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Genossen aus dem „Altersheim

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Wie Radio Moskau es diskret formulierte, trafen sie sich als „alte tschechoslowakische Kommunisten” im Prager Vorort Liben. Die vielfach erprobten „alten” Genossen begrüßten die Sowjetokkupanten und kritisierten die höchsten Parteikörperschaften, die der neuen Panzerdemokratie im Wege stehen, und bezichtigten sie der „ideologischen Weichheit, Inkompetenz und Schwäche”. Die Versammlung verabschiedete einen Brief an Kultusminister Miroslav Galuska, in dem er aufgefordert wurde, in seinem Wirkungsbereich dem Moskauer Abkommen zur Geltung zu verhelfen und die Informationsmedien in den Dienst des „Sozialismus” Moskauer Prägung zu steilen. Ein anderer Brief ging an die Staatsanwaltschaft mit der Bitte, dafür zu sorgen, daß alle Journalisten, die während der Invasion „provokative Taten angeregt hatten”, bestraft werden.

In einer Deklaration lobten die eifrigen Genossen die „rechtzeitige” Intervention in Anbetracht des angeblichen, wachsenden „weißen Terrors”. Und die vorgespielte programmatische Grammophonplatte der eifrigen Kollaborateure intonierte noch manche überraschende Melodien von „His Masters Voice”: die jetzige Zusammensetzung des Parteizentralkomitees kann nicht mehr anerkannt bleiben; nachdem die Delegierten für den kommenden 14. Parteikongreß in einer Atmosphäre des „moralischen Terrors und der Einschüchterung” nominiert wurden, müssen Neuwahlen der Delegierten durchgeführt werden, bevor der Kongreß stattflndet; alle „Kollaborateure” ‘ der Invasoren müssen sofort voll rehabilitiert, die „kleinbürgerlichen Abenteurer” hingegen, die sich ihnen widersetzt hatten, gerichtlich abgeurteilt werden, wovon in erster Reihe Mitarbeiter der Informationsmedien betroffen wären. Für Besatzungsarmeeführer sind solche engagierten Melodien schönste Engelsmusik, die höchste Unterstützung verdienen. Zweifellos waren diese nur die Einführungstakte einer Zukunftsmusik, in deren Intonierung den jetzigen Parteisolisten keine Starrolle zugedacht ist.

Die Zahl der anwesenden Konjunkturritter betrug etwa 300. Als entscheidende Vitrinefigurinen präsidierten Antonin Kapek, Karel Mestek, Emanuel Famira, Kvetoslav Innemann und Josef Jodas. Im Hintergrund fungierte als Drahtzieher Vilem Novy. Acht Offiziere der Sowjetarmee, mit Oberstleutnant Korolenko an der Spitze, brachten den Segen der ,„befreundeten” Okkupanten.

Cercle im Hotel „Praha”

Und das ist das politische Paßphoto der Männer der tschechoslowakischen Zukunft:

Atonin Kapek war bis zum 31. August dieses Jahres Kandidat im Parteipräsidium und ist Mitglied des Zentralkomitees. Er war Direktor der Prager Mammutfirma CKD und mußte wegen der Gegnerschaft der Angestellten in den ersten Tagen der Okkupation zurücktreten, da er sich vollkommen für die Raketendemokratie des Warschauer-Pakt- Oberkommandos exponiert hatte. Treue und Konsequenz kann man ihm nicht abstreiten, er begann ja seine nicht alltägliche Parteikarriere als Novotnys Schützling.

Am Frühmorgen des 21. August hielt Kapek im Hotel „Praha” eine Cercle für Konservative, die vom Wunsche der Kollaboration mit den Okkupanten beseelt waren. Mit seinen 46 Lebensjahren ist Kapek ein verhältnismäßig junger Mann.

Karol Mestek, 61, ist Mitglied des Zentralkomitees und stand bis April dieses Jahres an der Spitze des Landwirtschaftsministeriums. In früheren Jahren war er ein berühmter und gefürchteter Hauptrepräsentant der stalinistischen Kollektivierung der Landwirtschaft. Sein Schicksal wurde im Konzentrationslager Mauthausen während des Krieges entscheidend geprägt, wo er sich mit Novotny ganz intim befreundet hatte. Nach Jänner 1968 hat niemand mehr für die Obstruktion und Unterminierung der Dufocek- Reformbewegung getan als Mestek, womit er ein großes Kapital bei der Besatzungsmacht gesammelt hatte. Im Hotel „Praha” war er am 21. August dieses Jahres einer der lautesten Eiferer und bewies seine unübertreffliche Spürnase schon in den ersten Minuten damit, daß er sich als Spitzenkollaborateur anbot.

Emanuel Famira, 68, ist ein alter Schöngeist, war Direktor in einer Prager Künstlerschule. Viele Jahre verbrachte er in der Sowjetunion.

Famira verurteilte immer und eindeutig tschechoslowakische Liberalisierung.

Kvetoslav Innemann, 58, zur Zeit des Stalinismus nur ein zweitrangiger Provinzapparatschik. Der „große Sprung nach vorn” gelang ihm 1953, als er in das Prager Parteisekretariat berufen wurde, wo er die Leitung einer Abteilung übernahm. Sowohl zur Zeit Baraks als auch Kolders war Innemann Mitglied in der Rehabilitierungskommission der KP und stellte einen Rekord in der Verhinderung von Rehabilitierungen auf. Von 1960 an leitete er als Direktor den „Svo- boda”-Verlag. Schon während der Rehabilitierungsverfahren war er Novotnys intimster Informant.

Josef Jodas, 65, ist ebenfalls ein Exponent der „alten Garde”. Sein Name wurde erst im März dieses Jahres allgemein bekannt, als er mit anderen vier Parteimitgliedern ein stalinistisches Pamphlet gegen die Progressiven und besonders gegen das „Neue Wirtschaftsmodell” veröffentlichte.

Vilem Novy, 64, kommt ebenfalls aus dem KP-Altersheim. Die Karriere des orthodoxen Journalisten kulminierte während der Zeitspanne 1963 bis 1968, als er Rektor des Prager Parteikollegiums war. Den roten, materiell weich gepolsterten Samtfauteuil mußte er anläßlich des „Prager Frühlings” dem Reformer Milan Huebl überlassen. In den Okkupationshimmel kaufte er sich mit einer Rede in der Nationalversammlung ein, als er im Juni 1968 die tschechoslowakischen Journalisten en bloc mit antisowjetischer Propaganda bezichtigt hatte. Novy sitzt im ZK und nahm an der Sitzung im Hotel „Praha” am 21. August ebenfalls teil.

Zweifrontenkrieg

Die Zusammenkünfte der präsumtiven Kollaborateure können als erster Akt zur Etablierung einer sowjetfreundlichen Fraktion in der KP-Führung betrachtet werden.

Die Reformspitze um Cernlk eher muß nunmehr die „Alten” akzeptieren und gerät in den Zweifrontenkrieg, sich für die Okkupanten und Kollaborateure oder für die liberale Öffentlichkeit zu entscheiden.

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