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Gegen die Deponierung von Christen

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Kurz vor dem 3f. August, dem ungarischen Wahlsonntag, dessen Ausgang die Geschichte Ungarns in eine Phase kaum berechenbarer Entwicklungen lenkt, ist dem Ministerpräsidenten Lajos Dinnyes ein Protest des ungarischen Episkopats gegen die Fortsetzung ' der Deutschenaustreibung zugegangen, der, wie immer sich die kommenden Ereignisse gestalten werden, zu den schönsten Akten ungarischer Geschichte gezählt werden wird.

Mit diesem denkwürdigen Dokument, das eingangs daran erinnert, daß die Bischöfe Ungarns im Jahre“ 1944 „nichts unversucht gelassen haben“, um bei der damaligen Regierung die Einstellung der unmenschlichen Judenverfolgung zu erreichen *— eine Erinnerung, die an das starke jüdische Element in der jetzigen Regierung appelliert —, erhob der Episkopat Ungarns zum zweitenmal seine Stimme zum Schutze der sogenannten „Schwaben“. 130.000 der rund eine halbe Million Seelen umfassenden deutschen Minderheit Ungarns waren auf Grund der Potsdamer Beschlüsse bis Ende 1946 ausgesiedelt worden. Da stellten die amerikanischen Behörden die Fortsetzung der Aktion mit der Begründung ein, daß sie entgegen den Potsdamer Bestimmungen nicht in „humaner und geordneter Weise“ vollzogen werde. Als im

Frühjahr 1947 mit der Abschiebung weiterer 170.000 ungarländischer Volksdeutscher in die amerikanische Zone Deutschland! fortgefahren werden sollte, verweigerten die Amerikaner die Übernahme. Hingegen haben sich die Russen bereit erklärt, die „Flüchtlinge“ in die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands aufzunehmen.

Nun wiederholt der ungarische Episkopat seinen schon im Jahre 1945 erhobenen Protest gegen die unmenschliche und dem Lande abträgliche Maßnahme. „Wir haben in der faschistischen Zeit gegen die Depor-ticrung der Juden protestiert; wir wenden uns jetzt gegen die Depor-tierung von Christen.“

Wir zitieren wörtlich nach dem „U j E m b e r“, dem meistgelesensten Wochenblatt Ungarns, folgende Stellen der episkopalen Kundgebung:

„Warum wollen wir dieses Volk verstoßen, es dem Ungartum für immer entfremden? Warum wollen wir seine Blutsverwandten uns zu Todfeinden machen? Reichsdeutsche Seelsorger berichten, daß die Kinder unserer ausgewiesenen Deutschen -zum großen Teil ihre Muttersprache verlernt haben und daß zu ihrem katechetischen Unterricht ungarisch sprechende Priester gesucht werden müssen. Und wenn wir schon die lebenden Deutschen in die Verbannung schicken, warum nicht auch das Denkmal eines Semmelweis, die Werke Steindls, Ybls, Strobls usw., warum nicht auch die Bücher Franz Herczegs? Warum streichen wir nicht in den Annalen Vier Wissenschaftlichen Akademie die Namen jener großen Gelehrten, die deutscher Abstammung sind? Wieviel Ungarn gibt es, treue Söhne des Vaterlandes, deren Väter Deutsche waren! Der ungarische Staat sucht das den Juden zugefügte Unrecht nach Möglichkeit wiedergutzumachen, die Rüdksiedlung der verschleppten Juden, die Rückerstattung ihres geraubten Eigentums möglichst vollständig durchzuführen. Wir können das nur billigen. Doch warum sollen christliche Deut-schevon Haus undHof vertrieben werden, warum sollen j i e seelisch und körperlich zugrunde gerichtet und dem ungarischen Volk die Verantwortung für neues Unrecht aufgebürdet werden? Ein fleißiges und tüch-' tiges Volk stoßen wir aus unserer Mitte. Wir brechen es seelisch, indem wir seine Angehörigen als unerwünschte Fremde diffamieren und aus dem Lande jagen, Menschen, die sich als zu uns gehörend betrachten, sogar noch in der Fremde. Und was müssen die heimkehrenden ichwlbiichen Kriegsgefangenen empfinden, die Schulter an Schulter für das Vaterland gekämpft und gelitten haben? Es ist zutiefst betrüblich, daß unmittelbar vor der Feier der 48er Jahrhundertwende eine solche Finsternis sich auf unser Land senkt; daß die Menschenrechte unmittelbar vor der Jahrhundertwende ihrer feierlichen Proklamierung am 15. März 1848 mit Füßen getreten werden.“

Das Schreiben de Episkopats sagt In seinem Schlußwort:

„Herr Ministerpräsident! Das glauben wir Ihnen freimütig sagen zu müssen, damit d i e neuerliche Beugung der Gerechtigkeit nicht ohne unseren Protest geschehe. Wir glaubten, nicht schweigen zu dürfen, solange noch eine leise Hoffnung besteht, daß Unrecht und Leiden abgewendet werden können.“

Ungarns Staatspräsident Zoltan von Tildy ist von Beruf kalvinischer Pfarrer. Wird er die Kraft haben, der mahnenden* Stimme der katholischen Bischöfe und* seinem eigenen Gewissen zu folgen? In einem Interview mit einem leitenden Mitarbeiter der Wiederaufbauabteilung des ökumenischen Rates der Kirchen in Genf, Doktor Stewart Herman, hat er unlängst geäußert:

„Niemals haben die Kirchen eine größere Gelegenheit und eine höhere Aufgabe gehabt als in unserer unruhigen Zeit. Millionen von Männern und Frauen warten auf die Botschaft, die ihnen den Weg in die Zukunft weist. Aber die Kirchen können ihre Aufgabe nur dann erfüllen, wenn sie rückhaltlos das Evangelium bekennen und verkündigen, wenn sie in ihrem Dienst, in ihrer Selbstaufopferung, in ihrem missionarischen Werk das Schicksal des schlichten Menschen teilen.“

Der Herr Staatspräsident Tildy hat nun Gelegenheit, diesem „rückhaltlosen Bekennen des Evangeliums“ Rechnung zu tragen. Aber wie immer er es halten möge: es wird ein Trost bleiben, daß auch dort, wo alles schweigt, alle Freiheit zerbricht, noch .apostolische Hirten unerschrocken für die Menschlichkeit und Gerechtigkeit sich erheben.

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