, um nur einige zu nennen.

Man sieht also, daß auf allen Teilgebieten des Fremdenverkehrs gearbeitet und geplant wird. Dies gilt aber vor allem für die Wintersaison, die sogenannte zweite Saison, die wir zur Auslastung unserer Bettenkapazität so notwendig benötigen.

Der Ausbau der Steiermark zu einem vortrefflichen Wintersportland vollzieht sich dank der hervorragenden landschaftlichen Gegebenheiten und eines wohlüberlegten Planes überaus zügig. Heute verfügt die Steiermark über 200 Skischlepplifte, welche die Voraussetzung für das Entstehen neuer erholungsspendender Winterferienorte bieten. Daneben werden die bereits wohl eingeführten Wintersportzentren, wie Mitterndorf- Tauplitz, das Ausseerland, Schladming und Haus im Ennstal, die Planneralpe und das Mariazeller Gebiet, immer besser mit Wintersporteinrichtungen versorgt. Diese Orte verfügen über gepflegte und gesicherte Skiabfahrten, Eislaufplätze und Rodelbahnen, welche Jahr für Jahr besser ausgestaltet werden. Die steirischen Rennläufer sind in die

Spitzengruppe der österreichischen Nationalklasse vorgedrungen und künden damit in beredter Weise die Eigenschaft und Qualität des steirischen alpinen und nordischen Skilaufes.

Das Bild des steirischen Fremdenverkehrs wäre nicht abgerundet, wenn man nicht den Blütenreichtum im Frühling und die im Herbst in Farbenpracht erglühende Land-

schäft mit Kastanien und edelstem Wein erwähnen würde. Diese beiden Jahreszeiten eignen sich ganz besonders zu einem geruhsamen Urlaub. Viele schätzen vor allem die Traubenkuren im steirischen Weinland, und Zehntausende bevölkern zu allen Jahreszeiten die Gesundbrunnen unseres Landes, wie Bad Gleichenberg, Aussee, Wörschach und Einöd sowie die zahlreichen Luftkurorte.

Das eben wiedergegebene Bild des steirischen Fremdenverkehrs zeigt die Größe der Aufgabe, die den verantwortlichen Stellen im Land gestellt ist. Was wären aber all diese materiellen Leistungen, wenn nicht hinter ihnen der Mensch mit Fachkenntnis und Unternehmergeist stünde. Zur Ausschöpfung der wirtschaftlichen Möglichkeiten des Fremdenverkehrs bedarf es einer intensiven Schulung zur Fremdenverkehrsbereitschaft der gesamten Bevölkerung. Hotelfachschulen, Berufsschulen für das Gastgewerbe und Kurse taten auf dem Gebiet der Heranbildung von Fachkräften der Fremdenverkehrswirtschaft in der Steiermark ganze Arbeit. Durch unzählige Referate und Hinweise bei Versammlungen von Fremdenverkehrsvereinen und Verbänden ist aber auch die Fremdenverkehrsgesinnung im Land Steiermark erheblich gestiegen. Heute weiß die Bevölkerung unseres Landes von der Bedeutung des Fremdenverkehrs und seiner wirtschaftlichen Stellung. Dieses Wissen, verbunden mit einer fröhlichen und der Welt zugewandten Art, schafft jenen Menschenschlag, der berufen ist, mehr Gastfreund als Unternehmer zu sein.

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