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Geheimdiplomatie um den Stephansplatz?

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Kurze Zeit nach dem Kriege wurde ein Wettbewerb über die Neugestaltung des Platzes rund um St. Stephan ausgeschrieben und den österreichischen Architekten die Aufgabe gestellt, jene Formen zu finden, die einem Ort von der historischen, kirchlichen und kulturellen Bedeutung, wie sie der Stephansplatz nun einmal besitzt, in jeder Hinsicht angemessen wären: dabei war noch auf die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse zu achten und Rücksicht auf die Besonderheiten des Geschäftszentrums Wiens, der Inneren Stadt, zu nehmen und vor allem den Dom gleichermaßen als Sakral- und Nationaldenkmal zu voller Geltung zu bringen. Die Ergebnisse dieses Wettbewerbs wurden im Rathaus

öffentlich ausgestellt; sie erwiesen sich als ungeeignet.

Nur ein Teil der Schuld traf dabei die beteiligten Architekten; man wußte wohl, daß die Frist zur Einreichung der Projekte zu kurz war, daß die Verwirrung der ersten Nachkriegszeit einer intensiven Arbeit nicht eben förderlich sein konnte und die ausgegebenen Richtlinien einigermaßen ins Ungefähre verliefen. Und sddießlich war man sich allgemein klar darüber, daß ein Bauprojekt solchen Umfanges erst nach langen Überlegungen, gründlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen endgültige Form annehmen könnte. Es hieß damals folgerichtig, daß die Entscheidung vertagt werden und unter Umständen einem neuen öffentlichen Wettbewerb anheimgestellt werden müsse.

Zu einem solchen Wettbewerb ist es nicht mehr gekommen; alles weitere wurde hinter verschlossenen Türen abgewickelt, um eine störende Kontrolle seitens der Öffentlichkeit zu vermeiden. Darauf ließen wenigstens hitzige Aufsätze in Fachzeitschriften und sogar in politischen Blättern schließen, in denen das eine oder andere Projekt energisch propagiert wurde, ohne daß freilich aus ihnen zu ersehen gewesen wäre, welchen Zusammenhang sie mit den Intentionen der für die Planung verantwortlichen Stellen — des Stadtbauamtes zum Beispiel — besaßen; die Nachdrücklichkeit des angeschlagenen Tones berechtigte zu der Annahme, daß hinter den Kulissen zwischen verschiedenen Architekturateliers und Baubüros ein heftiger Streit um den Vorrang im Gange war. Bereits im Jänner 1947 wurde zum erstenmal gemeldet, daß die Pläne für den Wiederaufbau des Stephansplatzes fertiggestellt seien. Ob diese Meldung falsch oder richtig war, wissen wir nicht: man hielt es nicht für wichtig, sie vor der öffendichkeit zu bestätigen oder zu dementieren. Eine Methode der Geheimhaltung, die bis heute angewendet wurde.

Tatsache ist jedenfalls, daß weitere Aufsätze erschienen und daß vor noch nicht langer Zeit an der dem Dom zugewandten Ecke des Grabens die große Attrappe eines projektierten Baukörpers angebracht wurde, um neue Maßverhältnisse zu prüfen und um erkennen zu lassen, ob ein in den Graben vorspringender Vorbau eine befriedigende Trennung zwischen ihm und dem Stephansplatz ergeben würde. Publikum und Presse nahmen gegen diesen Plan Stellung, obwohl auch diesmal niemand daran dachte, sie um ihre Meinung zu befragen. Daraufhin verschwand die Attrappe. Zu welcher Entscheidung sie die städtisdien Baubehörden veranlaßt hat, bleibt unbekannt. Man weiß auch nicht, ob der Architekt, dessen Name in diesem Zusammenhang genannt wurde, am Wiederaufbau des Stephansplatze9 beteiligt sein wird. Auf die Zitierung von Gerüchten sei verzichtet.

Dieser Tage nun hat der Wiener Gemeinderat als letzte Instanz die Pläne — endgültige Pläne! — zur Ausgestaltung des Stephansplatzes bewilligt. Bewilligt, ohne daß sie ihm vorgelegt worden wären, ohne daß er an Hand einer Karte oder Photographie die Tragweite seiner Entscheidung hätte abschätzen können! Ein, kurz gesagt, unbegreiflicher Entschluß. Es blieb einem kommunistischen Stadtrat vorbehalten, als einziger Protest zu erheben ...

Somit ist festzustellen: Ein Bauvorhaben von nahezu säkularer Bedeutung, von unmittelbarem Interesse für die Bevölkerung einer Weltstadt, ein Aufbauwerk, das das Gesicht Wiens für unbegrenzte Zeit bestimmen wird, wird erwogen, geplant, entschieden, die Arbeit an ihm wird vergeben — ohne daß die Öffentlichkeit, die höchstens vor vollendete Tatsachen gestellt wird, etwas davon erfährt. (Über das wenige, das trotz der in den Bauämtern offensichtlich herrschenden Zensur bekannt ist, wird sofort zu sprechen sein.) Ein Projekt, das sehr wohl den Anlaß eines Plebiszits bilden könnte, bleibt bis zum letzten Augenblick, bis zu seiner Ausführung, deren Folgen nicht abzusehen sind, im Dunkel! Mit Vorsicht und einem Geschick, das einer besseren Sache würdig wäre, wird es jeder Diskussion, jeglicher Kritik entzogen. Welcher Architekt wird den Stephansplatz umbauen? Man kennt seinen Namen nicht. Werden die Häuser rund um den Dom aus Beton und Glas bestehen? Werden sie die. Zeichen des Ringstraßenstils tragen? Geschäftshäuser oder Repräsentativbauten sein? Werden sie Arkaden besitzen oder „barocke“ Balkone oder eine klassizistische Fassadengliederung haben? Niemand weiß es. Es ist das ein Skandal — ein kapitaler Skandal, in seiner Art unübertroffen.

Es ist zutiefst beschämend, daß das Stadtbauamt dieser Tage in mißvergnügtem Ton „Gerüchte“ dementieren zu müssen glaubte, die von einem „Hochhaus“ an Stelle des ehemaligen Haas-Hauses an der Graben-Stephansplatz-Ecke sprachen. „Gerüchte“ in einer Angelegenheit, in der jeder Schritt in hellster Beleuchtung erfolgen sollte! Immerhin erfuhr man aus diesem sonderbaren Dementi, daß zwar kein Hochhaus, wohl aber ein „hohes Haus“ an jener Stelle errichtet werden wird und das ist wenigstens ein Anhaltspunkt. Man kann ihm das hinzufügen, was sonst auf allerlei' Umwegen an Kenntnis über die Planung ins Publikum gedrungen ist: daß das Singerhaus abgebrochen und dafür das Deutschordenshaus um einige Fensterbreiten gegen den Graben zu verlängert und die Goldschmiedgasse mit einem Schwibbogen überwölbt, die Rotenturmstraße in ihrer Enge mit Arkaden eingefaßt und schließlich das zukünftige hohe Haas-Haus um einige Meter dem Dom gegenüber zurückversetzt werden soll. Das ist wenig — und zudem ist mit Ausnahme des Laubenganges in der Rotenturmstraße jeder dieser Programmpunkte anfechtbar oder doch diskussionsreif. Der Domplatz verträgt keine Erweiterung mehr; das vorige Jahrhundert hat in dieser Beziehung ohnedies schon schwer gesündigt; und unser Jahrhundert hat im Namen des Verkehrs mehr Schaden angerichtet, als gut und weise war. Was nützt es, den Blick auf die Südseite der Kathedrale freizulegen — sie würde förmlich in die Erde versinken! — und gleichzeitig an der Westfront des Platzes eine Gasse mit einem Schwibbogen zu schließen? Wozu? Er wird in diesem Zusammenhang zu einer bloßen architektonischen Spielerei degradiert. Was aber soll schließlich ausgerechnet auf dem Stephansplatz ein „hohes“ Haus — weiß man nicht, daß die Dachhöhe der zerstörten Häuser 6chon nicht im richtigen Verhältnis zur Höhe des Doms stand und die Perspektiven dieser schönsten aller unserer Kirchen verzerrte? (Und bei alledem hat die Kritik kaum eine Handhabe, um anzusetzen: sie weiß auch hier zuwenig, auch hier noch bleiben die Absichten der „verantwortlichen Stellen“ verschwommen und ungewiß.)

Wo immer man das Problem angreift: man wird von der Form, in der es behandelt wird, abgestoßen. Es wird Zeit, daß sich das ändert. Der Stephansplatz ist eine Angelegenheit der ganzen Stadt und des ganzen Landes. Die Öffentlichkeit hat unbedingt das Recht, über alle, auch die kleinsten Vorgänge, die zu seiner Neugestaltung führen, genauestens unterrichtet zu werden, das Stadtbauamt und alle anderen zuständigen Stellen haben die unab-weisliche Pflicht, es zu tun. Denn was 6ich bis jetzt abgespielt hat, war ein bürokratischer Skandal, der sehr wahrscheinlich mit einer architektonischen Katastrophe enden wird.

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