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Ungarn-Flüchtlinge, die Österreicher geworden oder Ungarn geblieben sind.

Der Kampf auf der Straße

Der Hausmechaniker Lászlo Horn war gerade dabei, die Fahnen für den Jahrestag der Oktoberrevolution anzubringen, als er am 23. Oktober eine Gruppe von fünf bis sechs Menschen die Straße entlang gehen sah und sich ihnen anschloss. Die Wut wuchs. Auch er gelangte in den Besitz einer Schusswaffe, doch ein Demonstrant riss sie ihm aus der Hand, feuerte selbst und wurde vor seinen Augen von einem Schuss tödlich verletzt. In schrecklicher Erinnerung ist das Bild zweier Soldaten geblieben, die mit Steinen erschlagen und anschließend an den Beinen aufgehängt wurden, nachdem sie Kinder und Sanitäter erschossen hatten. Am 4. November, beim Einmarsch der sowjetischen Truppen, griff Horn in den Kampf ein und errichtete Straßenblockaden: "Es gab keine Organisation oder Anführer - die Kämpfe waren spontan."

Nach einem missglückten ersten Versuch gelang die Flucht am 24. November. In Wien ist Lászlo Horn lediglich deshalb geblieben, weil er noch mit einem Erfolg der Revolution und seiner Rückkehr rechnete, obwohl die Weiterwanderung in die USA finanziell lukrativer gewesen wäre. Doch es kam anders, und er arbeitete bis zu seiner Pension als Feinmechaniker in Wien. Hier lernte er auch seine Frau Zsuzsa kennen, die 1956 mit ihrer Schulklasse geflüchtet war. Die Integration in das neue Umfeld haben beide immer als ihre Pflicht angesehen. Sie legten großen Wert darauf, dass ihre Tochter vor allem Deutsch lerne - nach 50 Jahren fühlen sie sich heute mehr als Österreicher.

Eine "unechte 56erin"

Erzsébet Kovács bezeichnet sich noch heute - im Gegensatz zu vielen Auslandsungarn - als Ungarin: "Das Ungarischsein ist für mich so wie die Luft zum Atmen." Sogar ihre Tochter, eine gebürtige Wienerin, fühlt sich noch als Ungarin. Von Anfang an sah sie die Verpflichtung, die ungarische Kultur auch in der Emigration zu fördern. So gründete sie mit ihrem Mann Kálmán Kovács, ein Kunstmaler und Schüler Oskar Kokoschkas, die Vierteljahreszeitschrift Integratio - ein ungarisch-und deutschsprachiges Medium für kulturelle und politische Auseinandersetzungen. Ebenso betrieben die Kovács' eine Buchhandlung in der Wollzeile, in der in Ungarn verbotene Bücher vertrieben wurden. In der Zeit bis zur Wende bestand reger Kontakt zu ungarischen (unter anderem zu Viktor Orbán) und internationalen Intellektuellen (Václav Havel, Albert Camus und Alexander Solschenizyn). Den Geist von 1956 zu bewahren, war Erzsébet Kovács immer ein großes Anliegen. Dabei stört auch der Schönheitsfehler nicht, dass sie selber erst 1964 nach Wien kam: "Ich fühle mich als 56erin!" Ihr Mann hingegen ist ein "klassischer 56er": Er war zuerst in einem Flüchtlingslager untergebracht, ehe ein österreichischer Graf auf sein Talent aufmerksam wurde und seine Ausbildung finanzierte. Doch trotz der großen Treue zur Heimat wollte das Ehepaar Kovács auch nach der Wende nicht mehr in Ungarn leben - ein Versuch, sich dort wieder niederzulassen, scheiterte: "Die Mentalität ist heute in Ungarn anders. Das Land ist von einer Demokratie sehr weit entfernt."

Europäische Identität

Als am 4. November eine Delegation der neu gebildeten ungarischen Regierung unter der Führung von Staatsministerin Anna Kéthly nach Wien und von dort noch am selben Abend nach New York reiste, war mit Alpár Bujdoso der einzige Student an Bord. Eine Rückreise nach Ungarn sollte nicht mehr möglich sein. So ließ sich Bujdoso erst ein Jahr später, im Oktober 1957, nach Aufenthalten in Deutschland und Südostasien, endgültig in Wien nieder. Ausschlaggebend für diese Wahl waren die großen Ähnlichkeiten in seinem Studium der Bodenkultur zwischen Sopron und Wien. "Von Anfang an jedoch stand für mich fest, dass es ein europäisches Land sein müsste", sagt Bujdoso, der seine Identität als "europäische - aber nicht kosmopolitische" bezeichnet. Zur Erhaltung der ungarischen Kultur im Exil hat er in Form von avantgardistischen literarischen Arbeiten auf Ungarisch selbst etwas beigetragen. Bis heute wohnt er in einer Wohnung im 21. Gemeindebezirk, die ihm damals von den Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt wurde.

2. Generation

Die Großmutter des Kunsthistorikers und Managers Christian Bauer nutzte eine der letzten Möglichkeiten, um mit ihrer Tochter - Bauers Mutter - nach dem Einmarsch der Sowjets zu ihrem Mann und Sohn nach Wien zu gelangen. Die wirtschaftliche Not, in der die Familie anfangs lebte, ergab sich paradoxerweise daraus, dass der Großvater bereits österreichischer Staatsbürger war und seine Familie sofort die Staatsbürgerschaft erhielt. Somit entfielen die für Flüchtlinge vorgesehenen Sozialleistungen. Obwohl sein Vater - ein Österreicher - eine zweisprachige Erziehung ablehnte, erlernte Bauer die Sprache seiner Mutter. Der ungarische Hintergrund ist für den Geschäftsführer der Kunsthalle Krems nach wie vor prägend: Er liebt das Reiten, Paprikahuhn und ungarische Fischsuppe. Auf den Aufstand von 1956 blickt er mit Sympathie: "Nach 150-jähriger Türkenherrschaft und den Habsburgern mussten die Ungarn nun auch noch die Sowjets ertragen."

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