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Generale, Bonzen, Katholiken

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„Die Burschen sind zu müde”, entschuldigte der Captain den armseligen Aufzug eines südvietnamesischen Einsatzkommandos. „Es macht ihnen nichts mehr aus, wenn sie getötet werden.” Ganz Südvietnam ist zum Hinfallen müde, von fast 25 Jahren Krieg, und es ist schwer, einen Mann zu treffen, dem nicht alles gleichgültig ist, oder eine Frau. Doch gerade unter dieser Decke aus Müdigkeit fiebert das Land vor Nervosität und Reizbarkeit. Nur die Generale sind nicht müde, die Politiker und die Bonzen der buddhistischen Sekten.

Nachdem durch den Tod Diems der eiserne Mantel der Disziplin von dem Land abgefallen war und der Einbahnweg des Kampfes gegen Vietkong verrammelt erschien, waren sofort Politiker und Generale in hektische Machtkämpfe verwickelt, durch deren Impulse die Müdigkeit des Volkes sich in Wallungen von Mobhysterie verwandelte. Damit war Diems größte Leistung, die Ruhe im Lande als Voraussetzung eines erfolgreichen Widerstandes gegen die kommunistische Infiltration aus Nordvietnam, wieder aufgehoben. Als Ngo Dinh Diem 1955 die Präsidentschaft übernahm, war seine erste Arbeit die Säuberung eines politischen Augiasstalles, in dem sich der Sud aus Kriegs- und Nachkriegsjahren unter der Patronanz des Spekulantenprinzen Bao Dai mannshoch angesammelt hatte. Agenten aller Mächte und aller politischen Gruppierungen operierten ungestört. Bewaffnete Sekten buddhistischer Fanatiker, wie die Hoa Hao, die Chao Dai, bewaffnete Geheimorganisationen von Spekulanten und Bordellbesitzem, wie die Binh Xuyen, beherrschten Saigon und degradierten die Kommunisten zur geringeren Gefahr. Diem vollbrachte die politische Herkulesarbeit, und es gelang ihm, das Land unter Kontrolle zu bringen, so daß er eine Zeitlang seine ganze Aufmerksamkeit auf den Guerillakrieg gegen Vietkong konzentrieren konnte.

Diem war Katholik, Verächter des Kapitalismus, Nationalist. Diem war all das in einem starren, unnahbaren Stil, der ihn bald in Konflikt mit den Spekulanten bringen mußte, der vietnamesischen Ausgabe des Kapitalismus, und mit den Amerikanern. Als es dann soweit war, entwickelte Diem paranoide Züge. Er vertraute nur seinem Clan, der sich aber als Machtbasis als zu schwach erwies.

Die Kommunisten haben in Südvietnam ausgezeichnete Karten in den Händen: den Zynismus und die absolute Skrupellosigkeit der machthungrigen Politiker und Generale; den Fanatismus der buddhistischen Sekten, hinter dem alle Kräfte stecken, denen eine zentrale Regierung in Saigon im Weg ist; die oft verzerrte Form, in der sich de Gaulles Neutralitätspolitik in Südvietnam spiegelt.

In den zehn Monaten seit der Ermordung Diems ist der „Revolutionäre Rat”, die militärische Junta, auf 62 Mann angeschwollen; hinter jedem General und hinter jedem Oberst stehen „Politiker”. 62 Generale und Oberste, jeder mit politischer Hausmacht, die den Kampf gegeneinander führen und nicht den Kamjpf gegen den Vietkong!

Die politischen Parteien sind in Vietnam, wie fast überall in Südostasien, Vertretungen der einzig artikulierten Schichten des Bürgertums, der Spekulanten, der Besitzer von Bordellen und Prostitutionsringen, der Waffenschieber und Agenten.

Die buddhistischen Sekten sind in ganz Südostasien vom Geist des Nationalismus erfaßt und swerwachten aus jahrhundertelanger Lethargie zu einem intensiven Haß gegen alles Westliche, besonders gegen die christlichen Kirchen, Der Haß der buddhistischen Sekten des „Kleinen Bootes” (der Buddhismus des „Großen Bootes” repräsentiert in Vietnam in erster Linie die politisch desinteressierte, doch kommerziell erfolgreiche chinesische Minorität und verhält sich ruhig, sogar ohristenfreundlich) wird von den Zentralen des afro-asiatischen Chauvinismus in Peking sorgfältig geschürt. Es vergeht kein Monat, in dem nicht Delegationen der Sekten des „Kleinen Bootes” nach Peking pilgern, zu Konferenzen und zu religiösen Festen, als Gäste der kollaborierenden Sekten des Buddhismus in Rotchina. In ihrem Aufstand, der auch außerhalb Vietnams zu fühlen ist, sind die eifernden Sekten des „Kleinen Bootes” den Muslim-Fanatikern in Persien gleich: Reaktionäre, deren plötzlich entrollte Segel vom Sturm des neuen Nationalismus und des Kommunismus gepeitscht werden.

Die katholische Minderheit steht seit Diem im Zentrum des Sturmes. Im Blickfeld der fanatisierten Buddhisten symbolisiert der Katholizismus in Vietnam zugleich den politischen Einbruch des Westens in die Territorien des südostasiatischen Denkens und der asiatischen Konfessionen. Doch noch mehr. Den erzreaktionären Äbten und Bonzen des „Kleinen Bootes” erscheint die katholische Kirche in Vietnam als Vorbote sozialer Reformen und geistiger Emanzipation. Tatsächlich eroberte sich die katholische Kirche in Vietnam ihren Anteil an der Bevölkerung des Landes, eine Million Katholiken und 14 Millionen Südvietnamesen, als ein sozialer Katholizismus. Im ständigen Kampf gegen die französischen Kolonialbehörden, die, von Vichy-Leuten beherrscht, jede soziale Reform als Kommunismus bekämpften, organisierten die Katholiken in Vietnam Bauernkooperative, Gewerkschaften, Volksuniversitäten — und Streiks. Präsident Diems Verwandtschaft erwarb sich in der Führung militanter Gewerkschaften und harter Streiks ihre politischen Sporen und Erfahrung. Nachdem Präsident Diem ermordet worden war, kannte das Machtgefühl der Äbte und Bonzen des „Kleinen Bootes” keine Grenzen und unterließ es keinen Augenblick, die Institutionen und die Organisationen des Katholizismus in Vietnam als „Werkzeuge des Imperialismus” zur Zielscheibe des allgemeinen Hasses zu machen. Die Demonstrationen, die den Sturz des Generals Khanh einleitend begleiteten, die Lynchmorde an Katholiken in der Hauptstadt und im ganzen Land waren nur der Ausdruck dieses Hasses, dem auch in Zukunft keine Regierung so leicht Grenzen setzen wird.

Der Hexensabbat machtgieriger Politiker und Generale, agierender Spekulantenparteien, eifernder Buddhistenmönche wird aber von zwei zentralen Kräften ausgenützt und in feste politische Flußbetten gelenkt. Das Deuxieme bureau der französischen Armee hatte nie auf- gehört, in Südvietnam zu operieren und mitzumischen, da ja Paris nie aufgehört hatte, Indochina als sein Einflußgebiet zu betrachten. Unter Diem war das Deiuxieme bureau tief in den Untergrund gedrängt worden und nahm dort die Kontakte mit den Feinden von gestern, den Vietkong, auf. Den Vietkong war es bis zum Sturz von Diem kaum gelungen, Zellen in den Zentren der Politik und Armee zu gründen. Doch nach dem Sturz von Diem änderte sich das Bild. Das Deuxieme bureau begann fast offen zu arbeiten, und Vietkong gelang es, seine Zellen bis in die Zentren der Politik und Armee zu treiben. Beide Kräfte, die Agenturen des Deuxieme bureau und des Vietkong, sehen ihre Zeit gekommen, wenn die „politischen Parteien” die Straßen und Universitäten zum Kampf gegen die „Diktatur” mobilisieren und in den buddhistischen Klöstern die Gongs zum Religionskampf geschlagen werden.

Heute wissen die Amerikaner in Südvietnam, daß ihre Assistenz beim Sturz Diems bereits partieller Selbstmord war. Sie versuchten, mit General Khanh einen zweiten Diem zu kreieren. Der Versuch mißlang; es gibt keine Neuauflage einer geschichtlichen Persönlichkeit: Innerhalb von zwei Wochen sind vier neue Versuche von verschiedenen Seiten unternommen worden, eine Regierung zu bilden, die nicht von vornherein schon regierungsunfähig ist. Der neueste Versuch sieht am kläglichsten aus. Ein Zivilist, Doktor Nguyen Xuan Oanh, der unter Diem und Khanh gedient hatte, soll den Platz ausfüllen, bis eine endgültige Lösung gefunden ist. Der frühere Präsident der Nationalbank von Südvietnam und Vizepräsident der Regierung wird von jeder Fraktion als „zur Hälfte loyal” angesehen und von allen als Dirigent der Pause. In Saigon als Pessimist und Skeptiker bekannt, weiß Dr. Oanh nur zu gut, daß das Chaos in Südvietnam nicht unter Kontrolle gebracht werden kann, wenn man nicht die Kräfte hinter dem Chaos kontrolliert. Dazu hat heute keiner in Saigon die Macht.

Aus dieser Ratlosigkeit scheint es nur den Ausweg in die Neutralität zu geben. Denkt man an diesen Ausweg, so muß man sich über eines im klaren sein: In ganz Südostasien und im Femen Osten gibt es niemanden, der den Ausweg „Neutralität” als etwas anderes ansieht denn als Auslieferung ganz Hinterindiens an Peking.

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