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Gegen das Sumpfgift

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Ein französischer Freund, der mich kürz- in Rom aufsuchte, wollte eine Probe seines esprit parisien geben, indem er meinte: „En Italie, pour voir un joli nu, il faut aller aux Musees du Vatican.“ Diese Bemerkung, wie falsch immer der Gesichtspunkt war, unter dem sie gemacht wurde, enthielt zwei richtige Beobachtungen. Dem Ausländer, besonders aus den westlichen und nordischen Staaten kommend, mußte auffallen, daß es in Italien eine ausgesprochen pornographische Literatur beinahe nicht gibt und daß jene andere, die sich an der Grenze des eben noch Erlaubten und des vom Gesetz bereits Bestraften entlang bewegt, nur in den seltenen Fällen in jene Tiefen von Schmutz und Schund hinabsteigt, wie es in anderen Ländern, und leider auch in Österreich, der Fall ist. Auf der anderen Seite hat gerade die Kirche, die durch einige äußerst aktive Organisationen den Kampf gegen Unmoral im Schrifttum aufgenommen hat, das wahre und echte Kunstwerk mit aller Selbstverständlichkeit akzeptiert, wobei die Darstellung des Menschen nicht die geringste der Ausdrucksformen ist. Der Bekämpfung des Unmoralischen kommt also in keiner Weise etwas von muckerhafter Scheu vor dem menschlichen Körper zu, wie die an gewissen Zeitschriften kommerziell Interessierten behaupten wollen.

Im Vorzimmer einer jener Vereinigungen für den Kampf gegen die pornographische Presse fand ich ein großes Bilderwerk über eben die reichen Sammlungen des Vatikans an antiken Skulpturen zu dem Zwecke aufgelegt, dem Wartenden die Zeit zu verkürzen. Als ich dem Vorsitzenden gegenüber dann das Gespräch auf diese Tatsache brachte, erklärte dieser ohne weiteres: Es ist gar nicht immer so leicht, die künstlerische Absicht von der Pornographie auseinanderzuhalten, aber es gibt für mich ein ziemlich sicheres Kriterium: die kommerzielle Finalität. Wo Schönheit um der Schönheit willen flargestellt wird, nimmt niemand daran Anstoß. Wo aber das Emotiontelle mit dem Geschäft verknüpft wird, dort greifen wir ein.“

Es gibt in Italien eine ganze Reihe von Einrichtungen, welche sich mit Erfolg um die Säuberung der Druck-Erzeugnisse von Unmoral bemühen, wie etwa die „Fronte della Famiglia“, welche die Sittlichkeit in der Familie wahren will, oder di e „Associa- zione del Buon Costume“, deren Präsident, Professor Constantini, nach vierzigjähriger Lehrtätigkeit eingesehen hat, daß die Erziehung zur Sauberkeit Erziehung zum Kunstwerk bedeutet, und andere Vereinigungen in fast allen größeren Zentren. Die aktivste und über das ganze Staatsgebiet wirkende Stelle ist jedoch das der Katholischen Aktion angeschlossene „Segretariato Generale per la Moralitä“, das in allen Diözesansekretariaten Verzweigungen besitzt. Der Leiter dieser Stelle, die in einem weitläufigen Palastbau der Katholischen Aktion in Vatikannähe ihren Sitz hat, ist der Advokat G. Dem eleganten und noch jungen Mann haftet nichts' Geheimnisvolles an und das Siegel entspricht nur seiner Bitte, ihm die Vorteile der Anonymität seines Wirkens auch weiterhin zu bewahren.

Worin besteht nun die Tätigkeit des

Segretariato per la Moralitä und seiner Verzweigungen in den einzelnen Diözesen Italiens? Es versucht vot allem die Aufmerksamkeit der sittlich empfindenden. Bevölkerung wachzuhalten, und man hat sowohl innerhalb wie außerhalb der Katholischen Aktion öffentliche Protestkundgebungen in Form von Zeitungsartikeln, Versammlungen, Tagesordnungen und besonderen Predigten, vor allem anläßlich der „Tage (oder Wochen) der Sittlichkeit“ angeregt. Man hat Unterschriften in allen Kreisen gesammelt, um die Aufmerksamkeit der Gerichtsbehörden auf eine flagrante Verletzung der öffentlichen Moral und des Anstands zu lenken. Die enge Zusammenarbeit mit den Quästuren und Präfekturen, also mit der Polizei- und Verwaltungsbehörde, ist um so notwendiger, als deren Einschreiten nur auf Grund einer vorhergegangenen Anzeige möglich ist. In den seltensten Fällen ergreift das. Segretariato per la Moralitä selbst die Initiative, es stützt sich vielmehr zumeist auf einflußreiche Personen, die vielfach auch außerhalb der Katholischen Aktion stehen. Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, daß die Wirkung in der Öffentlichkeit in solchen Fällen ungleich größer ist. So wurde zum Beispiel eine sogenannte „sexualwissenschaftliche“ Zeitschrift, die den Titel „Narciso“ führte, auf Grund einer Anzeige der medizinischen Fakultät der Stadt

Rom dauernd eingestellt. Die gesetzlichen Grundlagen für die Bekämpfung unsittlichen Schrifttums werden als durchaus ausreichend empfunden. Es handelt sich also eher darum, die strikte Durchführung, besonders was die Beschlagnahme anlangt, zu überwachen.

Das Generalsekretariat in Rom gibt den Diözesansekretariaten die Richtlinien für die Beurteilung des Schrifttums, in welchen Fällen das Schamgefühl verletzt wird, in welchen ein Verstoß gegen die öffentliche Sittlichkeit vorliegt. In keiner italienischen Zeitung oder Zeitschrift wird man etwa Inserate für physikalische oder chemische Mittel finden, welche die Fortpflanzung verhindern oder einen Abortus hervorrufen sollen, während die Presseerzeugnisse der westlichen Länder voll davon sind, mit allen Anleitungen zu ihrer Anwendung. Ebenso würde sich jedes italienische Blatt weigern, gewisse amouröse Einschaltungen in der Art

„Junger Mann sucht gleichgestimmte Seele für Tanz usw.“ anzunehmen und sei seine finanzielle Basis noch so schwach. Auch außerhalb des sexuellen Gebietes ist mancherlei verpönt, zum Beispiel die Abbildung von Selbstmördern und Verbrechern in besonders aufreizender Art. Die Diözesansekretariate wieder erstatten dauernd Bericht über ihre Tätigkeit und signalisieren neue Publikationen, auf die ein scharfes Auge gerichtet werden muß.

Wo ein eigentlich pornographisches Schrifttum in Italien auftritt, ist es meist aus Frankreich geschmuggelt oder auch regelrecht importiert. Das ist ein reines Polizeiproblem. Die Händler werden nicht viel anders betrachtet als Opiumschmuggler, schlimmer noch, denn es handelt sich um Rauschgift der Seele. Seit dem Kriegsende war es nur in zwei Fällen notwendig, zum daufernden Verbot einer Publikation zu schreiten, gewöhnlich genügt die Beschlagnahme einzelner

Nummern, um die Herausgeber zur Ordnung zu mahnen. Maßgeblich ist der durchschnittliche Bildungsgrad und die durchschnittliche moralische Sensibilität der Bevölkerung, die ihrerseits wieder vom Milieu abhängen. Denn zweifellos wird in den sittlich sehr gefestigten bäuerlichen Gebieten manches als anstößig empfunden, was in der Großstadt wenig Aufmerksamkeit erregt. Diesem Umstand muß Rechnung getragen werden, wenn die Beschlagnahme bei den Gerichtsbehörden angeregt wird. Die Gesetzgebung legt ferner großen Wert auf die Feststellung, für welches Lebensalter die Publikationen bestimmt sind. Für Jugendschriften gelten besonders strenge Maßstäbe. Es ist keineswegs der Erweis nötig, daß moralischer Schaden angerichtet wurde, es genügt die Möglichkeit, daß er erfolgen könnte. Das Strafausmaß ist nicht gering: schon das erste Vergehen bringt Verurteilungen zu Geldbußen und mehrmonatiger Gefängnishaft mit sich.

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