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Gegenstück zur Untat von Rechnitz

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Nicht nur das südbur-genländische Rechnitz war im März 1945 Schauplatz eines Massakers an jüdischen Zwangsarbeitern aus Ungarn (Furche 12/95). Ähnliches geschah in Deutsch Schützen.

Die Gemeinde Deutsch Schützen gehört zum Bezirk Oberwart und liegt in der Nähe des Eisenbergs direkt an der österreichisch-ungarischen Grenze. Der Ort hatte am Ende des Zweiten Weltkrieges rund 800 Einwohner und war Sitz einer Unterabschnittsleitung für den Abschnitt VI des Südostwallbaues. Der Unterabschnitt umfaßte den Bereich von Eisenberg bis Deutsch Schützen.

Deutsch Schützen wird vom restlichen Bezirk durch einen vom Norden (Eisenberg) bis in den Südwesten (Holl) verlaufenden Bergrücken, der sich als Verteidigungslinie gut eignete, abgetrennt. Daher ist es plausibel, daß der Ort nicht in die Verteidigung einbezogen wurde.

Anfänglich schanzten, wie auch in vielen anderen Abschnitten, die ansässige Bevölkerung sowie dienstverpflichtete Angehörige der Hitlerjugend (HJ). Ab Anfang 1945 wurden vermehrt ungarische Juden zu den Arbeiten herangezogen. Vor allem kamen Juden aus dem Bezirk Vas (das ungarische Komitat, das an den Bezirk Öberwart grenzt), wo sie bis zu dieser Zeit in halbmilitärisch organisierten Hundertschaften als Zwangsarbeiter gearbeitet hatten.

Nach Deutsch Schützen wurden 500 bis 600 Juden deportiert und in zwei leerstehenden Gebäuden untergebracht. Laut Aussagen eines Überlebenden standen ihnen nur wenige Pritschen zur Verfügung. Viele mußten auf dem Boden schlafen. Die Gebäude waren mehrstöckig und verfügten über keinerlei Heizmöglichkeit oder hygienische Einrichtungen. Die Juden bekamen zweimal täglich wenig und schlechtes Essen. ■

Die Küche war im Pfarrhof eingerichtet. Dies war mit ein Grund, weshalb es einigen Juden im letzten Moment gelang, dorthin zu flüchten. Pfarrer Johann Farkas versteckte sie, bis der Ort von der Boten Armee eingenommen wurde. Auch von anderen Ortsbewohnern ist bekannt, daß sie Juden versteckt hielten.

Dies ist insofern bemerkenswert, als die Bevölkerung mit den ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern kaum in Berührung kam, da die Scheunen am Ortsrand lagen und der Weg zur täglichen Arbeit nicht durch den Ort führte. Nur einzelne, wie ein Überlebender berichtete, die Botendienste ausführten, kamen in Kontakt mit der Ortsbevölkerung. Die Aussagen der Überlebenden schildern generell eine gute Behandlung durch die Bevölkerung von Deutsch Schützen. Auch soll die Bewachung während der Schanzarbeiten, die von SA-Angehörigen ausgeübt wurde, ohne übertriebene Härte erfolgt sein.

Neben den Juden mußten auch

HJ-Angehörige schanzen, die dem Kommando eines HJ-Bannführers unterstanden. Ob dieser auch die Befehlsgewalt über die SA-Männer hatte, die die jüdischen Zwangsarbeiter bewachten, konnte im Zuge des Prozesses nach dem Krieg nicht eindeutig geklärt werden.

Als sich die Front schon in nächster Nähe befand, verschwanden die Bewacher von der SA. In der Frühe des Gründonnerstages, 29. März 1945, wurde dieses Verschwinden bekannt. Kurz darauf erging der Befehl an drei Angehörige der SS-Division „Wiking”, die am Vortag von der Front nach Deutsch Schützen gekommen waren, die jüdischen Zwangsarbeiter sofort zu exekutieren. Dabei wurden sie vermutlich von Feldgendarmen unterstützt.

Die HJ-Führer brachten die Opfer zuerst in zwei Gruppen zu je 20 bis 30 Personen zur alten Kirche von Deutsch Schützen, die außerhalb des Ortes lag. Ein weiterer HJ-Führer hatte inzwischen die Täter aus den Beihen der SS-Division zum Tatort, eine durch Holzschlag entstandene Lichtung, gebracht. Wie üblich, war auch eine zehn bis 15 Liter fassende Korbflasche hiit Wein dabei.

Die Opfer wurden sodann von der alten Kirche in den Wald geführt, wobei sie Krampen und Spaten tragen mußten, um sie im Glauben zu lassen, sie müßten nun schanzen. Als sie bei den zick-zack-förmig ”verlaufenden Gräben auf der Lichtung angekommen waren, wurden ihnen alle Wertsachen abgenommen. Sie mußten sich in den Graben stellen und wurden erschossen. Dabei sorgten ein HJ-Führer und Feldgendar-

men dafür, daß niemand davonlaufen konnte.

Als schon die dritte rund 150 Opfer zählende Gruppe bei der alten Kirche wartete, kam angeblich von der Kreisleitung Oberwart der Befehl, die Erschießungen sofort einzustellen. Daher wurde die Gruppe in den Ort zurückgeführt, wo sie sich zum Abmarsch in Richtung Hartberg bereitmachte. Noch am Vormittag begann der Marsch von 400 bis 450 Juden. 40 war die Flucht über Kohfidisch, Jabing und Oberdorf nach Hartberg gelungen. Während des Abtransportes schaufelten die HJ-Führer das Massengrab zu, wobei ein Schwerverletzter erschossen wurde. Danach folgten sie dem Transport, den sie wie vereinbart in Kohfidisch einholten. Während des zweitägigen Marsches nach Hartberg wurden noch mehrere Juden erschossen, die nicht mehr mitkamen.

Das Grab der rund 60 Erschossenen wurde Ende Mai 1945 von einer ungarischen Kommission geöffnet, um die Opfer zu identifizieren. Bis •auf zehn oder zwölf Leichen wurden alle Toten exhumiert und an derselben Stelle wieder beerdigt.

Da die SS- und SA-Männer nicht ausfindig gemacht werden konnten, kam es lediglich zu einem Prozeß gegen sieben HJ-Führer. Das am 5. Oktober 1946 gefällte Urteil ergab fünf Schuldsprüche. Es wurden drei mitschuldig des Verbrechens des bestellten Mordes und zwei des versuchten Verbrechens des bestellten Mordes (die Erschießung der dritten Gruppe wurde durch den Befehl der Kreisleitung verhindert) für schuldig erkannt.

Weiter wurden alle des Verbrechens nach Paragraph 1 KVG (Kriegsverbrechergesetz) einer vorsätzlichen Tat, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit und den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechtes widerspricht, für schuldig befunden.

Das Strafausmaß belief sich auf 15 Monate bis drei Jahre strengen Arrestes. Als der HJ-Bannführer ausfindig gemacht wurde, kam es 1956 zu einem weiteren Prozeß. Es wurde ihm angelastet, den Befehl zur Erschießung gegeben zu haben (Anstiftung zum Verbrechen des teils vollbrachten, teils versuchten Mordes sowie Kriegsverbrechen nach Paragraph 1 KVG). Ende: Freispruch.

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