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Geburtstagssalut für Tito

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Obwohl ich allenthalben allen erfolgreichen Politikern gegenüber sehr mißtrauisch bin, muß ich offen zugeben, daß drei ältere Herren dieses Gewerbes mich in den letzten Jahren immer wieder angenehm überraschen, weil sie bei allem Starrsinn, der dem Alter eigen ist, den Mut zur Revision ihrer ursprünglichen Pläne aufbringen und dazu noch die Kraft, diese Revision bis zu einem gewissen Grad, das heißt soweit es die Umstände erlauben, auch durchzuführen. Die drei älteren Herren, die ich meine — von denen einer uns in den letzten Wochen nun für immer verlassen hat —, die drei Herren also sind Konrad Adenauer, Charles de Gaulle und Josip Broz-Tito.

Wenn man den Weg des jugoslawischen Staatspräsidenten Tito, der am 24. Mai seinen 75. Geburtstag feierte, verfolgt, muß man feststellen, daß er seinen Erfolg — er herrscht in seinem Land schon' seit mehr als 20 Jahren — hauptsächlich seinem Mut zur Revision der ursprünglichen Baupläne zu verdanken hat. Er hat also diese Pläne, die er zum Teil mitbekommen und zum Teil selbst entworfen hat, nach und nach der Wirklichkeit, daß heißt der menschlichen Natur oder den menschlichen Bedürfnissen, angepaßt. Seine entscheidende Erfahrung im Umgang mit einer schrankenlosen Machtfülle machte er 1937, als er mitansehen mußte, wie seine Kameraden vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei, das zu dieser Zeit von Wien aus operierte, nach Moskau berufen und dort liquidiert, also einfach umgebracht wurden; die nächste Erfahrung machte er 1941, als er aus einer Handvoll Widerstandsgruppen eine Partisanenarmee zu organisieren begann und dabei feststellen mußte, daß die Sowjetunion nicht gewillt war, ihm konkrete Hilfe zu leisten. Indem er sich auf die nationalen Widerstandskräfte stützte, gelang es ihm, eine der größten Partisanenarmeen Europas zu entwickeln, von der starke deutsche Truppenverbände in Jugoslawien gebunden wurden.

Obwohl er mehrmals nur mit knapper Not dem Tod entging, konnte Tito Ende Oktober 1944 gleichzeitig mit den Sowjettruppen, die aus Rumänien kamen, in Belgrad einziehen. Die Partisanen, nun zu einer regulären Armee angewachsen, übernahmen die gesamte Nordwestfront, so daß die Russen aus Belgrad bald wieder abzogen. Da Jugoslawien dank Tito so aktiv auf seiten der Alliierten am Krieg teilgenommen und sich eigentlich selbst befreit hatte, war Tito später imstande, eine von der Sowjetunion unabhängige Politik zu betreiben. Das unter seiner Führung stehende Jugoslawien war der einzige kommunistische Staat, dem es gelang, sich dem Vormachtsanspruch der Sowjetunion zu entziehen und die Möglichkeit, die wirtschaftliche, politische und militärische Einflußnahme, wie sie die Sowjetunion gegenüber ihren Satelliten ausübt, abzulehnen. Im übrigen wiedersetzte ich die jugoslawische Bauernschaft,die das Gros der Partisanenarmee gestellt hatte und sich einer dern-entsprechenden Machtposition erfreute, der nach Stalinscher Methode vorangetriebenen Kollektivierung.

Titos Kampf gegen Stalin und dessen gehorsame Trabanten hat aus ihm eine legendäre Figur gemacht, die überall dort, wo es im Osten gilt, sich dem Diktat Moskaus zu widersetzen, heute noch als Beispiel gilt. Ohne das Beispiel Jugoslawiens wären der Aufstand vom 17. Juni in Berlin sowie die polnische und die ungarische Revolution nicht möglich gewesen. Ohne dieses Beispiel wäre es nicht denkbar, daß heute die Polen, die Rumänen, die Ungarn und die Tschechien zuweilen und in gewissen Fragen eine von der Sowjetunion unabhängige Politik führen.

Zu Anfang der fünfziger Jahre hat es in Jugoslawien eine Reihe von Reformen gegeben, die für andere Volksdemokratien ebenso beispielhaft sind. Indem die Jugoslawen den sowjetischen Staatsapparat kritisierten, setzten sie sich zwangsläufig auch mit der eigenen Bürokratie auseinander. Die Folge davon war eine mitunter freilich gebremste Entwicklung in Richtung eines freiheitlichen Sozialismus. Die Kolchosen wurden aufgelöst, die Wirtschaft dezentralisiert und die Schwerindustrie zugunsten der Konsumindustrie zurückgedrängt. An Stelle des Staatskapitalismus Moskauer Prägung trat die Selbstverwaltung der Arbeiterräte und an Stelle der zentralgelenkten Planwirtschaft die sozialistische Marktwirtschaft, also der Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Unternehmen des gleichen Produktions- oder Geschäftszweigs. Die Tore zum Westen wurden geöffnet, so daß mit den westlichen Ländern ein reger Austausch von Waren und Gedanken beginnen konnte. Als Müovan Djilas in seiner intellektuellen Euphorie die Impulse, die er von Tito empfangen hatte, so weit vorantrieb, daß er eine strikte Trennung von Partei und Staat verlangte, schien Tito plötzlich Angst vor der eigenen Kühnheit bekommen zu haben und schaltete Djilas aus — auf die weitere Verfolgung von Djilas aus einer falsch verstandenen staatspolitischen oder staatserhaltenden Räson möchte ich hier allerdings lieber nicht näher eingehen —, Tito schaltete aber auch zwölf Jahre später Rankovic aus, als er einsah, daß der von Rankovic kontrollierte Parteiapparat, besonders jedoch die Geheimpolizei, die sich zu einem Staat im Staate entwickelt hatte, der weiteren Liberalisierung der Wirtschaft und des Staatswesen im Weg stand.

Je weniger man den Staat spürt, desto besser ist er. Man kann nicht sagen, daß man ihn in Titos Jugoslawien nicht spürt, aber man spürt ihn in der letzten Zeit erstaunlich wenig. Es handelt sich also im großen und ganzen um eine Gewalt, die man am ehesten mit dem Druck eines aufgeklärten Absolutismus vergleichen könnte. In Jugoslawien hapert es noch mit dem freien Spiel der Kritik und mit einer vorurteilslosen, unabhängigen Rechtsprechung. Die Gerichte sollen nicht dazu da sein, um den Staat vor den unkontrollierbaren Gedanken der Bürger . zu schützen, sondern die Bürger vor Übergriffen des Staates. Aber wo wird dieser ideale Zustand schon erreicht?

Das große Verdienst Titos ist es, aus einem rückständigen Land auf dem Balkan einen durchaus modernen, unabhängigen und entwicklungsfähigen europäischen Staat gemacht zu haben. Sein weiteres Verdienst ist es, dieses Land, in dem mehrere, wenn auch verwandte Völker leben, durch ein föderalistisches Staatsgebilde zusammenzuhalten, das jedem Mitglied der Gemeinschaft eine ziemlich weitgehende Autonomie gewährt.

Auf meinen häufigen Reisen durch mein einstiges Heimatland habe ich den Eindruck gewonnen, daß die überwiegende Mehrheit der Jugoslawen sich trotz gelegentlichen, manchmal auch vielen Vorbehalten zu Titos Politik der ständigen Revision bekennt. Ich gebrauche hier das Wort Revision nicht als Schimpfwort, wie es die Anhänger des totalitären Kommunismus tun, sondern als Bezeichnung für eine der positivsten Eigenschaften des menschlichen Geistes und der politischen Praxis. Ich glaube, daß Tito selbst bei einer Wahl westlicher Art mit absoluter Mehrheit zum Präsidenten gewählt werden würde, weil keine Gruppe, vorausgesetzt natürlich, daß neue oder alte Gruppen sich bilden könnten, imstande wäre, einen Kandidaten aufzustellen, der so viel Ausstrahlungskraft besitzt wie er. Ich hoffe, daß ihm noch genügend Zeit gegeben wird, damit er an seinem Plan noch weitere notwendige Korrekturen zugunsten eines wirklich freien, wahrhaft humanistischen Sozialismus vornehmen kann.

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