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General Zeit“ und das Bundesheer

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Die Konturen des kommenden Bundeshcetes zeichnen sich zunächst noch sehr unscharf ab. Fest steht allein, daß die neue österreichische Armee auf der Grundlage der allgemeinen Dienstpflicht gebildet werden soll. Schon über die Dauer der aktiven Dienstzeit ist noch keine Einigung erzielt worden, von der Lösung einer Reihe anderer wichtiger Fragen zu schweigen. Nun, man braucht das langsame Anlaufen der vorbereitenden Arbeit für die Aufstellung des Bundesheeres keineswegs nur negativ zu beurteilen. Jede Uberhastete, undurchdachte Maßnahme müßte sich über kurz oder lang bitter rächen. Eine Lehre sollte uns die heftige Kontroverse über das improvisierte sogenannte „Freiwilligengesetz“ in der Deutschen Bundesrepublik geben, obwohl man sich dort schon viel länger mit Wehrfragen befaßt. Mit gutem Grund beginnt deswegen die „Furche“ heute die angekündigte Aussprache über die Probleme des kommenden Bundcsheeres mit dem Appell, in allen Belangen „General Zeit“ auch ein gewichtige Wort mitsprechen zu lassen. Heute, wie auch im Anschluß an die kommenden Publikationen zur Heeresfrage, ist die Redaktion bemüht, wenigstens einen Teil — und hier können es wiederum aus Raummangel nur die wichtigsten Gedanken sein — der ihr von zahlreichen namhaften Verfassern übermittelten Stellungnahmen zu veröffentlichen. Die „Furche“

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Die Konturen des kommenden Bundeshcetes zeichnen sich zunächst noch sehr unscharf ab. Fest steht allein, daß die neue österreichische Armee auf der Grundlage der allgemeinen Dienstpflicht gebildet werden soll. Schon über die Dauer der aktiven Dienstzeit ist noch keine Einigung erzielt worden, von der Lösung einer Reihe anderer wichtiger Fragen zu schweigen. Nun, man braucht das langsame Anlaufen der vorbereitenden Arbeit für die Aufstellung des Bundesheeres keineswegs nur negativ zu beurteilen. Jede Uberhastete, undurchdachte Maßnahme müßte sich über kurz oder lang bitter rächen. Eine Lehre sollte uns die heftige Kontroverse über das improvisierte sogenannte „Freiwilligengesetz“ in der Deutschen Bundesrepublik geben, obwohl man sich dort schon viel länger mit Wehrfragen befaßt. Mit gutem Grund beginnt deswegen die „Furche“ heute die angekündigte Aussprache über die Probleme des kommenden Bundcsheeres mit dem Appell, in allen Belangen „General Zeit“ auch ein gewichtige Wort mitsprechen zu lassen. Heute, wie auch im Anschluß an die kommenden Publikationen zur Heeresfrage, ist die Redaktion bemüht, wenigstens einen Teil — und hier können es wiederum aus Raummangel nur die wichtigsten Gedanken sein — der ihr von zahlreichen namhaften Verfassern übermittelten Stellungnahmen zu veröffentlichen. Die „Furche“

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Zum Unterschied von 1918 sind wir diesmal in der günstigen Lage, das neue österreichische Bundesheer in konsolidierten Verhältnissen aufstellen zu können. Die Grenzen unseres Landes sind garantiert. Die Neutralitätserklärung schützt uns vor bewaffneten Uebergriffen, und die innenpolitische Situation ist keinesfalls als gespannt anzusehen. Das Vorhandensein und klaglose Funktionieren der Exekutivkörper (Polizei und Gendarmerie) mit ihren militärisch ausgebildeten und ausgerüsteten Sonderformationen in den westlichen Bundesländern sind in der nächsten Zeit ein hinreichender Garant für die Sicherheit des Landes.

Es liegt also kein Grund für ein überstürztes Vorgehen bei der Aufstellung des Bundesheeres vor. Im Gegenteil. Alles spricht dagegen. Unser Volk wird eine gewisse Zeit brauchen, um sich mit dem Gedanken der Aufstellung eines neuen Bundesheeres vertraut zu machen. Entschlüsse in dieser Richtung müssen dem Volk notwendigerweise erst klargemacht und können nicht im Eilzugstempo gefaßt werden. Die diesbezüglichen Beschlüsse der Politiker werden nur dann von bleibender Bedeutung sein, wenn die Masse unseres Volkes meinungsmäßig hinter diesen Beschlüssen steht. Jede andere Vorgangsweise wird nicht den gewünschten Erfolg haben, sondern die linksradikalen Elemente in der Erreichung ihrer politischen Ziele begünstigen.

Der zweite Grund, der für ein nicht überstürztes Vorgehen bei der Aufstellung des Bundesheeres spricht, liegt in der wirtschaftlichen Belastung durch das Heeresbudget. Nur in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen dem Vorhandensein finanzieller Mittel und dem Bedarf im an sich unproduktiven Heeresressort, ist die Lösung der Frage der Finanzierung des künftigen österreichischen Bundesheeres zu finden. Es geht nicht an, daß die benötigten Mittel mit Hilfe des Anziehens der Steuerschraube beigeschafft werden. Es würde aber auch gegen den Geist der von unserer Volksvertretung abgegebenen, Neutralitätsversicherung verstoßen, wenn zur Bewaffnung und Ausrüstung des Bundesheeres etwa von den USA geschenktes Material —: ausgenommen einige Restbestände der abziehenden Besatzungstruppen — verwendet wird. Dem gegebenen Neutralitätsversprechen zufolge wird es notwendig sein, auch in der Bewaffnung und Ausrüstung das Freisein von jeder Gebundenheit an eine der großen Mächte zu Remonstrieren. Was würde einem kritischen Beobachter näher liegen, als die Behauptung aufzustellen, daß ein mit amerikanischem Material ausgerüstetes Bundesheer doch einen getarnten Bestandteil der NATO-Armee darstellt! Stimmen in dieser Richtung haben sich zu einem recht ungünstigen Zeitpunkt vor den Staatsvertragsverhandlungen bemerkbar gemacht. Für ein vertraglich gebundenes, freies Oesterreich könnten solche Feststellungen schwererwiegende Folgen haben als für ein vierlach besetztes Oesterreich.

Der bedeutungsvollste Grund aber für den besonnenen und schrittweisen Aufbau des österreichischen Bundesheeres liegt abgesehen von der Organisation vorerst in der Personalfrage, in der Frage der Offiziersstellen-besetzung. Im Augenblick drängt sich alt und jung, alles was sich zum militärischen Führer berufen fühlt oder glaubt, bereits Proben auf diesem Gebiet abgelegt zu haben, an die mutmaßlich kompetenten Stellen. Es ist verwunderlich, wie viele jetzt auch wieder ihr Herz für das österreichische Vaterland entdecken, jetzt nach zehn Jahren, in denen sie in ihrer Masse eine abwartende Haltung eingenommen haben und abseits gestanden sind, statt vorbehaltlos mit Hand anzulegen, um Oesterreich aus den Trümmern wieder aufzubauen. Sic alle glauben, weil Gesetz und Recht wieder gelten, allein dazu berufen zu sein, angeblich nur von ihnen beherrschte Tugenden unserer männlichen Jugend im Soldatenrock zu vermitteln. Man darf in der Beurteilung dieser Frage keinesfalls ungerecht sein. Volles Vertrauen für-jene Offiziere, die in den Märztagen des Jahres 1938 ihre Treue zu Oesterreich bewiesen haben. Sie sollen, wenn es altersmäßig noch möglich ist, im neuen Bundesheer wiker vad dazu betragen, daß die jungen Sold.rlce in Acr Treue zu Oesterreich erzogen werden. Kein Wort auch gegen jene Offiziere,die aus dem alten Bundesheer in die deutsche Wehrmacht übernommen, dort ihr Oesterreicher-tum hochgehalten haben, menschliche Vorgesetzte waren und sich nach 1945 bedingungslos in den Wiederaufbau unserer Heimat stellten. Eine Selbstverständlichkeit ist es, daß alle Offiziere und Soldaten, die während der NS-Herrschaft gegen Terror und Unterdrückung gekämpft haben, ihren Platz im neuen Bundesheer finden müssen. Ausgeschlossen ist es aber, daß die Hochverräter an der Freiheit Oesterreichs, die illegalen Mitglieder des NSR (Nationalsozialistischen Soldatenringes), die haltungslosen Nursoldaten, denen ihre persönliche Karriere in der deutschen Wehrmacht mehr bedeutete als ihr Vaterland und die während des letzten Krieges unter dem Deckmantel des Soldateneides vorbehaltlos Handlanger des Unrechts waren, nun wieder berufen werden sollen, unsere Jugend wissentlich zu mißbrauchen. Ein diffiziles Problem sind jene damals jungen Offiziere, die an deutschen Kriegsschulen in der Zeit von 1938 bis 1945 bei Erlernung der Lieder der Nation, Stiefelputzen und nationalsozialistischem LInterricht erzogen wurden. Sicher gab es auch unter ihnen den einen oder den anderen bewußten Oesterreicher. Jedoch viel Spreu ist hier von wenig Weizen zu scheiden ... Kurzsichtige und vergeßliche Politiker versuchen mitunter einer bedingungslosen Uebernahme dieses Kreises von ehemaligen Offizieren das Wort zu reden: Es wird von Tiadition, vom Volk gleichen Blutes, von der Kameradschaft des ersten Weltkrieges, vom Schutz der Kultur des Abendlandes, vom gesicherten Leben unserer Frauen und Kinder sowie von einem geleisteten und selbstverständlich gehaltenen Soldateneid gesprochen. Diesen Herren muß unmißverständlich gesagt werden, diese Offiziere werden — mit den erwähnten Ausnahmen — niemals dazu befähigt sein, unsere Jugend zu österreichischen Soldaten zu erziehen, diese Offiziere werden auch von der Masse unseres Volkes abgelehnt. Leider haben schon einige von ihnen in den militärischen Formationen unserer Gendarmerie, vielleicht aus Versehen oder Leichtgläubigkeit der Verantwortlichen, Aufnahme gefunden, aber darüber ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen. Der in diesen Ausführungen umrissene Kreis von Offizieren, der durch Haltung und Handlungsweise sein Oesterreichertum auch in schwersten Zeiten bewiesen hat, ist allein berufen, unsere Jugend soldatisch zu erziehen. Zugegeben, dieser Kreis wird zahlenmäßig den Bedarf nicht decken. Dies kann aber nichtder Grund sein, Totengräber Oesterreichs oder unsichere Kantonisten wieder auf verantwortliche Posten zu stellen. Es wird, da Zeit in hinreichendem Ausmaß zur Verfügung steht, möglich sein, ein junges, ein neues Offizierskorps unter der Anleitung bewährter und verläßlicher Offiziere heranzubilden. Ein solches junges Offizierskorps ist nicht vorbelastet, von allen Idealen der Jugend beseelt und zweifellos einsatzfreudig. Man wird von dieser Seite einwenden, daß einem solchen Offizierskorps jegliche Kriegserfahrung fehlt. Dieser Einwand ist richtig, wenn Oesterreich binnen der nächsten zwei Jahre in einen Krieg verwickelt wird und wenn die Sicherheit gegeben ist, daß sich dieser Krieg in den gleichen Bahnen bewegt wie der abgelaufene. Treffen diese beiden Momente nicht zu, so haben die Männer im Hintergrund dem heranwachsenden Offizierskorps nur eines voraus, nämlich den Umstand, daß sie bereits die „Feuerscheu“ überwunden haben. Die Ueberwin-dung dieses Moments ist aber Sache der Gelegenheit und nicht der Fähigkeit, Erfahrung oder Ausbildung.

Auch die Geisteshaltung des künftigen Bundeshecres ist eine Angelegenheit, die Zeit zur Entwicklung braucht. Es ist leicht und schön, von der Tradition der alten österreichischungarischen Armee zu sprechen, aber wo sind die Berührungspunkte mit unserer Jugend? Daß es ausgeschlossen ist, die Tradition der deutschen Wehrmacht in einem österreichischen Bundesheer weiterzuführen, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung, obwohl im Zusammenhang mit der reichlich seltsamen Frage des Tragens der Hakenkreuz-Auszeichnungen auch diese absurde Möglichkeit zur Diskussion gestellt wurde.

Im wesentlichen ist also der Streit um die Traditionspflege ein Ausweichen. Man will durch das Vorschieben aller möglichen Erwägungen der Frage der wirklichen Geistcs-haltung unseres neuen Bundesheeres ausweichen. Jede Armee steht und fällt mit dem moralischen Recht, das sie dazu verpflichtet, zu kämpfen. Für unser neutrales Oesterreich ist daher die Formel der Geisteshaltung seiner Armee leicht zu finden. Die Formel heißt „Oesterreich“. Für dieses, für unser Oesterreich wollen wir, die Soldaten, ohne Unterschied des Ranges zur Waffe greifen, wenn es gilt, seinen Bestand zu verteidigen. Wir werden niemals einen Angriffskrieg führen, wir sind nicht darauf aus, fremde Gebiete zu erobern oder andere Völker zu unterwerfen, wir werden uns aber im Falle eines Angriffes wehren. Unter diesem Gesichtswinkel gesehen erübrigt sich jede Frage der Traditionspflege, es erübrigt sich auch jede Frage des Tragens von Kriegsauszeichnungen. Es wird daran liegen, unsere österreichischen Soldaten zu freien Menschen in einem freien Staat zu er* ziehen, die im Falle der Gefahr aus Ueberzeu-gung diese Freiheiten • mit der Waffe in der Hand verteidigen werden. Eine solche Erziehung kann nur von patriotisch gesinnten Offizieren vermittelt werden, von Menschen, die ihre österreichische Gesinnung bereits bewiesen haben. Daraus ergibt sich die Selbstverständlichkeit, daß alle jene Elemente abgelehnt werden müssen, die den Soldatenberuf nur als Broterwerb ansehen oder ihre Unzulänglichkeit heute unter Berufung auf einen Soldateneid tarnen, und alle jene, die nicht diese Ansicht teilen, zu Verrätern stempeln wollen.

Das neue Bundesheer kann keinesfalls der Tummelplatz von Elementen sein, die heute schon wieder ihr unverdientes Fortkommen im österreichischen Heer als notwendiges Uebel ansehen und damit rechnen, daß zu einem späteren Zeitpunkt eine Verwandlungsszene nach dem Muster von 1938 eintritt, welche es ihnen ermöglicht, ihr wahres Gesicht zu zeigen.

Von keiner Seite mehr bestritten ist wohl eines: Es müssen auch im Zuge der Heranbildung des neuen Offizierskorps Möglichkeiten geschaffen werden, die es tüchtigen und strebsamen jungen Menchen möglich machen, auch vom einfachen Soldaten zum Offizier aufzusteigen. Die Erfahrung und das Beispiel in anderen Staaten hat gezeigt, daß gerade solche einfache Menschen aus dem Volke die selbstlosesten Kämpfer für ihre Heimat waren.

Neben der Herbeiführung einer politischen Einigung zwischen den Koalitionsparteien in der Frage des Bundesheeres wird die Planung und Organisation ein weiterer Faktor sein, der ein überstürztes Vorgehen bei der Aufstellung des Bundesheeres unmöglich erscheinen läßt. Die Schaffung des „Wehrkompetenzgesetzes“ stellt den Anfang der Organisation dar. Diesem Gesetz zufolge wird kein eigenes Heeresministerium bestehen. Die Angelegenheiten des künftigen Bundesheeres weiden von einer Sektion des Bundeskanzleramtes wahrgenommen. Diese Form der Spitzenorganisation ist etwa mit der Stellung der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Innenministerium vergleich* bar. Durch diese Lösung wird es — hoffentlich '— in der Zukunft vermieden werden, daß große Stäbe, Wasserköpfe der Verwaltung und Herde des nur zu gut bekannten politischen und persönlichen Intrigenspieles gebildet werden. Was die weitere Planung und die Organisation der Truppenverbände anlangt, wird man wohl oder übel noch ein sogenanntes „Wehrgesetz“ abwarten müssen. Dies schließt aber nicht aus, schon jetzt „General Zeit'' das Oberkommando bei der Aufstellung des neuen Bundesheeres anzuvertrauen. SPECTATOR

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