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Geheimnisse der Handelsbilanz

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Der Streit zwischen der Freihandelszone und der Wirtschaftsgemeinschaft hat sich mit seinen Thesen, Klauseln und Maximen in zahlreiche Einzelfragen aufgelöst, so daß die Öffentlichkeit, die sich nicht dem Studium der Abkommen, Statistiken und Zolltarife widmen kann, auf das Urteil der Sachverständigen angewiesen bleibt, die in Paris im Frühling das neue Statut der verjüngten OEEC fertiggestellt haben, die künftig den Namen OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) tragen soll. Diese Reform wäre, wenn sie gelingen sollte, nichts anderes als der oft empfohlene „Brückenschlag“, zu dem der Präsident der Nationalbank, Professor Dr. Reinhard Karnitz, einmal in einem Vortrag gesagt hat, die Lösung liege nicht in der Unterwerfung unter ein einseitiges Diktat, sondern in einer harmonischen Koordination auf Grund eines bereits bewährten Verfahrens. Übrigens bestehen schon deshalb keine Zweifel, daß trotz allen Dementis aus Brüssel ein Ausgleich zwischen der Freihandelszone und der Wirtschaftsgemeinschaft gelingen muß, weil sich das freie Europa angesichts der Ereignisse in Afrika und der steigenden kommunistischen Agitation eine Zweiteilung einfach nicht leisten kann, ohne empfindliche Einbußen seiner angestammten Kräfte zu erleiden. Beim Streit zwischen EWG und EFTA geht es neben der geistigen Solidarität auch um die Sicherung der Konjunktur, die in Gestalt von Preisen und Zöllen, Gewinnen und Handelsspannen den Wohlstand beeinflußt. Zumeist wird der komplizierte Sachverhalt nur unter dem Gesichtswinkel der jeweiligen Interessen betrachtet. Der Großindustrielle denkt an den bedrohten Absatz und der Fiskalist an die sinkenden Zollerträge. Vom volkswirtschaftlichen Standpunkt sind aber bereits erhebliche Veränderungen im Außenhandel eingetreten.

Von Anfang April bis Ende Mai besaß die Wirtschaftsgemeinschaft mit 6,45 Milliarden Schilling oder 55,8 Prozent des Gesamtimports ein vielfaches Übergewicht über die Freihandelszone, die es mit 1,48 Milliarden Schilling nur auf 12,8 Prozent brachte. Unter den verschiedenen Warengruppen, die Österreich importiert, spielen Industriemaschinen, Kraftfahrzeuge, Kohle, Koks und Getreide die bedeutendste Rolle. Die Freihandelszone ist am Import von Industriemaschinen mit 15,1, Kraftfahrzeugen mit 6,3 und Getreide gar nur mit 3,1 Prozent, dagegen am Import von Eisen und Stahl mit 22,8, Wolle mit 25,8, Garnen und Geweben mit 26,3 sowie von medizinischen und pharmazeutischen Produkten mit 30,7 Prozent beteiligt. Auf der Gegenseite umfassen die Anteile der Wirtschaftsgemeinschaft bei Industriemaschinen 70,8, elektrischen Apparaten 82,5, Metallwaren 82,7 und Kraftfahrzeugen 89,8 Prozent des Gesamtimports. Untersucht man jedoch die Stellung Frankreichs, Belgiens, Hollands und Italiens im Rahmen der Importe aus der Wirtschaftsgemeinschaft, so ergibt sich die überraschende Tatsache, daß gerade bei den wichtigsten Gütern die Deutsche Bundesrepublik den ersten Rang einnimmt. Von Anfang Jänner bis Ende April betrugen die Importe aus Westdeutschland bei Industriewaren 734,2, Kraftfahrzeugen 554.1 und elektrischen Apparaten 244,9 Millionen Schilling, so daß der Gesamtimport aus Westdeutschland mit 4,45 Milliarden Schilling gerade 69 Prozent aller Importe aus der Wirtschaftsgemeinschaft erreichte. Infolge des großen Warenangebots, das in manchen Wirtschaftszweigen schon an Überfluß grenzt, verfügt jedoch heute der Käufer über eine weit bessere Ausgangsposition als der Verkäufer, eine Konstellation, die auch Bonn und Brüssel in Rechnung stellen müssen. Da die Staaten der Freihandelszone einen Teil der Güter, die gegen wärtig aus Frankreich, Holland, Belgien, Italien und Westdeutschland stammen, zweifellos jederzeit aus anderen Ländern beziehen könnten, ist begreiflicherweise das Interesse der Wirtschaftsgemeinschaft an der Erhaltung ihrer traditionellen Absatzmärkte ungewöhnlich groß, so daß die zentrale Organisation in Brüssel früher oder später eine Revision ihrer bisher geübten Integrationspolitik durchführen muß.

Der Export nach Warengruppen

Jänner bis April 1960

* Einschließlich Ziegel und Platten.

Im Laufe von vier Monaten entfielen vom Gesamtexport in Höhe von 9,13 Milliarden Schilling auf die Freihandelszone 12,8 und die Wirtschaftsgemeinschaft 49,3 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Situation der Freihandelszone verbessert, wobei eine Analyse der Warengruppen beträchtliche Änderungen zeigt. Die Exporte von Holz, Papier, Zellulose, lebenden Tieren, Aluminium, Glaswaren und elektrischem Strom nach den Zonenstaaten sind natürlich geringfügig. Auch die Werte für Eisen, Stahl, Industriemaschinen, Magnesit und elektrische Apparate übersteigen nur knapp die durchschnittliche Relation. Dagegen erreichte der Zonenexport von Garnen, Geweben, Metallwaren, Kleidung, Molkereiprodukten sowie von Erzeugnissen der Optik und Feinmechanik wesentlich höhere Anteile. Anderseits sind die Länder der Wirtschaftsgemeinschaft am Export von Magnesit mit 54, Molkereiprodukten mit 70,3, Zellulose mit 80, Holz mit 88,4, elektrischem Strom mit 90 und lebenden Tieren mit 97,6 Prozent beteiligt. Diese Abhängigkeit beruht allerdings auf Gegenseitigkeit, weil viele österreichische Exportwaren überall auf eine starke Nachfrage stoßen und gelegentlich sogar eine gewisse Monopolstellung genießen. Anderseits bewegt sich bei manchen Artikeln — darunter Metallwaren, Kleidung und Feinmechanik — der Export nach der Wirtschaftsgemeinschaft weit unter dem Durchschnitt der zur Zeit üblichen Relation. Auch der Export von Verkehrsmitteln bietet manche Chancen. So wurden etwa von Anfang Jänner bis Ende April 25.112 Motorräder im Werte von 78,9 Millionen Schilling exportiert, von denen auf die EFTA 43, die Vereinigten Staaten 27,2 und die Länder der Wirtschaftsgemeinschaft 16,3 Prozent entfielen. Obwohl der Export nach der Wirtschaftsgemeinschaft durch die Diskriminierung in Mitleidenschaft gezogen ist, erscheint er durchaus nicht so gefährdet, wie es die nationale Propaganda der oppositionellen Freiheitlichen Partei darstellen möchte, um die alte Theorie von der Lebensunfähigkeit Österreichs auf irgendwelchen Umwegen zu neuem Leben zu erwecken. Jedenfalls lehrt die Handelsstatistik, daß der Export nicht mehr, wie es in der ersten Nachkriegszeit der Fall gewesen ist, ausschließlich auf Eisen und Stahl, Holz und Papier beruht, sondern heute auch zahlreiche andere Produkte eine beachtenswerte Exportquote aufweisen.

* Optische, medizinische und wissenschaftliche Instrumente.

Die Bedeutung der Freihandelszone liegt darin, daß die Chancen für den Absatz österreichischer Waren in Großbritannien, Skandinavien, Portugal und der Schweiz bisher noch gar nicht voll ausgeschöpft wurden, weil man im Verkehr mit diesen Staaten das übliche Handelsvolumen als eine gegebene Tatsache hingenommen hatte und jeder besonderen Anstrengung bequem aus dem Weg ging. Mittlerweile unterlag aber die österreichische Produktion einem Strukturwandel, der eine teilweise Umgruppierung der Absatzmärkte nach sich ziehen mußte. So sind im Warenverkehr mit den anderen sechs Zonenstaaten während der vergangenen drei Jahre die Exporte von Holz um 16,4, Glaswaren um 18,6, Eisen und Stahl um 27,3, Metallwaren um 45 und Magnesit um 45,9 Prozent gesunken, dagegen von Textilien um 14,2, optischen, medizinischen und wissenschaftlichen Instrumenten um 33,8, Industriemaschinen um 34,5, Molkereiprodukten um 98,4 und elektrischen Apparaten um 112,7 Prozent gestiegen. Bei Aluminium, Papier und Pappe haben sich die Verhältnisse kaum geändert. Eine beachtenswerte Steigerung erzielten die Exporte von Textilien, Industriemaschinen und Molkereiprodukten nach Großbritannien. Manche Erzeugnisse, denen im Inland keine Wichtigkeit beigemessen wurde, darunter Schmuckwaren und Musikinstrumente, fanden in Westeuropa starken Anklang. Zweifellos verläuft die allgemeine Entwicklung in der Richtung, daß der Aktionsradius des Außenhandels künftig eine beträchtliche Erweiterung erfährt. In diesem natürlichen Prozeß, dem sich Handel, Gewerbe und Industrie unmöglich entziehen können, bildet die Freihandelszone nur eine erste Etappe.

• Garne, Gewebe, Spitzen, Kleidung.

Im Rahmen der handelspolitischen Expansion Österreichs ist Skandinavien eine wichtige Rolle zugefallen; denn der Export erzielte, gemessen an der Lage im Jahre 1957, eine Zunahme um 27 Prozent. Die Beziehungen zum europäischen Norden stützen sich bei Schweden auf die Neutralitätspolitik, bei Dänemark und Norwegen auf die politischen Schicksale während des zweiten Weltkrieges. Auch der Reisestrom aus Skandinavien, der von Jahr zu Jahr zunimmt, hat zum Ausbau der Handelsbeziehungen beigetragen. Eine Wendung von großer Tragweite ist dadurch eingetreten, daß beim österreichischen Export heute die Textilien an erster Stelle stehen. Unverhältnismäßig stark ist der

Export von Eisen, Stahl und Metallwaren nach Norwegen, aber auch der Export von elektrischen Apparaten nach Schweden hat sich als entwicklungsfähig erwiesen, so daß er im Verlauf dreier Jahre den Export von Industriemaschinen überflügeln konnte. Die jährlich wechselnden Zahlen lassen erkennen, daß in Skandinavien nicht nur eine starke Konkurrenz zu überwinden ist, sondern daß manche Branchen noch immer improvisieren. Während die Exporte von Magnesit und Metallwaren als stark rückläufig, von Industriemaschinen, Motorrädern und Instrumenten als schwankend bezeichnet werden müssen, verzeichnen andere Artikel einen ungewöhnlichen Aufschwung. So erreichte von 1957 bis 1959 die Exporterhöhung bei Eisen und Stahl 19,2, Kautschukwaren 58,9, Textilien 61,1, Aluminium 97,7 und elektrischen Apparaten 252,8 Prozent, wobei in Schweden auch Schmuckwaren erhebliche Fortschritte erzielten. Zuletzt bietet Skandinavien ein typisches Beispiel, daß die unsichtbaren Exporte — die fallweisen Einkäufe der Touristen aus Dänemark, Schweden und Norwegen in Österreich — der Textil- und Geschmacksindustrie den Weg zu neuen Märkten geebnet haben dürften.

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