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„Geben Sie uns, bitte, Nachricht..

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Was immer östlich und nördlich der österreichischen Grenzen passiert, sofort rasselt in Wien der Fernschreiber, sofort schrillt bei uns das Telephon: „Geben Sie uns, bitte, Nachricht " — „Sagen Sie uns, bitte, den Aufenthaltsort von " — „ . .. eine Agentur bringt folgende Nachricht was halten Sie davon?“ — „Warum bringen Sie nichts über die Verhaftung des Bischofs ?“ Und vielleicht sind dann unsere Kollegen aus dem Westen oder aus Uebersee verärgert, vielleicht halten sie uns für Schlafmützen oder gar für „Neutralisten", wenn wir ihnen von Wien aus antworten müssen; „Wir wissen nichts , wir haben keine Nachsicht , seien Sie vorsichtig, wir glauben nicht daran . es scheint uns sehr unwahrscheinlich."

Darum soll im folgenden einmal offen über die Fragen der Berichterstattung aus dem Osten gesprochen werden, so wie sich diese Frage uns hier in Wien stellt. Zwei Beispiele sollen die Sachlage illustrieren: Vor wenigen Wochen meldete eine internationale Agentur, daß in Budapest Gerüchte verbreitet seien, daß Erzbischof Groesz, der Vorsitzende der ungarischen Bischofskonferenz, von der ungarischen Regierung verhaftet worden sei. Von der vorsichtigen Formulierung war dann in den Zeitungen nichts mehr zu spüren, die in Schlagzeilen verkündeten: „Kadar läßt Erzbischof Groesz verhaften " Auf die ersten Anfragen unserer Freunde aus Westeuropa, ob wir die Nachricht bestätigen, mußten wir erwidern, daß wir selbst dazu nichts sagen könnten. Auf die immer dringenderen Beschwerden, warum wir selbst eine so wichtige, das katholische Leben betreffende Nachricht nicht ausgeben, mußten wir leider unseren Freunden mitteilen, daß wir zwar ihre Richtigkeit weder bestätigen noch

dementieren, daß wir sie aber für sehr unwahrscheinlich hielten und daß wir hierbei um besondere Vorsicht ersuchen. Wir sind überzeugt, daß unsere Haltung und unsere Kommentierung gewiß nicht das restlose Verständnis unserer Freunde gefunden haben. Zwei Tage später war von der Sensation nichts mehr übrig, niemand sprach mehr von einer angeblichen Verhaftung des Erzbischofs Groesz, die wenigsten Zeitungen allerdings distanzierten sich von ihrer ursprünglichen Meldung.

Nun hatten wir tatsächlich eine solche oder andere, ähnliche Nachrichten, die von Zeit zu Zejt immer wieder produziert werden und ihre Runde durch die Weltpresse machen, im einzelnen weder dementieren noch bestätigen können. Wir haben nicht, wie man es sich vielleicht manchmal im Westen vorstellen mag, jene direkten und unfehlbaren Verbindungen über alle Grenzen, Vorhänge und Stacheldrahtbarrieren hinweg, wir haben keine geheime Tele- phonverbin ung, weder mit einem bischöflichen Ordinariat im Osten noch mit irgendwelchen Zentren passiven oder aktiven Widerstandes, um sofort und auf Anhieb sagen zu können: Ja, so ist es, oder, nein, so ist es nicht. Wohl aber haben wir eines: ein Gefühl für Mögliches und Unmögliches. Dieses Gefühl besitzen wir, weil wir uns doch vielleicht eher als andere Menschen, eher als noch so scharfsinnige Kritiker und Kommentatoren, die viele tausende Kilometer entfernt sitzen, hineindenken können in die Gedankenwelt und in die Seele sowohl der Verfolgten als auch der Verfolger, weil wir eher

vielleicht als andere eine Ahnung haben von den geistigen und seelischen Verhältnissen, unter denen die Menschen im Osten leben. Aber auch deswegen, weil wir selbst durch lange Jahre unter den Bedingungen einer Diktatur lebten und daher eher wissen, aus welcher geistigen Situation Gerüchte entstehen können, uns aber auch eher vorstellen können, wie die Menschen unter den Lebensbedingungen einer

Diktatur reagieren, und weil wir schließlich die kommunistischen Gewalthaber nicht für harmlos und nicht für dumm, nicht für menschenfreundliche Biedermänner, aber auch nicht für übermenschliche Dämonen halten.

Denn derselbe Fragensteller, der sich heute — ich möchte fast sagen, empört — darum erkundigt, warum wir nicht die Meldung von der Verhaftung des Erzbischofs Groesz gebracht haben, hatte wenige Monate früher besorgt angefragt, ob derselbe Erzbischof Groesz nicht vielleicht zu den Kommunisten hinübergewechselt sei, da er doch ein Abkommen mit der Regierung geschlossen habe. Daß es zwischen offenem Verrat, Mitläuferei, geschmeidigem Ausweichen, geduldigem Ausharren und dem Pathos eines heroischen Widerstandes eine Fülle von Nuancen und Schattierungen gibt, das kann vielleicht wirklich nur ein Volk verstehen, das selbst unter ähnlichen Bedingungen einst lebte und dessen Haltung ähnlichen Mißdeutungen ausgesetzt war.

Das andere Beispiel sei hier nur kurz angeführt, es spricht für sich selbst: Eine große katholische Zeitung Westeuropas brachte eine Artikelserie eines Redakteurs, der auf Einladung der tschechoslowakischen Regierung Prag besucht hat und nach einem Besuch bei dem exkommunizierten ehemaligen Priester und jetzigen tschechoslowakischen Gesundheitsminister Plojhar die Ueberzeugung gewann, daß dieser „trotz oder vielleicht sogar dank seines Ungehorsams der kirchlichen Behörde gegenüber der katholischen Kirche in der Tschechoslowakei unschätzbare Dienste leistete und noch leistet“.

Von ihm und 'Von Kapitelvikar Stehlik, der „glaubt“, daß er vom Heiligen Stuhl anerkannt sei, ließ sich dieser katholische Journalist aus Westeuropa vom blühenden katholischen Leben unter der kommunistischen Regierung der Tschechoslowakei erzählen.

Auch dieser Bericht ist kein Einzelfall. Immer wieder kommen katholische Intellektuelle westlicher Länder nach dem Osten und kehren oft erstaunt und ehrlich erschüttert zurück, tief beeindruckt von dem, was sie in den östlichen Ländern sahen, und voll Skepsis demgegenüber, was s.e bisher im Westen über die Lage im Osten hörten Daß es zu solchen Erscheinungen

und zu solchen Mißdeutungen kommen kann, liegt gewiß auch zum Teil in der bisherigen und allgemein üblichen Art der Berichterstattung über die Zustände des kirchlichen Lebens im Osten begründet. Man hat nicht immer, und zwar aus sehr begreiflichen, propagandistischen Gründen, streng unterschieden zwischen den Begriffen der Kultusfreiheit und der Religionsfreiheit. Die Kultusfreiheit ist gewiß in den katholischen Ländern Osteuropas, die unter kommunistischer Herrschaft stehen, gegeben. Die Kirchen sind voll, voller vielleicht als die Kirchen in Westeuropa, das religöse, das sakramentale Leben ist in diesen Ländern stark, intensiver oft als bei uns. Aber das ist eben das Kennzeichnende, daß das religiöse Leben sich ausschließlich auf den Kirchenraum beschränkt und beschränken muß. Daß Kultusfreiheit noch nicht Religionsfreiheit bedeutet, diese Unterscheidung müßte wohl jedem Katholiken geläufig sein. Aber weil wir im Westen in unserer Propaganda gegen die Unterdrückung der Kirche als Institution und gegen die Behinderung ihrer erzieherischen und missionarischen Aufgabe selbst diesen Unterschied nicht immer genau aufzeigten, deswegen kann es vorkommen, daß gute Katholiken, die immer nur von der Religionsverfolgung im Osten hörten, plötzlich an der ganzen Propaganda irre werden, wenn sie im Osten oft volle Kirchen finden, ein tiefes religiöses Leben, ein blühendes religiöses Brauchtum.

Jeder Meinungsjournalist steht bei seiner Arbeit unter einem Spannungsverhältnis, unter dem Verhältnis der Spannung von Wahrheit und Propaganda. Der katholische Journalist steht hier unter einer besonderen Spannung. Er will mit seiner Arbeit dem Glauben dienen, der Kirche dienen. Er ist aber auch im besonderen Maß und stärker vielleicht als andere der Wahrheit verpflichtet. Auch um eines guten, nützlichen, ja vielleicht äußerst notwendigen propagandistischen Erfolges willen kann er sich nicht von der Wahrheit absentieren.

Er kann dies besonders dann nicht, wenn er in Wien sitzt und. nicht die Selbstentschuldigung für sich in Anspruch nehmen kann, daß er die Verhältnisse nicht kennt.

Das trifft nicht minder auch auf die einzelne Nachricht zu. Die Nachricht selbst ist im Betrieb des Nachrichtendienstes und der Presse eine Ware, die gekauft und verkauft wird und die dann besonders gern gekauft wird, wenn sie sich gut verkaufen läßt. Von diesem Geschäft leben Menschen, sehr ehrenwerte Menschen, Menschen, die damit sich und ihre Familie er- halten. Sie können aber nur davon leben, wenn sie Nachrichten bringen. kein'"großer Nachrichtenkonzern, kein großes Blatt wird sich auf die Dauer Korrespondenten und Redakteure halten, wenn sie nicht jene Ware produzieren

Von einer katholischen Ostberichterstattung aber muß man erwarten, daß sie nicht Nachrichten bloß um der Nachricht willen produziert und weitergibt. Ihre Arbeit mag vielleicht nicht immer attraktiv sein, aber sie muß einer Anforderung absolut entsprechen, sie muß verläßlich sein. Das bedeutet gewiß keine Leisetreterei, das bedeutet keine Liebervorsichtigkeit, keine ängstliche Rücksichtnahme und ist am allerwenigsten eine „neutralistische Haltung“. Gerade weil wir hier in Wien so nahe unseren Brüdern im Osten wohnen, wissen wir von ihrem Sehnen, von ihrem Wollen; und weil wir einmal selbst unter einer Diktatur lebten, kennen wir nicht nur die gefährlichen Möglichkeiten, sondern auch die natürlichen Grenzen jedes Machtapparates und jeder totalitären Propaganda. Deswegen sind wir oft weniger überrascht als manche weiter westlich von uns, weniger überschwenglich manchmal, aber auch weniger verzweifelt.

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