7118374-1996_24_17.jpg
Digital In Arbeit

Geheimdiplomatie anno 1916

Werbung
Werbung
Werbung

In Taba ziehen sich die Verhandlungen um die endgültige Gestaltung des Palästinenser-Staates in die Länge. Zwischen Jerusalem und Damaskus pendeln amerikanische Spitzendiplomaten, um Frieden zwischen Israel und Syrien zu erreichen: Friede - 48 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung des Judenstaates, 80 Jahre nach dem Sykes-Picot-Vertrag, mit dem das Fell des Bären verteilt werden sollte, bevor er noch erlegt worden war. Der Vertrag, der Ausgangspunkt der bis heute fortdauernden Konflikte wurde.

Das Osmanische Reich stand seit 1914 auf deutscher Seite im Ersten Weltkrieg. Versuche der Entente, den Sultan für sich zu gewinnen, waren gescheitert, ebenso alle Angriffe britischer und französischer, später auch italienischer Truppen auf die Meerengen. Mehr militärischen Erfolg hatten die Engländer von Ägypten aus in Richtung Palästina.

Um die Araber zum Aufstand gegen die Türken zu bewegen, sagte der britische Hochkommissar in Ägypten, McMahon, dem Scherif Hussein in Mekka die Errichtung eines arabischen Königreichs zu, ohne allerdings die Grenzen eindeutig zu umreißen. Denn auch Frankreich meldete seine Wünsche auf Syrien an, und die Engländer selbst schielten auf Mesopotamien, den heutigen Irak.

Um nun zunächst die Interessen von Paris und London aufeinander abzustimmen, kamen der britische Staatssekretär Mark Sykes und sein französischer Kollege Georges Picot im Auftrag ihrer Regierungen zu streng geheimen Besprechungen zusammen und unterzeichneten am 16. Mai 1916 ein (nach ihnen benanntes) Papier. Danach sollte Frankreich Südostanatolien (Cilicien) mit Kurdistan und der syrischen Küste erhalten, England die Häfen Akko und Haifa im heutigen Israel, den südlichen Irak und die Golfküste. Die heiligen Stätten Palästinas sollten unter internationale Kontrolle gestellt und in eine britische und eine französische Interessensphäre geteilt werden. Was blieb dann noch für das geplante arabische Königreich über? Vor allem doch Palästina außerhalb der heiligen Stätten und das spätere Jordanien.

Der Konflikt um

Palästina erwuchs aus dem Sykes-Picot-Vertrag vor 80 Jahren. Er war Grundlage für die ersten Umsiedlungen in diesem Jahrhundert.

Diese Punktationen wurden dann in weiteren Geheimgesprächen mit der italienischen und der zaristischen Regierung ausgeweitet. Hierbei sicherten die Unterhändler Rußland den Besitz der Meerengen zu - ein altes Ziel des Zarenreiches, ferner die armenisch besiedelten Gebiete in der Nordost-Türkei, während Italien -das seit 1912 die Ägäischen Inseln besetzt hielt - Südanatolien mit Smyr-na erhalten sollte.

Während nun der arabische Aufstand mit britischer „Militärberatung” - Oberst T. E. Lawrence - im Hedschas an Boden gewann, nach Syrien vorstieß und 1917 Jerusalem fiel, sahen die Geheimverhandlungen schon wieder andere Kriegsziele vor:

Am 2. November 1917 versicherte der britische Außenminister Arthur J. Balfour in einem Schreiben an Lord Walther Bothschild zur Weiterleitung an die Zionist Federation, die britische Begierung „betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird die größten Anstrengungen machen, um die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern”. Mit dieser Versicherung wollte Balfour die Bemühungen Deutschlands, die Zionisten in den USA für sich zu gewinnen, unterlaufen. Bußlands Juden sollten gegen die Kriegsmüdigkeit in ihrem Land mobilisiert werden. Als die Bolschewiken im Oktober 1917 die Macht ergriffen, öffneten sie auch die zaristischen Archive und gaben den Inhalt aller dieser Abmachungen preis - zur Empörung der Araber, die sich durch die Balfour -Declaration betrogen fühlten.

Am 30. Oktober 1918 wurde der Waffenstillstand zwischen dem Os-manischen Beich und den Alliierten unterzeichnet. Als aber die Verhandlungen begannen, die zum Friedensschluß von Sevres führen sollten, meldeten auch die Griechen ihre Forderungen an, waren sie doch unter der Voraussetzung auf alliierter Seite in den Krieg eingetreten, daß ihnen die griechisch besiedelten Gebiete des Erzfeindes zugeteilt würden.

Eleutherios Venizelos, der schon den Epirus, Südmazedonien und seine Heimat Kreta mit dem Mutterland vereinigt hatte und gerade wieder einmal als Ministerpräsident amtierte, zielte auf Thrakien, Konstantinopel und die anatolische Ägäis- Küste mit Smyrna. Er fand beim britischen Premierminister David Lloyd George Sympathien und konnte sich auf geheime Zusagen während des Kriegs stützen.

Aber, im Unterschied zu Deutschland und Österreich-Ungarn formierte sich in der Türkei Widerstand gegen die Aufteilungspläne der Sieger. General Mustafa Kemal Pascha - der spätere Staatspräsident Kemal Ätatürk - stellte sich an die Spitze der nationalen Erhebung, berief im April 1920 eine Nationalversammlung nach Ankara ein und lehnte die Anerkennung des Friedens von Sevres ab. Dort war am 10. August 1920 Griechenland Ostthrakien bis vor die Tore von Istanbul, die Dardanelleninseln Im-bros und Tenedos und das Vilajet Smyrna zugesprochen worden - nachdem griechische Truppen mit Briten-Hilfe schon im Mai 1919 Smyrna besetzt hatten.

Aber nun hatten vor allem die Franzosen ihr Interesse an einer Verlängerung des Kriegs verloren, und als in Athen Venizelos gestürzt wurde, sah auch England die Gelegenheit gekommen, sich zurückzuziehen - und die Griechen in Kleinasien ihrem Schicksal zu überlassen. Ungehindert von den nun „neutralen” Franzosen und Engländern jagte Kemal Pascha die Griechen ins Meer. 600.000 Menschen kamen ums Leben, 1,5 Millionen mußten in der Folge ihre Heimat verlassen - mit ihnen 50.000 Armenier und Tscherkessen: die im Frieden von Lausanne (Juli 1923) besiegelte erste umfassende Umsiedlungsaktion des Jahrhunderts. 1,4 Millionen Griechen wurden gegen 380.000 Türken und 50.000 Bulgaren aus Thrakien und Makedonien „ausgetauscht”.

Aber auch im Nahen Osten ging das Schachern weiter. Noch vor Sevres hatte Frankreich sich in Syrien und im Libanon festgesetzt, England im übrigen nordarabischen Raum -einschließlich des Ölfeldes von Mos-sul. Ein arabischer Kongreß in Damaskus wählte 1919, um den Franzosen zuvorzukommen, Emir Feisal zum König von Syrien, seinen Bruder

Abdallah zum König des Irak. Als Feisal 1921 aus Syrien weichen mußte, „versetzten” die Briten ihn nach Bagclad und schufen für Abdallah ein neues Emirat Transjordanien. Die volle Souveränität kam für Transjordanien erst 1946, für den Irak 1955.

In Palästina aber setzte seit 1919 die zionistische Einwanderung ein: 1918 hatte es dort 620.000 Araber und 50.000 Juden gegeben, 1939 standen einer Million Araber schon 445.000 Juden gegenüber. Die britische Mandatsmacht lavierte zwischen beiden verfeindeten Völkern. Ein erster Teilungsplan lag schon 1937 vor. Er wurde von den Arabern abgelehnt, ein britischer Plan für einen gemeinsamen Staat war für die Juden nicht akzeptabel.

Am 29. November 1947 beschlossen die Vereinten Nationen die Beendigung des britischen Völkerbund-Mandats über Palästina und die Unabhängigkeit für Israel. Als diese am 15. Mai 1948 proklamiert wurde, begann der Krieg, der nun nach 48 Jahren endlich sein Ende finden sollte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung