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GERHARD SCHRODER / BEREIT ZUR KANZLERSCHAFT?

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Als Gerhard Schröder 1953 als Nachfolger von Robert Lehr Bundesinnenminister wurde, war er ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Er galt als ein junger Mann aus Dr. Adenauers engerer Umgebung und hat diesen Ruf in den acht Jahren seiner Tätigkeit als Bundes-innenminister nur verstärkt. Erinnert sei an seine Haltung 1959 bei der Präsidentschaftskrise, wo er zu denjenigen gehörte, die Adenauers Schwenkungen ungeachtet aller Verärgerungen deckten. Als Innenminister erwarb sich Schröder durch seine starre, jedes Eingehen auf die Opposition ablehnende Haltung den Ruf eines wenig wendigen Vertreters der gegen die Sozialdemokraten gerichteten Politik des Bundeskanzlers. Auch als Verfassungshüter spielte Schröder sowohl in der Präsidentschaftskrise als später im Fernsehstreit eine umstrittene Rolle.

Um so überraschter war die deutsche Öffentlichkeit über sein Debüt als Bundesaußenminister. Schon bei seinem ersten Auftreten in Amerika während des Kanzlerbesuchs im November vorigen Jahres gewann er an Profil, und seither hat sich Schröder durch geschicktes Lavieren in die Position eines Mannes gebracht, der nicht nur, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Brentano, eigene außenpolitische Ideen vertritt, sondern auch in Washington in der Umgebung Kennedys das Vertrauen genießt, das Bundeskanzler Adenauer durch verschiedene Äußerungen aufs Spiel gesetzt hat. Es ist ein offenes Geheimnis, daß Schröder Adenauer in der Umgebung Kennedys überrundet hat. Geschickt hat Schröder auch den Eindruck zu vertiefen gewußt, als sei er mit dem amerikanischen Außenminister Rusk einig und als hätte er für die Ausgestaltung der deutschen Ostpolitik sowohl Rußland als den Ostblockstaaten gegenüber eigene Ideen, an deren Verwirklichung ihn nur der Kanzler hindere. Sein letzter Amerikabesuch Anfang Oktober dieses Jahres gestaltete sich zu einem großen persönlichen Erfolg. Es scheint, daß Schröder auch, wenigstens in groben Zügen, von der möglichen Verschärfung der Kubakrise unterrichtet wurde.

Aber nicht nur als Außenpolitiker, auch als möglicher Kanzlerkandidat hat sich Gerhard Schröder in den vergangenen zwölf Monaten in den Vordergrund geschoben. Das hängt einmal natürlich mit dem Ansehen zusammen, das er offensichtlich im Weißen Haus genießt. Ein Mann, der das Vertrauen der Amerikaner hat, wird in Westdeutschland immer besondere Beachtung finden. Zum anderen aber hat er es auch verstanden, zum Anführer der immer stärker werdenden Fronde innerhalb der CDU/CSU gegen Adenauer zu werden., Er gilt heute als der mögliche Kandidat einer großen Koalition und hat damit die Blicke aller auf sich gezogen, die innerhalb der CDU/CSU über die Koalition mit der FDP verärgert sind. Als Führer des evangelischen Arbeitskreises der CDU hat Schröder auch die Mehrheit des immer gegen Adenauer etwas mißtrauischen Parteiflügels hinter sich. Er hat den Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier damit sowohl in seiner Rolle als evangelischer Kanzlerkandidat als auch als Verfechter einer großen Koalition überspielt.

Ob das freilich einmal genügen wird, um Kanzler zu werden, erscheint, insgesamt gesehen, doch als fraglich. Die immer noch sehr starke Anhängerschaft Adenauers hat sich Schröder durch seine Schwenkung zum Feind gemacht. Die Fronde gegen Adenauer ist zudem in ihrer Zusammensetzung und in ihren Zielen zu verschieden, um, von den Zufällen der Politik unabhängig, eine sichere Basis für Schröder zu bilden. Die Zeit arbeitet insofern gegen ihn, als sie seinen Verbündeten Zeit zu der Überlegung läßt, ob der immer etwas unterkühlt wirkende, ehrgeizige Mann wirklich als Bundeskanzler ihre Hoffnungen erfüllen wird. Trotzdem ist er der Mann in Bonn, der in letzter Zeit durch seine Geschicklichkeit die meiste Beachtung gefunden hat.

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