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Gaustadt im Aschenregen

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Inl Herold-Verlag erscheint soeben das erregende Buch „Finale in Wien“ von Fritz M. Bebhann, aus dem die „Furche“ heute und in den folgenden Wochen einige Teile abdruckt. Der Beiz der Publikation ist, neben der Wohlinformiertheit, die durchlaufende, beinahe trockene Gegenüberstellung von harten Wirklichkeiten und Weltuntergangsstimmungen einerseits, anderseits der „musischen Betäubungen“ fast bis zur Katastrophe, aus welchem Dilemma sich besonders das schillernde Porträt Bürgermeister Blaschkes schält — dem der Verfasser bei aller Kritik ein gewisses Verständnis entgegenbringt. (Haupt- und Zwischentitel stammen von der Bedaktion.) — Der Autor, Dr. phil. Fritz Maria Bebhann, Jahrgang 1925, aus einer altösterreichischen Familie von Staatsbeamten und Historikern stammend, arbeitete im Handels- und Verkehrsministerium, leitete eine bekannte Zeitschrift und mehrere Nachrichtendienste, verfaßte Artikel über Wirtschafts- und Kulturfragen, gehört seit zehn Jahren der Wiener Stadtverwaltung an. In seine Heimat und Vaterstadt unglücklich verliebt, sucht er ständig nach historisch fundierten Erkenntnissen oder Entschuldigungen, befragt Fachgrößen, informiert sich bei Augenzeugen, stöbert in Archiven, siebt seine eigene Biesenbibliothek und schreibt, schreibt, schreibt...

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Inl Herold-Verlag erscheint soeben das erregende Buch „Finale in Wien“ von Fritz M. Bebhann, aus dem die „Furche“ heute und in den folgenden Wochen einige Teile abdruckt. Der Beiz der Publikation ist, neben der Wohlinformiertheit, die durchlaufende, beinahe trockene Gegenüberstellung von harten Wirklichkeiten und Weltuntergangsstimmungen einerseits, anderseits der „musischen Betäubungen“ fast bis zur Katastrophe, aus welchem Dilemma sich besonders das schillernde Porträt Bürgermeister Blaschkes schält — dem der Verfasser bei aller Kritik ein gewisses Verständnis entgegenbringt. (Haupt- und Zwischentitel stammen von der Bedaktion.) — Der Autor, Dr. phil. Fritz Maria Bebhann, Jahrgang 1925, aus einer altösterreichischen Familie von Staatsbeamten und Historikern stammend, arbeitete im Handels- und Verkehrsministerium, leitete eine bekannte Zeitschrift und mehrere Nachrichtendienste, verfaßte Artikel über Wirtschafts- und Kulturfragen, gehört seit zehn Jahren der Wiener Stadtverwaltung an. In seine Heimat und Vaterstadt unglücklich verliebt, sucht er ständig nach historisch fundierten Erkenntnissen oder Entschuldigungen, befragt Fachgrößen, informiert sich bei Augenzeugen, stöbert in Archiven, siebt seine eigene Biesenbibliothek und schreibt, schreibt, schreibt...

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Im Sommer 1944, am Donnerstag, dem 24. August, hatte der Reichsbevollmächtigte für den totalen Kriegseinsatz, Reichsmindster Doktor Goebbels, verfügt, daß sämtliche Theater, Varietes, Kaibaretts und Schauspielschulen bis längstens 1. September 1944 zu schließen wären. Alle Orchester, Musikschulen und Konservatorien hatten demnach bis auf einige führende Klangkörper, die auch im Rundfunk benötigt wurden, ihre künstlerische Tätigkeit einzustellen. Ebenso wurden alle Kunstausstellungen, Wettbewerbe, Akademien, Kunsthochschulen sowie private Kunst- und M/lscbulen stillgelegt. Einzustellen waren ferner die Produktion für das gesamte schöngeistige Schrifttum, die von der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ durchgeführte Truppenbetreuung, der Unterricht in diversen Berufsschulen sowie die meisten Illustrierten und viele Zeitungen. Der Entspannung der Heimatfront bezie-hungsweise dem ,., Unterhaltungs-bedürfnis der Wehrmacht mußten fürderhin Rundfunk und Film genügen, die beide von nun an als nahezu einzige Nachrichtenübermittler des gewaltigen Geschehens fungieren. Die „Wiener Illustrierte“ konnte dieser drakonischen Maßnahme zunächst entgehen, sie zeigte sogar in einer ihrer Septembernum-mem, wie frohgemut sich die Revuegirls im Berliner Admiralspalast vom Publikum verabschieden, um am nächsten Morgen gemeinsam durchs Tor eines Rüstungsbetriebes der Reichshauptstadt zu trippeln.

Der Nibelungen Not

Max Mells dramatische Arbeit über die Nöte der Nibelungen war jedenfalls endgültig von den Brettern

Wiens, die bekanntlich die Welt bedeuten, verbannt, obwohl sich die schrecklichen Geschehnisse dieses Epos immer deutlicher im Alltagsleben widerspiegelten. Manch Rüdiger von Bechelarn sah sich jetzt den Schicksalsmächten überantwortet, während anderseits die Prinzipien-treue Hagens und Gunthers selbst bei hochgestellten Persönlichkeiten durch geheime Querverbindungen und Vorbereitungen zur Flucht etwas aufgeweicht wurden. Offiziell blieb jedoch weiterhin alles beim alten. Auf kleineren Meetings kamen vielerorts in, Wien, wie es offiziell hieß, „deutsche Menschen zusammen, um ihren Glauben an das Werk des Führers durch gemeinsame Erwägungen zu vertiefen“. Der Führer wurde dabei allerdings nicht mit den Gestalten um Kriemhild, sondern mit Kopernikus und Luther verglichen, weil diese am Ende „dennoch“ recht behalten hätten. Der Führungsdienst des Deutschen Volksbildungswerkes ,; nahm ab 4. September 1944 seine kulturhistorischen und naturkundlichen Wanderungen durch die Gaustadt wieder auf, die Überwachungsstellen der Hitlerjugend intensivierten den Streifendienst zur Kontrolle aller 10- bis 18jährigen Wiener, und in den Schulen wurden die im Zeichenunterricht notwendigen Utensilien, wie Zirkel, Reißschienen usw., eingesammelt und kostenlos weiterverliehen.

Das Waisenhaus auf der Hohen Warte, das jetzt als Standorthelm der Wiener Hitlerjugend fungierte, erhielt in diesem Herbst den Namen „Otto Planetta“. Damit ergab sich eine letzte Gelegenheit zu feierlichen Reminiszenzen an den Juliputsch 1934. 80 HJ-Unterführer, die sich als Kriegsfreiwillige gemeldet hatten, wurden anschließend auf dem Gelände der Hohen Warte gedrillt. Im Kreis Wienerberg betrieb ein verstärkter Musikzug der Reichsgrenadierdivision Hoch- und Deutschmeister mit Wienerliedersängern gemeinsame Volksmusik, der „Kasperl“ zog mit seiner Bühne von Ortsgruppe zu Ortsgruppe weiter und der Gebietsführer Lauterbacher verabschiedete auf der Jesuitenwiese im Pratser jene 16jährigen Wiener des Bannes 502, die noch in diesem Herbst unbedingt an die Front wollten. Am 17. September 1944 brausten die Radsportler rund um den Modenapark, zur selben Zeit wurde in der Kuchelau ein „Volkswassersporttag“ abgehalten, die Fußballer ließen nicht von ihrem sonntäglichen Leder, während die junge Wienerin Herma Bauma den Speer bereits über die 44-Meter-Marke warf.

Zwei berühmte Tote

In Badgastein starb der Wiener Violinvirtuose Franz Drdla und Doktor Körber sprach im Hietziniger Gymnasium über „Deutschlands göttliche Mission“. Drdlas letzter Wunsch war es, in der Musikstadt Wien begraben zu werden, ein Ansinnen, dem die Stadtverwaltung erst 24 Jahre später nachkommen konnte. Das Ableben des Künstlers wurde zunächst weder in Wien noch bei seinen tschechischen Verwandten bekannt. In Zlabing, im Grenzgebiet Nie-

derdonaus, schloß der 71jäh-rige Operettenstar Ernst Tauten-hayn für immer die Augen. Mit ihm erlosch die Erinnerung an jenes bedenkliche Projekt einer sogenannten

„Deutschen Bühne“ in Wien während der Schuschnigg-Zeit, an der Tautenhain Direktor werden wollte. Am 8. September 1944 wurde er in einem von der Stadt Wien ehrenhalber in bevorzugter Lage gewidmeten Grab des Zentralfriedhofes beigesetzt. Der Leiter des Generalreferates, Stuppäck, sowie Ernst Frauenfeld und der Landesleiter der Reichstheaterkammer, Volters, führten die vielhundertköpfige Trauergemeinde zur letzten Ruhestätte Tautenhayns, wo wehmütige Nachrufe den Sarg in die Tiefe begleiteten.

Srbik liest in Winterkleidung

Die Pflege eines zukunftsgläubigen Optimismus und das Festhalten an der tausendjährigen Unabänderlichkeit des Dritten Reiches, mit der Erwartung fallweiser Wunder garniert, überdauerte alle Ereignisse des offiziellen Wiener Herbstes 1944. „Nun, auch hierin hat sich gezeigt, daß die Befürchtungen den Tatsachen vorauseilten“, hatte der „Völkische Beobachter“ schon am 19. September geschrieben. Damit war allerdings kein Resümee über die Kriegslage, sondern nur ein redaktioneller Artikel über die Wiener Volksbildung eingeleitet worden, die ohne Einstellung oder Einschränkung während des Wintersemesters 1944/45 fortgesetzt werden sollte. Tatsächlich be-

gann die Urania im Oktober mit Vorträgen über das Gedankengut H. St. Chamberlains und Alfred Rosenbergs, woran sich medizinische und kunsthistorische Referate reihten. Ähnlich wurde in den Volksbildungsstätten Margareten und Aisergrund verfahren, worüber handwerkliche Einführungskurse, geographische Schilderungen, Vorträge über Literatur, musikalische Lehrstunden, Fremdsprachenunterricht usw. keineswegs ins Hintertreffen kamen. Nur die Heizperiode brachte ein neues, kaum zu bewältigendes Hindernis für etwaige Besucher mit sich. Die Brennstoffverknappung erfaßte übrigens auch die Hochschulen der Gaustadt in vollem Ausmaß. Die meisten bis jetzt verbliebenen Studenten waren jedoch vor Einbrechen der kalten Jahreszeit in die Rüstungsbetriebe oder zum Dienst bei der Straßenbahn geschickt worden.

Von dieser Maßnahme wurden freilich vorwiegend weibliche Hörer, die den Arbeitsdienst und den Kriegshilfsdienst schon hinter sich hatten, sowie zu Krüppeln geschossene beziehungsweise mit allen möglichen Krankheiten behaftete Jünglinge betroffen. In einem der Lehrsäle blieb der Reichstagsabgeordnete Heinrich Ritter von Srbik mit Pelzkappe, Wollschal, Mantel und warm gefütterten Lederhandschuhen zurück. Er starrte durch die zerbrochenen Fenster der Alma mater Rudolfina zum Winterhimmel empor und erzählte in eintönigem Flüsterton von Bismarck und anderen Leitbildern. Die wenigen Lauscher, die trotz aller Erschwernisse gekommen waren, konnten ihn kaum verstehen. In der Laudongasse prüfte die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ ungeachtet der Kälte diverse Wettbewerbseinsendungen für

Laienspiele, die nicht viel Personal und noch weniger Requisiten benötigen sollten. Bevorzugt wurden humoristische Einakter wienerischer Prägung, für die einige Geldpreise ausgesetzt waren.

Sport ist Trumpf

Noch im September 1944 hatte die Wiener Beamtenschaft bei zahlreichen Großappellen antreten müssen. Ihr ehemaliger Gauleiter und Reichs-kommdssar für die Wiedervereini-

gung, Josef BttrcJcel, war unter mysteriösen Umständen fem von Wien gestorben, und die Redner hatten Mühe, von solchen Vorkommnissen abzulenken. Die Phüharmomiker spielten unter Moralt in Werkhallen für die Rüstungsarbeiter. Bis 31. Oktober 1944 sollten alle Wiener Unternehmungen ihren „Betriebswandertag“ durchgeführt haben. Anschließend wollte man mit der Vorbereitung des Winterwaradertages 1944 beginnen. Das sportliche Wien blieb demnach von Einschränkungen weitgehend unberührt, sofern man von der Teilnehmerzaihl und den sonst üblichen Leistungsmaßstäben bei den einzelnen Konkurrenzen absieht. Meisterschaftsspiele, Versehr-tenschwimmen, Geländeläufe, Tischtennisrunden, kleine Skiwettkämpfe und vieles andere entsprachen der Absicht, jeden Schaffenden auch im Winter 1944/45 sportlich zu beaufsichtigen.

Das Theater stirbt

Allein, die Anforderungen an die Wiener Heimatfront wuchsen schneller, als im Frühherbst voraussehfoar gewesen war. Zunächst verlangte der Volkssturm sein Recht auf Ubungszeit. Reichsorganisationsleiter Dr. Ley erschien in etwas salopper Uniform auf dem Exerzierfeld vor der Gaustadt, um die Arbeitskajme-raden- beim Training mit Gewehr und Panzerfäusten zu beobachten. Am 10. Oktober 1944 mußten Schirach und Jury die Wiener und Niederdonauer zum Bau eines Südostwalles aufrufen, nachdem Himm-le¥ kurz zuvor mit beiden. Gauleitern in Wien richtungweisende Besprechungen geführt Hätte7Ä\rr-'Großkundgebungen konnte weniger denn je verzichtet werden, die Versammlungswelle der Partei hielt unvermindert an, und der Kapellmeister Wilhelm Wacek sah sich anläßlich seines 60. Geburtstages als „Meisterdirigent des Wiener Walzers“ allerlei Ehrungen ausgesetzt. Goebbels und Schirach gratulierten ihm, Blascbke ließ ihm eine Ehrenmünze der Stadt zukommen. Doch Wacek blieben nur noch wenige Wochen Lebenszeit.

Die Gemeindeverwaltung hatte währenddessen hinter der Lueger-Kirche im Wiener Zentralfriedhof viel Arbeit erhalten. Dort wurden immer mehr Soldaten aller möglichen Völkerschaften und Religionen beerdigt, wobei man sich weniger um den konfessionellen Ritus als um die Ehrungsart durch die Deutsche Wehrmacht, die Waffen-SS und andere offizielle Delegationen kümmerte. Die heutige Ruhestätte der Roten Armee lag noch im Zeiten-schoß verborgen.

(Die Reihe wird fortgesetzt)

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