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Auch wenn die Grenzbäume gefallen sind, die Grenze in den Südtiroler Köpfen ist geblieben. Dem "Los von Trient" ist noch kein überzeugtes "Auf nach Europa" gefolgt.

Am 19. Juni 1992 war es soweit: In der UNO, wo 1960 der Auftrag an Österreich und Italien erteilt worden war, ihren Streit beizulegen, wurde dieser Streit formell beendet. In New York wird die "Nostrifizierung der Streitbeendigung" an UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali übergeben. Zum Jubiläum spricht die furche mit den Vätern des Autonomie-Pakets, wirft einen Blick auf das interethnische Zusammenleben und schenkt auch kritischen Stimmen aus Südtirol Gehör.

Zweckoptimismus, Lobhudelei, Beschönigung" - ausschließlich Spott und Kritik, aber keine positiven Seiten kann die Südtiroler Landtagsabgeordnete Eva Klotz den Feiern zum zehnten Jahrestag der Erfüllung des Autonomie-Pakets für ihr Land abgewinnen. Und der Festakt anlässlich dieses Jubiläums Mitte vergangener Woche in Wien, bei dem Süd- und Nordtiroler Politiker, italienische und österreichische Regierungsmitglieder die Streitbeilegung vor zehn Jahren in höchsten Tönen als "zukunftsweisend" und "zum Vorteil aller" lobten, war für sie nur eine "sehr kurzsichtige und politisch ungeschickte Veranstaltung" seitens Österreichs. Denn Italien dürfe man keine "Vorschusslorbeeren" zugestehen, meint Klotz. "Italien nützt das nur aus, um die Autonomie noch mehr als bisher zu schmälern."

Eine Autonomie, die für Klotz und ihre Parteifreunde in der "Union für Südtirol" nur eine "Übergangslösung bis zur wirklichen Selbstbestimmung" darstellen kann. "Weil es auch keine richtige Autonomie ist", sagt Klotz zum Paket, das Südtirol zugestanden und im Laufe des letzten Jahrzehnts laut anderen, offiziellen Mitteilungen immer wieder und sukzessive erweitert und ausgebaut wurde. Es fehlten Finanz- Steuer, Polizei- Schul- und Verwaltungshoheit sowie das Recht über die Zuwanderung zu bestimmen, moniert die Abgeordnete. Und das sei auch durch den EU-Beitritt Österreichs, das Proklamieren einer "Europaregion Tirol" überhaupt nicht anders geworden, wehrt Klotz eine diesbezügliche Anfrage resolut ab. Die unterschiedlichen Hoheiten seien weiterhin geblieben, Erleichterungen gebe es ausschließlich im Warenverkehr, aber "im Leben hat sich nichts geändert".

Nun sind Eva Klotz und ihre "Union für Südtirol", die zwei Mandate im Südtiroler Landtag inne hat, sicher nicht repräsentativ für das Land. Eine national orientierte Heimatpartei, ein Rechtsausleger im Parteienspektrum, der den Südtiroler Schützen nach wie vor politische Aufgaben "zum Erhalt und Schutz der Heimat" zuspricht. Eine Partei, die vor den "vielen Italianismen" in der Sprache warnt und den Verlust der angestammten Kultur beklagt. Nur mehr Folklore bleibe übrig, wenn der sprachliche und kulturelle Hintergrund wegfallen, gibt Klotz zu Bedenken, und "er bröckelt schon", lautet ihre pessimistische Diagnose.

Wie gesagt, Klotz & Co und ihre Anschauungen sind gewiss nicht eins zu eins auf das Land von Etsch und Eisack zu übertragen. Es fällt dem Beobachter, der aus Anlass des Streitbeilegung-Jubiläums seinen Blick nach Süden richtet, aber doch auf, dass die vermutete, weil irgendwann einmal im Kopf festgekrallte Südtirol-Heile-Welt-Törgelen-Feste-Schifahren-Bergsteigen-Nostalgie in den Gesprächen mit Südtirolern, in der Lektüre von Südtiroler Publikationen ganz kräftig in Frage gestellt, ja gebrochen wird. Beklagt wird durchwegs ähnliches: der Verlust der Kultur, der Sprache, der Ausverkauf des Landes, die zunehmende Kommerzialisierung in allen Bereichen, die Minderheitskomplexe, die Visionslosigkeit ... Daran schuld hat zumindest im politischen Bereich immer der andere: die übermächtige Südtiroler Volkspartei (SVP) oder die Betreiber des interethnischen Zusammenlebens oder, wenn sonst gar nichts mehr einfällt, Rom und die Italiener.

"Südtirol braucht nach dem Paketabschluss wieder eine Vision, eine Antwort auf die Frage, wie wir im Jahr 2015 in einem sich wandelnden Europa leben und unsere Identität erhalten wollen. Wir wollen kein protesthaftes 'Los von Trient' wie 1957, sondern ein Aufbruchstimmung vermittelndes 'Auf nach Europa' vorgeben." Landeshauptmann Luis Durnwalder scheint schon vor einem Jahrzehnt, die auf ihn und das Land zukommende Problemlage richtig erkannt zu haben: Visionslosigkeit, Identitätskrise. Die Frage ist eher, hat er mit der Europaformel die richtige Losung ausgegeben und wurde sie von seinen Landsleuten auch aufgegriffen.

"Die Brenner-Grenze in den Köpfen ist geblieben", meint dazu der Südtiroler EU-Parlamentarier Michl Ebner. "Im gleichen Maße wie der europäische Einigungsprozess vorangeschritten ist, Wien, Rom, Brüssel die physischen Barrieren abgebaut haben, sind die geistigen Grenzen geblieben oder noch größer geworden", zieht der von der SVP entsandte EU-Politiker ein ernüchterndes Resümee. "Das Wegfallen des Außendruckes ist nicht proportional einhergegangen mit einer Verstärkung der Zusammenarbeit." Mit seiner wachsenden Sorge über diese Entwicklung hält Ebner nicht hinterm Berg. Zur "Gewissenserforschung" rät er - in Süd, Nord-, Osttirol und im Trentino. "Ob wir, anstatt dauernd zu klagen, die Hauptstädte Wien und Rom seien so weit weg, und Brüssel berücksichtige die kleinen Einheiten zu wenig, nicht untereinander mehr besser und sinnvoller zusammenarbeiten könnten?"

Die Schutzmacht-Rolle Österreichs sieht Ebner heute nach wie vor als unverzichtbar an, auch wenn sie derzeit "mehr in kulturellen, sprachlichen, moralischen und geistigen Banden gegeben ist". Österreich habe damit "als unser Vaterland aber doch ein erhebliches Mitspracherecht in der Gestaltung der Zukunft Südtirols", meint der erste Südtiroler Politiker seit 1918, der "de facto und offiziell auch die Agenden Nordtirols mitbetreut".

Diese Gestaltungsmöglichkeit sollte man versuchen, nördlich des Brenners wieder deutlicher wahrzunehmen. Und sei es nur durch Zuspruch und Ermutigung und dem Eingestehen, dass man auch auf dieser Seite der Alpen mit Visionslosigkeit und Identitätskrisen zu kämpfen hat. Vielleicht hilft es ja, wenn die Südtiroler erfahren, dass sie mit ihren Schwierigkeiten nicht allein dastehen. Ganz sicher brauchte man sich aber dann nicht mehr dem Vorwurf aussetzen, man betreibe nur "Zweckoptimismus, Lobhudelei und Beschönigung".

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