"Gefühle schob ich damals einfach weg"

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furche-Gespräch mit einer Ex-Terroristin,die heute im Kosovo für den Frieden arbeitet: Silke Maier-Witt wirkte 1977 an der Entführung und Erschießung des deutschen Industriellen Hanns-Martin Schleyer mit.Was sie damals verführt und was ihren Sinneswandel bewirkt hat,erzählte sie Roberto Talotta in Prizren.

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furche-Gespräch mit einer Ex-Terroristin,die heute im Kosovo für den Frieden arbeitet: Silke Maier-Witt wirkte 1977 an der Entführung und Erschießung des deutschen Industriellen Hanns-Martin Schleyer mit.Was sie damals verführt und was ihren Sinneswandel bewirkt hat,erzählte sie Roberto Talotta in Prizren.

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die furche: Sie sind seit Februar hier im Kosovo sozial engagiert. Wollen Sie wieder die Welt verändern, diesmal mit friedlichen Methoden?

Silke Maier-Witt: Ja gut, ich backe jetzt schon kleinere Brötchen. Alles mit großem Hauruck zu machen - ich hab erkannt, dass das nicht geht. Die Veränderungen, die hier möglich sind, die sind so klein, dass sie kaum messbar sind. Ich zweifle permanent, ob das überhaupt Sinn macht, was ich hier tue. Und dann wieder denke ich: "Ja doch, es gibt ja die kleinen Schritte." Mit Serben und Albanern zusammenzuarbeiten, das erscheint mir äußerst schwierig zu sein. Nach meiner ersten Erfahrung mit Serben hier, da hab ich gesehen, welche Kluft da dazwischen ist.

die furche: Sind die Serben jetzt die Bösen?

Maier-Witt: Sie sind in die Rolle gedrängt worden und das allein schon ist schlecht. Milosevi'c und seine Politiker haben es sehr geschickt ausgenutzt, Hass zu schüren. Eine Wahrheitskommission könnte helfen: Wer hat was gemacht und wer hat auch die ideologische Begründung dafür geliefert? Damit wäre ein großer Schritt getan.

die furche: Sie arbeiten mit vergewaltigten Frauen. Ist das jetzt Ihr großer Schwerpunkt?

Maier-Witt: Es hat sich so ergeben, dass ich da mehr und mehr in diese Einzelfälle hineingezogen wurde. Im Grunde genommen - und das finde ich das Schwierige an meiner Arbeit hier - ist festzustellen, dass Friedensarbeit nicht genau definiert ist.

die furche: Sie waren RAF-Terroristin: Wie hat das begonnen? Jugendsünde, falsche Ideale?

Maier-Witt: Einerseits waren es natürlich schon andere Ideale. Als ich anfing zu studieren, da war gerade der Vietnamkrieg, da gab es die Vietnam-Demonstrationen, da gab es die Studentenbewegung und da waren wir ja alle der Meinung, dass der große Umsturz käme. Eine Jugendsünde kam schon dazu, ich bin halb hineingeschlittert, bin aber die Schritte auch selber gegangen. Ich hab mich an der Uni politisiert, wie man es damals nannte, und war auf der Suche. Mich hat am Anfang die Kompromisslosigkeit der RAF ("Rote-Armee-Fraktion") stark beeindruckt. Ich dachte mir, es sollte mir nicht das passieren, was auch mit meinen Eltern geschehen ist: Dass man in den Faschismus rutscht, ohne etwas dagegen zu tun. Das einschneidenste Erlebnis war der Tod von Holger Meins, der damals an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben ist.

die furche: Wie alt waren Sie damals - so um zwanzig? Noch empfänglich für Ideale?

Maier-Witt: Ich war 26. Aus heutiger Sicht war es so, dass der Eintritt in die RAF so etwas ist wie der Eintritt in eine Sekte, wo man dann ein für alle mal klar hat, dass man auf der richtigen Seite steht und nicht mehr lange überlegen muss, was man mit dem eigenen Leben tut. Wenn man dann illegal und die Tür dann zu ist, dann braucht man sich halt darüber keine Gedanken mehr zu machen. Heute würde ich das eher als Schwäche sehen.

die furche: Sie fühlten sich wichtig in der Gruppe?

Maier-Witt: Ja. Dennoch: Gerade die erste Aktion, das war die Besetzung der Botschaft in Stockholm, die erschien mir damals, wenn ich ehrlich gewesen wäre oder hätte sein können, ungeheuer brutal.

die furche: Ständig mit Waffen unterwegs sein, Verstecke suchen - diese Vorstellung mutet skurril an.

Maier-Witt: Teils, teils. Ich lief immer mit einer gesicherten, gespannten, riesig dicken, fetten Waffe rum, mit der Frage im Hinterkopf: "Was mach ich damit eigentlich? Will ich tatsächlich jemanden erschießen? Werde ich es tun?" Im Nachhinein hab' ich natürlich meine Bedenken. Damals habe ich Gefühle wirklich so erfolgreich weggeschoben, dass mich das im Nachhinein erschreckt hat.

die furche: Und die Moral zählte nicht?

Maier-Witt: Ja, die Moral. Die gab's immer mal so ansatzweise. Aber irgendwann waren meine Fahndungsfotos raus. da gab's schon kein Zurück mehr. Und dann kam die erste Aktion, an der ich mehr am Rande beteiligt war, das war die Entführung von Hanns-Martin Schleyer.

die furche: Was war Ihre Rolle? Kundschafterdienste?

Maier-Witt: Ich habe die Botschaften verteilt, das war damals ja nicht ohne, weil natürlich die Fahndung auf Hochtouren lief. Das war im Grunde meine wesentlichste Aufgabe.

die furche: Wie sehen Sie nachträglich Ihre Kampfgenossen, Gudrun Ensslin etwa oder Andreas Baader und Ulrike Meinhof?

Maier-Witt: Rein psychologisch? Ich glaube, dass sie auch reingeschlittert sind und dann plötzlich auch mit dem konfrontiert waren. Ich habe inzwischen die Tochter von Ulrike Meinhof kennen gelernt. Das hat mich schwer beeindruckt. Zu sehen, dass diese Frau, die jetzt um die 30 ist, noch immer nicht damit fertig geworden ist, dass ihre Mutter auf der einen Seite hochstilisiert wurde, auf der anderen Seite verurteilt wurde und sie, die Tochter, sich selber von ihr eigentlich schlicht und einfach verlassen gefühlt hat - weil vietnamesische Kinder wichtiger waren als sie. Mit diesem Widerspruch ist die Tochter bis heute nicht klargekommen.

die furche: Ihr Leben im Gefängnis?

Maier-Witt: Ich habe mitgekriegt, wie die Auseinandersetzungen zwischen den Gefangenen im Knast gelaufen sind. Das war derartig brutal, wie miteinander umgegangen wurde. Da kann man nur zerbrechen.

die furche: Vor fünf Jahren haben Sie das Gefängnis verlassen. Lehren?

Maier-Witt: Dass Ideologien gefährlich sein können. Dass man für eine Ideologie die eigenen moralischen Bedenken einfach über Bord werfen kann, indem man das dann auch noch irgendwie rechtfertigt. Indem man rechtfertigt, dass bei Schleyers Entführung vier Leute einfach gnadenlos niedergeknallt wurden, weil das Ziel, die Gefangenen rauszuholen, viel höher war als alles. Bei der RAF war das oberste Ziel, die Gefangenen zu befreien. Und als die dann plötzlich auch noch Selbstmord begingen, was für uns eigentlich als Gruppe einfach alles weg. Damals fing der Zerfall der Gruppe an, das war wirklich offensichtlich und das war im Nachhinein betrachtet eine psychologisch ziemlich interessante, aber irgendwie auch wirklich tragische Geschichte. Zumal eben so viele Leute auf beiden Seiten dabei haben sterben müssen.

die furche: Sie sind Ende der Siebziger unter falschem Namen in die damalige DDR untergetaucht und wurden zehn Jahre später, nach der Wiedervereinigung, geschnappt. War das Arbeiterparadies erstrebenswert?

Maier-Witt: Als die Wende kam, hab ich das auch schon als Befreiung empfunden. Ich hab mich damals auch geschämt, dass ich vieles einfach nicht wahrhaben wollte von dem, was in der DDR passierte. Es hat auch viel Liebenswertes in der DDR gegeben. Aber: Ich hab versucht, als Sozialarbeiterin tätig zu sein. Das stieß auf so viel Misstrauen! So was war ihnen noch nie untergekommen: Da kommt jemand freiwillig und fragt, ob er nicht irgendwas machen kann. Ich hab' dann als Krankenschwester gearbeitet und freiwillig in meinem Urlaub ein Kinderferienlager betreut. Unvorstellbar. Das haben die nur während ihrer Arbeitszeit gemacht. Dass ich während des Urlaubs arbeiten will, das war für die schon ein bisschen merkwürdig.

die furche: Versuch einer Zusammenfassung: Die DDR war kein Paradies, gesühnt haben Sie und jetzt helfen Sie hier im Kosovo. Hat sich etwas positiv verändert?

Maier-Witt: Also, dass sich gar nichts verändert hat, kann ich eigentlich nicht sagen. Die 68er-Bewegung, wie auch immer, war schon so ein Schritt in Richtung Demokratisierung. Der Krieg in Bosnien und diese Vergewaltigungen und diese Brutalität, das ist schon ein Schock. Es gibt auch keine Antwort darauf, warum die Deutschen plötzlich alle zu Judenhassern und -verfolgern geworden sind. Ich hoffe immer noch drauf, dass es mehr Leute gibt, die Konflikten nicht ausweichen, sondern versuchen, was zu verändern. Ich denke, das ist hier genauso notwendig, wie es auch in Deutschland notwendig wäre.

die furche: Also es gibt Hoffnung.

Maier-Witt: Ja. Sonst würde ich hier im Kosovo auch nicht arbeiten wollen. Ich sehe schon Hoffnung.

Das Gespräch führte Roberto Talotta.

Zur Person: Mit der Verhaftung begann die Umkehr Vor 25 Jahren zählte Silke Maier-Witt zu den meist gesuchten Terroristinnen der Bundesrepublik Deutschland. Die Psychologiestudentin hatte sie sich der "Rote-Armee-Fraktion" (RAF) angeschlossen und an der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer, der schließlich von den Terroristen ermordet wurde, mitgewirkt. Im Gefolge eines Banküberfalls in der Schweiz, bei dem eine unschuldige Passantin umkam, verließ Maier-Witt die RAF und tauchte in der DDR unter. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde sie verhaftet und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, jedoch nach fünf Jahren entlassen. Während der Haft kam ihr der Mut zu neuen Wegen: "Die Verhaftung nach der Wende war der Anfang vom Neubeginn," stellt Silke Maier-Witt einmal fest. Nach der Entlassung schloss sie ihr Studium als Diplom-Psychologin ab und suchte Arbeit. Für das deutsche Bundesministerium für Entwicklung ist sie derzeit im Kosovo tätig. Dort arbeitet sie unter anderem mit vergewaltigten Frauen.

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