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Gebt den Serben eine Chance!

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die bösewichter in Reinkultur sind „die” Serben nicht. Der in Wien lebende Schriftsteller Ivan Ivanji zeichnet ein differenziertes Bild aus Belgrad.

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die bösewichter in Reinkultur sind „die” Serben nicht. Der in Wien lebende Schriftsteller Ivan Ivanji zeichnet ein differenziertes Bild aus Belgrad.

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diefurche: Sie kommen soeben aus Belgrad zurück, wie ist die Stimmung? IVAN IvanJI: Slobodan Milosevic schwimmt mit vollem Dampf auf Friedenskurs, weil er eingesehen hat, daß nichts weiter zu holen ist. Reraten läßt er sich von den Russen. Der Traum ist mehr oder weniger aus- ein Opposition ist fast nicht mehr vorhanden. Denn die nationalistische Opposition, die den Kriegskurs treibt, hat immer weniger Unterstützung, und die bürgerliche Opposition, Bürgerbund und Erneuerungsbewegung, müssen jetzt Milosevic nolens volens unterstützen, weil nichts anderes mehr möglich ist. Milosevic ist schrecklich ungeduldig, er hat deswegen auch den Führer der Badika-len, Seselj, verhaften lassen; lächerlich daran war, daß er ihn wegen der Organisation einer Kundgebung im Kosovo festnehmen ließ, dessen Abgeordneter eselj ist. Obwohl seselj ein Kriegsverbrecher ist, hat man ihn nach Aufhebung seiner Immunität zu 30 Tagen verurteilt, weil er als Abgeordneter zu Leuten sprechen wollte.

diefurche: Seselj hat jüngst mehrere solcher Kundgebungen veranstaltet ivanji: Das hat er; außerdem hat er mit einer Kundgebung für 17. Juni in Belgrad gedroht und angekündigt, Milosevic zu stürzen. Aber ich verstehe nicht, warum man ihn verhaftet hat. Die Stimmung der Menschen ist Frieden um jeden Preis. Und auch Leute, die sich nationalistisch geben, antworten auf die Frage: Na, würdest du als Freiwilliger nach Bosnien gehen? mit Nein, das sollen die selber machen. Es gibt sogar einen ziemlichen Haß auf die bosnischen Serben. Denn es befinden sich mehr als 300.000 serbische Flüchtlinge aus Bosnien in Serbien -jetzt gab es eine neue Welle aus Westslawonien, was im Westen kaum beobachtet wurde.

diefurche: Das war im Gefolge der kroatischen Aktionen, Das hat man wirklich nicht registriert Ivanji : Auch wegen der Dummheit der serbischen Nationalisten. In dem Augenblick, als die kroatische Armee Westslawonien reintegriert hat, wie sie das nennen - wobei auch der polnische Menschenrechtsbeobachter Maszowiecki sagte, daß Hunderte Zivilisten dabei ermordet wurden, die serbische Seite behauptet Tausende -, in dem Augenblick beschießen die Serben Zagreb mit Baketen. Und sofort waren alle Fernsehteams in Zagreb, das gab Schlagzeilen - und nicht das, was in Westslawonien passierte.

diefurche: Die Serben waren wieder einmal die Bösen.

Ivanji: Eben. Das ist so blöd. Naja, jedenfalls hat in Serbien keiner Lust, als Freiwilliger zu gehen. Soweit ich es weiß, gibt es um Milosevic zwei Flügel. Momentan ist wichtiger , was in Milosevic' Partei passiert, als in der Opposition. Der eine Flügel sagt, wenn wir uns schon arrangieren müssen, dann mit den Amerikanern als wirklicher Weltmacht, nicht mit den Bussen, die nicht einmal mit Tschetschenien fertig werden. Und eine andere Gruppe sagt, nein, mit den Bussen, denn das sind unsere Beschützer. Das ganze Zaudern von Milosevic ist damit zu erklären. Die siebenwöchi-gen Gespräche mit dem amerikanischen Sonderbotschafter Frazer um die Anerkennung Bosniens und die Aufhebung der Sanktionen waren schon fast zu Ende, da sagten die Bussen: Du kannst mehr dafür kriegen. Was Tito gelungen ist, die Bussen 40 Jahren rauszuhalten, ist jetzt vorbei; jetzt haben wir sie drinnen, fast auf der Linie, die Churchill und Stalin in Jal-ta aufgezeichnet haben. Denn obwohl wir den Krieg angezettelt haben, wenn ich das so sagen muß, so gibt es doch kein Vakuum, es gibt die sehr starken russischen Interessen, auf der anderen Seite sind die Amerikaner an nichts anderem interessiert, als nur die Russen draußen zu halten. Was mich besonders schmerzt, ist die Interesselosigkeit von Deutschland und Österreich. Ich möchte den Österreichern sagen, Leute, Belgrad liegt an der Donau; Zagreb liegt an einem Nebenfluß der Donau. Die eigentlichen Interessen, für Serbien sehr, für Österreich ein bisserl, liegen in einer kommenden Zusammenarbeit. Anfang dieses Jahrhunderts gab es in Serbien zwei Linien: die österreichfreundliche von Ob-renovic; und die Karadjordjevic-Linie, die rußlandfreundlich war. Ich würde schrecklich gern mein Scherflein dazu beitragen, daß die Obrenovic-Linie in Belgrad wieder hochkommt und in Wien so anerkannt wird, wie seinerzeit von Franz-Joseph.

dieFurche: Was erwarten die Serben von Österreich?

ivanji: Was man im Augenblick vom Westen nicht hört, und die Stimme Österreichs ist da nicht unwichtig, ist, daß man den Serben - und ich meine jetzt nicht die Politiker, die Karadzics und Milosevics - nach dem Krieg auch Chancen geben muß. Also man muß sagen. Wenn ihr wieder einmal Buh' gebt, dann werden wir wieder handeln, dann kommt die Achse Wien-Budapest-Belgrad wieder zum Ausdruck. Ohne viel Lärm geht das auch jetzt schon ein bißchen: Der einzige Zug, der Belgrad mit der Welt verbindet, ist der Zug Belgrad-Budapest-Wien, zweimal täglich. Und auch zwei

Flugverbindungen gibt es jetzt: Die AUA fliegt und die jugoslawische Gesellschaft. Das ist schon etwas. Und man hat den Bentnern aus Restjugqs-lawien geholfen, die westlichen Renten in österreichischen Banken relativ einfach zu bekommen. Das sind kleine menschliche Zeichen, es könnte aber mehr kommen. Ich hatte eigentlich die Hoffnung, daß Minister Schüssel, der ein Wirtschaftsfachmann ist, auch ein bißchen in die Zukunft schaut. Es wird noch dauern, aber eines Tages ist Frieden - und dann gibt es Interessen, keine Liebe, die gibt's in der Politik nicht.

diefurche: Da fehlt Ihnen ein deutliches Signal Österreichs? ivanji: Bevor der Krieg ausbrach, habe ich in diese Bichtung mit Mock ein langes Interview geführt für die Zeitung „Nin” in Belgrad, auch mit Bu-sek, das hing in der Luft. Das war dann plötzlich weg. Die Belgrader Propaganda, die sehr direkt von Milosevic geleitet wird, hat Mock verteufelt, über jede Logik hinaus. Schüssel wird jetzt sehr, sehr höflich behandelt. Man müßte wieder ein wenig Hoffnung geben, denn in Bosnien ist ein Drittel der Bevölkerung Serben - und die sind erschrocken darüber, was in Westslawonien passiert ist. Das hat sie nicht gerade ermuntert. Sogar ein Stalin hat gesagt, Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk bleibt. Man hört nicht, Karadzics kommen und gehen, aber das serbische Volk ist ein Volk wie jedes andere in Europa. Das sind nur verbale Sachen, aber schon die würden etwas nützen;

diefurche: Hat Milosevic Möglichkeiten, auf Karadzic. Einfluß zu nehmen^

ivanji: Wenn er Karadzic per Knopfdruck töten könnte, würde er es tun. Nicht deshalb, weil das der Westen möchte, sondern weil er Ungehorsam nicht gerne hat. Er will Karadzic höchstens mit der Feuerzange angreifen. Er redet mit diesen Leuten nicht mehr, sondern läßt alles über seinen Geheimdienstchef laufen. Aber etwas, das im Westen kaum bemerkt wurde: Schon im April hat der Oberkommandierende der bosnischen Serben, General Ratko Mladic, gesagt, daß der Krieg verloren sei. Deswegen hat er sich auch mit Karadzic zerstritten. In diesen Tagen zeigt sich, daß Mladic als Soldat recht gehabt hat. Die Wende ist bereits eingetreten.

diefurche: Kann der Krieg in absehbarer Zeit zu Ende sein? ivanji: General Mladic hat eine schrecklich lange Front zu bewahren, die um den Kern herumgeht; sie ist 2.500 Kilometer lang. Im Südwesten wird gekämpft, kroatische Truppen gehen in Richtung Knin und Bihac. Mladic hat keine Soldaten und kein Benzin mehr, er kann nicht mehr umgruppieren, es muß für ihn schlecht ausgehen.Warum die das nicht einsehen, kann ich nur mit einem gewissen suizidalen Verhalten erklären.

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