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Geringes Echo unter der Jugend

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Dagegen sind Studenten und Jugend (der „Nachwuchs“) weit weniger für die Thesen des Neonazismus Anfällig als ehedem für 'den Nationalsozialismus.

Die studentischen nationalen Korporationen sind wie eh und je da. Waren sie auch „national", so wurden sie nach 1933 formell wie die anderen Korporationen aufgelöst, tatsächlich bestanden sie aber weiter und stellten sogar in der Zeit des Dritten Reiches einen Teil der Studentenführer. Der NS-Studen- tenbundführer Albert Derichsweiler (heute Generalsekretär der FVP, die in der Bonner Koalition steht, und noch immer stolz auf seinen „Obersturmführer") löste zwar alle Korporationen auf, traf aber mit seinem Entscheid nur die christlichen und die liberalen Gruppen. Trotzdem oder gerade deswegen sind die nationalen Korporationen, von denen neuerdings interessante Gesamtstatistiken vorliegen, wesentlich liberaler als zur Zeit, da sie lediglich ein Teil des NS-Apparates waren.

Auch die Jugendbünde sind kein geeignetes Einsatzgebiet des Neonazismus. Es gibt wohl eine Vielzahl von Gruppen, die mit markig-heldischen Bezeichnungen versehen sind und NS-Gedankengut ungekaut konsumieren: die Mitgliederzahl dieser Bünde und Bünderln ist aber keine allzu große. Derzeit besteht als Dachorganisation der dem Neonazismus nahestehenden Jugend ein „Kameradschaftsring nationaler Jugend“. Die Führung hat der Jugendbund „Adler“, dessen Zeitschrift feststellt, daß sich der „Adler“ organisatorisch zwischen der HJ und den Pfadfindern befinde, wobei zur Deckung darauf hingewiesen wird, daß Vergangenes nicht wiederkehren werde. Nicht vergessen soll jene Gruppe von Jugendorganisationen werden, die von Pankow ferngesteuert wirdi sich aber (oft in gutem Glauben) als supernational gibt, wobei die schon vor 1933 feststellbaren interessanten Kontakte zwischen rechts unc links neuerlich auffallen.

Darüber hinaus können sich Pankow unč Moskau einer großen Zahl ehemaliger NSDAP- Funktionäre bedienen, die zum Beispiel alt „Berufsjugendliche“ laufend mit der Errichtung und Umwandlung von Jugendbünden beschäftigt sind. Es sei da an die Sportkomitees des Rennfahrers von Brauchitsch erinnert oder ar unmittelbar der ostdeutschen FDJ unterstehend Gruppen, wie an den Deutschen Pfadfinderbunc 1911 nnrl ähnlirhp Grunnpn. dip nfr lenim in ein anderes politisches Lager übersiedelnund vielleicht in einzelnen Phasen ihrer Entwicklung durchaus loyal sind.

Nicht unterschätzen darf man immer noch den Antisemitismus als Triebkraft, wie Exzesse gegen die Reste des deutschen Judentums, beispielsweise antisemitische Demonstrationen in Lampertheim bei Worms, bei denen das Horst-Wessel-Lied abgesungen wurde, zeigen. In dieses Kapitel gehört auch die Zerstörung jüdischer Friedhöfe mit der Schändung jüdischer Gräber, so in Salzgitter, wo man 80 Grabsteine umwarf. Dabei ließen die Täter ein Schild zurück, auf dem zu lesen war: „Deutschland erwache, Israel verrecke." Die betont antisemitische Haltung einzelner deutscher diplomatischer Beamter in Südamerika und Afrika sollte schließlich auch nicht übersehen werden.

Auch die großen Parteien sind da und dort von Neonazisten durchsetzt, wenn auch von keinem System der Infiltration im reichseinheitlichen Sinn gesprochen werden kann. Der ganze Neonazismus ist eben keine uniforme Sache. Das soll nochmals betont werden. Trotz des kürzlichen Zusammenschlusses der neonazistischen Gruppen.

Einige Zeit gab es eine Art Nachfolgepartei der NSDAP, errichtet von Männern, die offensichtlich noch während des offiziellen Bestandes der NSDAP dazu ausersehen worden waren, beim Eintritt des Falles X die in Konkurs gegangene Firma unter einem anderen Namen, aber mit dem gleichen Betriebsgegenstand, wieder aufzumachen. Im Jahre 1949 wurde die Sozialistische Reichs partei (S R P), früher „Deutsche Rechtspartei“, errichtet. Ihr Führer war Fritz Doris (ehedem ein Anhänger des Strasser- Flügels der NSDAP, der über die CDtl nach rechts „abgekommen“ war). Als Blickfang bediente man sich des Anti-Putsch-Generals Remer. Vorerst gelang es der SRP, ganze Ortsgruppen der Deutschen Partei zu gewinnen. Eine eigene SA („Reichsfront") war ebenfalls vorhanden und „ließ deutsche Herzen schneller schlagen“. Menschenreservoir für die SRP fand sich bei den Jungbauern („Reiterjugend“), bei den Heimatvertriebenen und bei ehemaligen Soldaten, die nicht ins Zivil zurückgefunden hatten. 1951, bei den Wahlen in Niedersachsen, konnte die SRP nicht weniger als 11 Prozent der Landesstimmen an sich ziehen. Das Verbreitungsgebiet war aber offensichtlich begrenzt. In jenen

Teilen der Bundesrepublik, in denen aus Tradition demokratisches Denken vorhanden war (im Westen und Süden des Landes), gelang der Durchbruch der SRP nicht. Lieber Nacht aber war die Partei weg. Es genügte bereits eine Drohung mit der behördlichen Auflösung und „die Straße war frei“ von den „braunen Bataillonen“. Keine Gegenwehr, kein Versuch einer verdeckten Neugründung, keine „nordische List“, wie sie etwa in der „Elends- und Verbotszeit“ in Oesterreich ehedem von den aufgenordeten Recken um Frauenfeld und Suchanek praktiziert wurde. Diverse andere, „betont“ nationale Parteien kamen und gingen, alle gewillt, einige Jahre an die zwölf Jahre des Tausendjährigen Reiches anzustückeln: Die hessischen Nationaldemokraten, der Deutsche Block (in Bayern und dann in Lübeck), die Deutsche Gemeinschaft in Süddeutschland.

Wohl oder übel mußten schließlich die an einer Aktivierung von NS-Gedankengängen Interessierten darangehen, eine der bestehenden großen Parteien, die traditionelle Wählerschichten und daher einen relativ gesicherten Bestand hatte, anzubohren. So ging man an die Infi 1- trierung der FDP. In Nordrhein-Westfalen gelang es. Das zeigte eine innerparteiliche Revolte. Aus den Untersuchungsergebnissen erfuhr man, daß der Landesgeschäftsführer der FDP und ehemalige Obersturmführer (auch Gebietsführer in der Reichsjugendführung) und dann Redakteur der FDP-Wochenschrift „Deutsche Zukunft", Z o g 1 m a n n, und eine Reihe von ehemaligen Brigadeführern, Kreis-

leitern, Obersturmbannführern und ähnlichen Größen, die alle zum sogenannten Naumann- Kreis gehörten, den Versuch unternommen hatten, NS-Gedankengängen in der Politik der FDP zum Durchbruch zu verhelfen und die Liberalen in der Partei auszubooten. Bezeichnend ist ein Ausspruch von Naumann: „Wir haben das Dritte Reich immer verteidigt und werden es immer tun.“

Eine neue Chance ergibt sich für den Neonazismus in der D P S - S a a r, die von Doktor Schneider, genannt „Auf-Schneider", geführt wird. Schneider bezeichnet die Bundesrepublik als einen Separatstaat und seine Gegner, wo immer sie sitzen, als Separatisten. In einer BHE-Versammlung in Köln sägte Schneider: „Schreiben Sie ruhig, wir seien alte Nazis. — Bei deutschdenkenden Menschen ist das die beste Propaganda für uns.'

Die anderen Parteien, das heißt CDU/ČSU und SPD, sind offensichtlich noch nicht unterwandert, wenn auch manche Dinge zu denken geben, so die Tatsache, daß bei einer Zusammenkunft von alten SS-Leuten ein CDU-Abgeordneter, Bundestagsabgeordneter Admiral a. D. Hellmuth Heye, anwesend war und sogar das Wort ergriff.

Wenn vom Neonazismus die Rede ist, darf auch der Neof aschismus nicht vergessen werden, wenn auch seine Bedeutung nicht überschätzt werden soll. Der Neofaschismus ist „international“ verankert, das will sagen, daß mehr oder weniger starke Gruppen von Menschen faschistischer Denkweise, die es in den meisten europäischen Ländern und sogar in den USA und in Afrika gibt, so etwas wie eine Internationale geschaffen haben, die nun fleißig „tagt“. Nach den bisherigen Erfahrungen ist die Koordination der verschiedenen Chauvinismen in der Wirklichkeit der Politik ohne große Bedeutung. Wir hören vom italienischen Neufaschismus, der zwar eine Menge Anhänger hat, aber vor Spaltungen zu keiner positiven Arbeit kommt. Wir haben nicht unbeachtliche Gruppen in Frankreich und wir haben in England den unverwüstlichen Sir Oswald Mosley, einen „Berufsfaschisten", der jetzt in Eujopa Versammlungen macht, wie überhaupt häufig das Wort „E u r o p a“ (als Symbol eines Imperialismus) dafür herhalten muß, den faschistischen Gedanken zu überdecken. (In Oesterreich tritt hier in letzter Zeit Herr Soucek als Wanderprediger dieser Spielart des „Europäismus“ auf.) In Südamerika sitzt ein Teil der faschistischen Prominenz und in Aegypten sind ebenfalls nicht wenige Nationalsozialisten als Berater tätig,, wie etwa Johann von Leers, der beim „Mann vom Nil“ tätig ist und derzeit des Niederländers van Winghem Idee einer Aussiedlung der Israelis nach Madagaskar propagiert. Auf der anderen Seite hilft wieder Aegypten der HiaG. aus. In Düsseldorf spricht der Aegypter Dr. E1 g i n i und hält eine profaschistische Rede.

Als Ganzes ist der Neonazismus wohl eine besondere Form von Traditionalismus, aber sicher geeignet, als organisatorische Fassung politischer Hysterien, in einer Zeit der Krise aufzubrechen und eine politische Unterwelt nach oben zu bringen. Den Anfängen widerst e h e n ist deshalb ein Gebot, das man sowohl jenseits als auch diesseits des Inns wohl beherzigen möge.

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