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Gemeinsames Erbe würdigen

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Von „Kulturnation" war in Deutschland vor allem in bezug auf die DDR die Rede. Die gemeinsame Geschichte mit Osterreich wurde ausgeblendet.

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Von „Kulturnation" war in Deutschland vor allem in bezug auf die DDR die Rede. Die gemeinsame Geschichte mit Osterreich wurde ausgeblendet.

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Wer das deutsch -österreichische Verhältnis auch nur punktuell vermessen will, muß mancherlei Reibungen im vielfachen wirtschaftlichen und sozialen Miteinander in den Blick nehmen. Das Stichwort „Semperit" ist offenkundig bestens geeignet, alle Assoziationen gegen den „Piefke", mit seiner herrischen, förmlich imperialen Attitüde, wachzurufen. Nur als Fußnote sei angemerkt, daß es, vereinzelt und sehr viel weniger publik, auch in der Gegenrichtung Vergleichbares geben kann: Die ökonomische Potenz des österreichischen Ziegelherstellers „Wie-nerberger" macht manchem alteingesessenen Mittelständler aus der gleichen Branche in Deutschland nicht wenig Kummer.

Über die Grenzen der historischen Zunft ist vor einigen Jahren die Formel des mittlerweile verstorbenen Kieler Historikers Karl Dietrich Erdmann von den drei Staaten (noch vor der Wiedervereinigung Deutschlands), zwei Nationen und dem einen Volk ins öffentliche Bewußtsein gedrungen. Im Grunde ging es darum, die Österreicher hier auf eine Weiterexistenz unter dem Dach von so etwas wie einer deutschen Kulturnation festzulegen. Das Echo in Österreich war überwiegend kritisch. Um es sehr verkürzt zu sagen: Kaum freigeschwommen, fühlte man sich von neuem vereinnahmt. Was in Österreich aber wohl nur wenig registriert wurde: Das Thema wurde in Deutschland kaum wahrgenommen.

Die innerdeutsche Diskussion hatte nämlich den Begriff „Kulturnation" für etwas ganz anderes reserviert: Seit Bonn 1969 die DDR als zweiten Staat auf deutschem Boden offiziell anerkannt hatte, galt es, das überwölbende nationale Dach möglichst ansehnlich zu gestalten. Menschliche Begegnungen, gemeinsame Sprache und Geschichte wie Kultur sollten diese Funktion, neben der aus Sicht der Bundesrepublik fortbestehenden gemeinsamen deutschen Staatsangehörigkeit, weitgehend erfüllen. Für ein Räsonieren über eine spezifisch österreichische Frage blieb da aus deutscher Sicht wenig Raum. Im wesentlichen hat sich an diesem Befund nichts geändert. Die intellektuellen Anstrengungen in Deutschland konzentrieren sich heute weiterhin auf zweierlei: Auf die, wie man es jetzt nennt, Herstellung der inneren Einheit in ihren mentalen, kulturellen, psychologischen Aspekten, und auf die Gestaltung des Landes als „europäisches Deutschland".

Freilich - geht dabei nicht etwas verloren? Der geschichtsbewußte Österreicher - und die Deutschen halten die Österreicher, ob zu Recht oder zu Unrecht, für kulturell und historisch umfassender gebildet und tiefer geprägt als sich selbst — wirft er einen Rlick auf die heutige deutsche Karte, wird feststellen: Dieses Deutschland zeigt ein Kartenbild frei von den beiden europäischen Großmächten, die sich auf deutschem Roden einmal entwickelt haben: Österreich und Preußen. Das Deutschland von heute repräsentiert im wesentlichen das einstige „Dritte Deutschland", die Vielfalt von Territorien und freien Städten, die sich im Heiligen Römischen Reich, angelehnt an Habsburg und den oft fernen und daher gut zu tolerierenden Kaiser in Wien, gebildet hatte. Diese Staatenwelt, mit den Erz-stiften Mainz, Trier und Köln, mit Ländern wie Bayern, Württemberg, Hessen, Sachsen, Hannover, für sich jeweils weitgehend autonom, aber nicht souverän, lebte eine eigene politische Kultur, gegründet auf Föderalismus und subsidiäre Züge, nach dem Frieden von Münster und Osnabrück 1648 eine Friedensordnung prakti-! zierend, die den konfessionellen Konflikt einhegte, nach außen zu imperialen Zügen unfähig, aber durchaus nicht wehrlos: Das „Reich" leistete den Habsburgern wirkungsvollen Beistand bei der Abwehr der Türken 1683 vor Wien, und es war in Verbindung mit der österreichischen Großmacht auch in der Lage, das Vordringen Ludwigs XIV. über die Rheinbarriere schließlich zu stoppen. Das alles ist im deutschen historischen Rewußtsein wohl noch viel stärker verkümmert als im österreichischen. Warum?

Das deutsche Geschichtsbild wurde seit der Reichsgründung von 1871 gezielt, wenn man so will ideologiebehaftet, in preußischen Siegesfarben gezeichnet. Der preußische Friedensstörer und Rechtsbrecher Friedrich II. avancierte als „Alter Fritz" zum Nationalheros, militärisch erfolgreich gegen eine „Welt von Feinden" -noch Joseph Goebbels hat Adolf Hitler in den letzten Tagen im Führerbunker 1945 mit diesem Bild bei Laune gehalten.

Seit Mitte der sechziger Jahre wurde Preußen, bis dahin angeblich zivilisatorisch und machtpolitisch Höhepunkt deutscher Geschichte, zum nationalen Übel. Die moderne deutsche Sozialgeschichte, angestachelt auch -aber nicht nur - vom Entlarvungs-Überschwang der 68er, stigmatisierte Preußen zum Hort des Chauvinismus, der politischen und sozialen Reaktion bei zugleich bemerkenswertem ökonomischen Fortschritts. Damit war zugleich die These vom deutschen „Sonderweg" in der modernen europäischen Geschichte geboren. Was aber blieb, war die Preußenfixiert-heit, ob positiv oder negativ, dieses Geschichtsbildes.

Wer sich heute um ein deutsches -und damit zugleich europäisches -Geschichtsbild bemüht, das auch die Substanz des Heiligen Römischen Reiches rekonstruiert, muß das spezifisch Osterreichische unweigerlich wieder stärker in den Blick nehmen. Ein solcher Dialog würde wohl nur beschädigt, stellte man zugleich wieder die Frage, welche Etiketten für die vielfachen Bezüge und das vielfache Miteinander pas-sen. Verzichten wir darum einmal auf die bedeutungsschwangeren Begriffe wie Volk, Nation - nehmen wir die wechselseitigen Bezüge einfach als „Ding an sich". Das erleichtert und bereichert die Diskussion.

Im 19. Jahrhundert war Österreich noch bis 1866 integraler Bestandteil der politischen Ordnung in Deutschland, und auch danach verstanden sich die Österreicher in hohem Maße als „Deutsche". Ihre wirtschaftlichen und medialen Verbindungen zu Deutschland, wie es sich seit 1866/71 formte, ja zu diesem Baum schon zuvor, waren aber an Intensität zweifellos geringer als heute. Hatte doch schon der preußisch dominierte Deutsche Zollverein seit den dreißiger Jah -ren des 19. Jahrhunderts eine wirtschaftliche Ausgrenzung Österreichs betrieben, bevor erst die politische besiegelt wurde.

Heute hingegen, da sich die Österreicher politisch einmütig und in hohem Maße auch kulturell als etwas eigenes, für sich bestehendes und konstituiertes begreifen, sind die ökonomischen und medialen Beziehungen wohl intensiver als je zuvor; zweifellos manchmal zum Verdruß nicht weniger zwischen Bregenz und W7ien. Schließlich nimmt man teil an der Kommunikation einer Sprachgruppe ■ von gut 90 Millionen Menschen. (Das Apercu, Deutsche und Österreicher unterschieden sich in ihrer Sprache, sollte mittlerweile doch als überstrapaziert gelten. Natürlich gibt es sprachliche Unterschiede, aber keineswegs sprengen sie den Bahmen des in grenzüberschreitenden Sprachgemeinschaften gewissermaßen Üblichen.) Man kann nach Deutschland nicht nur Waren liefern und von dort Touristen empfangen, sondern trefflich auch Essays, Filme, Ideen, Leiter von Fernsehsendern und Vorstandsvorsitzende von Automobilkonzernen exportieren, wie man von dort Intendanten empfängt, die wunderbare Stoffe für wunderbare Konflikte mit sich bringen.

Gewiß: Man hat erreicht, daß im Blick auf Grillparzer, Handke und Bernhard nicht mehr von deutscher, sondern von deutschsprachiger Literatur gesprochen wird. Darin manifestiert sich ein von Österreich hartnäckig durchgesetzter Bewußtseinswandel in Deutschland. Aber ist nicht viel wichtiger, ob Literatur in deutscher Sprache gut oder schlecht, potentiell klassisch oder potentiell Entsorgungsfall ist? Deutschland und Österreich haben ein Erbe, das in vielem ähnlich oder gleich geprägt ist. Die Parallelen sind daher keineswegs nur historische. Die ökonomischen Daten sind - im Blick auf weltwirtschaftliche Diskrepanzen - im wesentlichen identisch, die Bewahrung sozial gewollter, ökonomisch aber immer unrentabler werdender kleinräu-miger Strukturen in der Landwirtschaft ist in beiden Staaten eine zentrale Herausforderung. Beide sind auch ökologisch weitaus sensibler als der europäische Durchschnitt. Beide sind hochentwickelte Sozialstaaten und Wohlfahrtsgesellschaften, die den kalten Wind des weltwirtschaftlichen Wettbewerbs spüren. Beide ha ben politische Strukturen, die durch Sozialpartnerschaft und austarierte Machtverhältnisse zwischen den drei Ebenen Kommune, Land und Gesamtstaat geprägt sind.

Allerdings: Osterreich ist ein -außerordentlich potenter - Kleinstaat, der sich gegebenenfalls in die Nischen der europäischen Politik zurückziehen kann und der im Zusammenspiel auf der EU-Ebene naturgemäß die Kooperation mit anderen Kleinen sucht. Deutschland ist in . der wenig beneidenswerten Situation, von außen europäische Großmachtrollen zugeschrieben zu bekommen, ohne doch Großmacht sein zu wollen. Amerika sieht in Deutschland weitgehend den europainternen Stellvertreter beim Transformationsprozeß hin zu Demokratie und Markwirtschaft in Osteuropa.

Aber: Eine spezifische Rolle kommt hier auch Österreich zu - freilich im geographisch etwas anderer Orientierung und wohl in größerer Vertrautheit als Deutschland mit den Verhältnissen im südöstlichen Mitteleuropa.

Der Autor ist

Historiker und Referent in der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit

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