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Geschäft mit dem Tod

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Mit dem Fortschritt der Technik hat die Wirtschaft die Vorherrschaft über alle Mächte des öffentlichen Lebens erobert. Politik und Politiker sind ihr dienstbar. „Geschäft um jeden Preis“ heißt das oberste Gesetz' der Wirtschaftsmacht. Um jeden Preis muß produziert und verkauft werden. Der Preis in der Rüstungsindustrie ist der Tod. Im ersten Weltkrieg — so wurde errechnet — kostete der Tod eines Soldaten 100.000 DM. Die Hälfte davon kann sich der Rüstungsfabrikant als Reingewinn verbuchen. Jede zweite Minute des ersten Weltkrieges brachte neun Tote ein — oder 900.000 DM Kosten -, das sind 450.000 DM Reingewinn für die Rüstungsindustrie. Der zweite Weltkrieg, der als totaler Krieg sich auch über die Zivilbevölkerung ausdehnte, kostete ein Mehrfaches an Opfern, brachte auch ein Mehrfaches an Gewinn für die Rüstungsindustrie ein.

Verbunden mit der Hochfinanz, bildet die Rüstungsindustrie Trusts und Kartelle, die sich über alle Länder, über Freund und Feind erstrecken. Internationale Vereinbarungen, Aktienbeteiligungen untereinander sorgen für den einheitlich hohen Preis, für fließenden oder gehinderten Absatz, je nach dem Diktat einiger weniger internationaler Firmen. Die Produktion der Rüstungsindustrie und der mit ihr verbundenen Wirtschaftszweige nährt sich vom bewaffneten Konflikt, vom Kriege. Es ist vielleicht nicht so sehr böser Wille und böse Absicht als das Gesetz der liberalen Wirtschaft, wenn sie das Rüstungswettrennen verursacht. Die Fachleute erklären, daß sie ja nur die Fertigung der Waren zu verantworten haben, nicht ihren Gebrauch. Sie würden sich genau so gerne mit der Produktion friedlicher Konsumgüter beschäftigen, vorausgesetzt, daß das „Geschäft“ gleich hohe Gewinne einbrächte. Daß die Presse und die Politik von der Rüstungsindustrie abhängig gemacht wird, entschuldigen sie ebenfalls mit dem „Geschäft“. Jahrelang prozessierte der Rüstungsagent und Großaktionär der Rüstungsindustrie, Sir Basil Zaharoff, der einmal in Konstantinopel im Basar Waren ausgetragen hatte und es zum Ritter des britischen Großkreuzes, Inhaber des Großkreuzes der französischen Ehrenlegion und Ehrendoktor der Oxforder Universität gebracht hat, gegen den Schriftsteller Robert Neumann, der ein Buch über ihn, den „König der Waffen“, veröffentlichte. Darin wird der ungeheure Einfluß eines einzigen Menschen auf den blutigen Gang der Geschichte aufgezeigt.

Die „eigenen Gesetze“ der Wirtschaft können jedoch durchaus vom Menschen bewältigt werden. Sie brauchen nicht zum Untergang des Menschen föhren, wenn der Mensch sich die Wirtschaft Untertan macht.

Vor kurzem erschien bei Sponholtz in Hannover ein Buch unter dem aufrüttelnden Titel „Geschäfte mit dem Tod — Vom Maxim-Gewehr bis zur Kobaltbombe“, in dem der Verfasser Hellmut Herda die Zusammenhänge und Hintergründe des Wettrüstens vor 1914, zwischen den beiden Weltkriegen und nach dem zweiten Weltkrieg aus vielerlei und vielen deutschen und ausländischen Quellen aufdeckt. Eine verhältnismäßig kleine Zahl gigantischer Gesellschaften, die mit- und untereinander verbunden sind, beherrschen die Produktionsmittel für den Krieg, den „alten“ und den „atomaren, neuen“ Krieg. Das „deutsche Wirtschaftswunder“, der Marshall-Plan, die deutsche Wiederaufrüstung, die „bewaffnete“ Neutralität Oesterreichs und andere mehr, erhalten unter dem Blickpunkt der Rüstungswirtschaft ein wenig freundliches Gesicht. Gewiß, über die, wirtschaftlichen Zusammenhänge, wie sie sich nach 1945 ergaben, hat auch Herda nur spärliche Quellen. Wir können aber auf Grund der Tatsachen bis zum zweiten Weltkrieg ahnen, was sich hinter den Kulissen der offiziellen

Weltpolitik an „Geschäften“ abspielt.

Der französische Ministerpräsident Aristide Briand erklärte in der Völkerbundversammlung vom 29. September 1930: „Kein Volk, keine Regierung wünscht den Krieg, aber viele Interessenten arbeiten gegen den Frieden. Es sind die Waffen- und Munitionsfabriken. Sie arbeiten gegen den Völkerbund, sie bezahlen die Feldzüge der Presse, die unablässig unsere Anstrengungen illusorisch machen. Die Aufsätze gegen den Frieden werden mit Federn geschrieben, die aus demselben Stahl geschnitten sind, aus denen die Kanonen und Granaten gegossen werden.“

Briand hatte Einblick in die Internationale der Rüstungswirtschaft, in ihre Verbindungen und Verflechtungen von Kartellen und Trusten, er hatte Einblick in die Internationale der Hochfinanz, verkehrte er ja selbst mit Sir

Zaharoff, der ihm nach der Besprechung über die Organisation des Luftkrieges so nebenbei mit der linken Hand ein Kuvert übergab mit der Aufschrift: „Für Kriegerwitwen“, und einen Scheck über eine Million Francs. Briand selbst ist es, der diese kleine „Nebensache“ einmal Robert Neumann erzählte.

Schneider-Creuzot, die größte französische Waffenschmiede, lieferte vor dem ersten Weltkrieg nach Rußland, Deutschland und in die Länder der Kleinen Entente. Vickers-Arm-strong, die englische Waffenfabrik, hatte Fabriken in Spanien, Italien, Rußland, Japan und Kanada. Sie stand in engster Verbindung mit der deutschen Waffenfabrik Löwe und Co. Ein Mitglied der Familie Löwe gehörte als Direktor der Vickers-Verwaltung an. Mit der Firma Krupp hatten die Vickers nach dem ersten Weltkrieg eine Auseinandersetzung wegen Patentrechten, die damit endete, daß Krupp die spanische Fabrik von Vickers als Vergleichsquote erhielt. ,

Ein interessantes Beispiel für die Internatio-nalität der Kartelle war das internationale Pulverkartell. Der Nobel-Dynamit Trust unterhielt sieben Filialen in Deutschland und eine in Japan, ihm gehörten drei Sprengstoffabriken, die in der Rhein-Siegener Gruppe zusammengeschlossen waren, die Köln-Rottweiler Pulverfabriken, die wiederum mit englischen, russischen und spanischen Fabriken zusammenarbeiteten, die deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, die Societd Francaise de Dynamite und die Societe Francorusse de Dynamite.

Indirekte Beziehungen bestanden zwischen den größten deutschen und den größten französischen Waffenunternehmen. Die englische Firma Vickers und Armstrong finanzierte die Panzerplattenfabriken von Mutoran in Japan und war auch an der spanischen Werft Naval Construction Establishments de Ferrol beteiligt. Vor dem ersten Weltkrieg bestand eine internationale Abmachung: Die deutschen Waffen-und Munitionsfabriken in Berlin und Karlsruhe, die Waffenfabrik Mauser in Oberndorf, die Fabrique Nationale dArmes de Guerre in Herstal in Belgien und die österreichische Waffenfabrikgesellschaft verpflichteten sich, sich in der Lieferung von Karabinern gegenseitig zu unterstützen, den Preis einheitlich festzulegen, die Gewinne nach einem bestimmten Schlüssel zu verteilen. Sie lieferten Karabiner nach Rußland. Japan, China und Abessinien. Bedenken eigener Politiker wurden immer mit der gleichen Begründung zerstreut: Nur das Auslandsgeschäft mache die eigene Rüstungsproduktion leistungsfähig.

Fokker baute 1930 in Holland, Junckers in Schweden, Dornier in der Schweiz Flugzeuge, zunächst natürlich für die Wahlheimat, um dann aber das Kapital für den Bau von Kriegsflugzeugen zu verwenden, der innerhalb Deutschlands verboten war. Im übrigen fehlte es nicht an Dollaranleihen, Uebernahme von Aktienpaketen und kartellmäßigen Absprachen zwischen der amerikanischen Schwerindustrie und der deutschen. Ob sie wußten, daß sie damit die spätere Wiederaufrüstung Hitlers begünstigten? Es war ein „Geschäft“, und dieser Umstand läßt alle anderen Erwägungen zurücktreten. Bis zum Jahre 1940 hatten 171 amerikanische Firmen in der deutschen Wirtschaft 420,6 Millionen Dollar angelegt. Damit wird dem Laien Hitlers außerordentliche Rüstungskapazität deutlich. Unter diesem Aspekt wirkt das Verfahren gegen die Erben Krupps beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß einigermaßen grotesk. Man hätte dann ebenso gut die Geldgeber Krupps, die New-Yorker Bankhäuser Haltgarten und Co., Goldmann, Sachs und Co., die New-Yorker National City Bank und andere Mithelfer vor das Tribunal in Nürnberg stellen müssen. ,

Der Standard Oil Trust in New Yersey, eine der beherrschenden Erdölfirmen, ist mit dem amerikanischen Bankhaus J. Henry Schröder (Brüder Dulles') verbündet. Der amerikanische Trust hatte in Hamburg eine Tochtergesellschaft, die Deutsch-amerikanische Petroleumgesellschaft mit 18.000 Tankstellen innerhalb des Deutschen Reiches. Wenig bekannt ist die Verbindung zwischen der Standard Oil und den I. G. Farben. Die deutsche Chemieindustrie schloß sich 1925 zu dem Mammutbetrieb der I. G. Farben-Industrie zusammen, die auch die Beteiligung der Bayer-Werke an der Wintrop Chemical Company und die Zusammenarbeit mit der führenden USA-Rüstungsindustrie umfaßte. Vorher schon war den Bayer-Werken die Hälfte der Aktien der Wintrop Chemical Company zugefallen, der Tochtergesellschaft der Sterling Products. Die Sterling-Products-Gruppe ging mit dem größten amerikanischen Unternehmen, dem Du-Pont-Konzern, ein Vertragsverhältnis ein, so daß die indirekte Zusammenarbeit von Du Pont und den I. G. Farben gegeben war.

Diese geschäftlichen Verbindungen und Abhängigkeiten reichten bis in den zweiten Weltkrieg. Ein Bericht des Verwaltungsdirektors der Standard Oil, Herrn Frank A. Howard, vom 12. Oktober 1939 gibt da wichtige Aufschlüsse. Howard war im Spätsommer 1939, als die Deutschen bereits in Polen einmarschiert waren, nach England gereist, um dort über Kriegslieferungen an das englische und französische Heer zu verhandeln. Das hinderte ihn nicht, wenig später in Holland drei Tage lang mit den Vertretern der deutschen I. G. Farben-Industrie zu verhandeln und ein Gentlemen's Agreement zu treffen: „Sie übergaben mir die Uebertragungs-urkunden von 2000 Patenten und wir taten unser Bestes, umfassende Pläne für einen Modus vivendi auszuarbeiten, der für die Dauer des Krieges typisch sein sollte, ob vnun die Vereinigten Staaten in den Krieg eintreten werden oder nicht.“ Das Interessengebiet war für die Kriegszeit neu aufgeteilt worden: Der Standard Oil gehörte der Markt der USA. des Britischen Imperiums, Frankreichs mit seinen Kolonien und Teile des Mittleren Ostens, der übrige Markt der I. G. Farben-Industrie. Der Aktienanteil der I. G. Farben an den Standard Oil in USA ging zwar am 2. November 1939 zur Gänze an die amerikanischen Aktionäre der Standard Oil zurück, das berührte jedoch nicht die getroffenen Abmachungen. Die I. G. Farben behielten ihre Patentrechte und das Recht auf Lizenzgebühren, die eben nach dem Krieg abzurechnen waren. Als 1942 Direktor Howard wegen dieser freundschaftlichen Lösung öffentlich angegriffen wurde, erklärte er: „Was die Gefühle der Partner auch sein mögen, so schafft der Krieg Verträge dieser Art doch nicht aus der Welt. Er suspendiert sie nur.“ Das Wallstreet-Journal aber beruhigte die Oeffentlichkeit: „Unser Land ist der Erbe des aufgelassenen Imperiums der I. G. Farben-Industrie geworden und es hat die Absicht, es für sich zu bewahren.“

Nach dem zweiten Weltkrieg ging das alte Spiel weiter. Schon 1947 gab es, nach Mitteilung der englischen Presse, wieder über hundert große deutsche Industrieunternehmungen, deren Aktienkapital zu über 50 Prozent amerikanischen Banken und Trusten gehörte. An Hunderten von Firmen sind die Amerikaner mit 15 bis 30 Prozent des Grundkapitals beteiligt. 1949 stellte der südbadische Ministerpräsident fest, daß ausländisches Kapital mit folgenden Anfeilen in den Industrien des Landes vertreten ist: 99 Prozent in der Chemischen Industrie, 46 Prozent in Elektrizitätswerken, 83 Prozent in der Textil-, 64 Prozent in der Papier-, 4 5 Prozent in der Holz- und 81 Prozent in der Filmindustrie.

Der große amerikanische Rüstungskonzern Du Pont errichtete die erste Atombombenfabrik. 1913 beschäftigte der Konzern 4000, 1918

bereits 50.000 und heute in 72 Werken über 8 5.000 Arbeiter, darunter 2000 Wissenschaftler aus 3 5 Ländern. Dieser Konzern gilt als der größte Munitionslieferant der Welt. Werden die Verantwortlichen dieser Rüstungsschmiede „geschäftliche“ Ueberlegungen anstellen, die ihnen die Erzeugung atomarer Waffen verbieten müßten? Die atomaren Waffen bedeuten die Selbstvernichtung unserer Erde. Auch die Rüstungsfabrikanten werden nicht übrigbleiben, wenn die H-Bomben angewendet werden. Alfred Nobel hatte das Uebel, das seine Dynamiterfindung anrichten könnte, durch die völkerverbindende Stiftung seines Nobel-Preises poralysieren wollen. Es hat ihm nichts genützt, er konnte die Anwendung seiner Erfindung für den Krieg nicht aufhalten. Werden die Großen der Rüstungsindustrie, wenn sie die friedliche

Anwendung der Atomkraft preisen, die kriegerische Anwendung verhindern? Vor der Bedrohung durch Lawinen, durch Hochwasser, Erdbeben und Unwetter sind sich alle Regierungen einig, daß der Mensch ein Recht auf ein höchstmögliches Maß von Sicherheit hat. Die Naturkatastrophen einigen die Völker in vorbeugender Abwehr. Gegenüber den Bedrohungen der Atombomben, diesem höllischen Produkt aus Menschenhand, versagen alle internationalen Vereinigungen. Es besteht ein Funke Hoffnung, daß die Internationale der Rüstungsindustrie, die eine so beherrschende Rolle auf den Gang der Weltpolitik ausübt, aus „geschäftlichen“ Erwägungen dem Wettrüsten von atomaren Waffen ein Ende setzt. Denn mit diesem „Geschäft“ ist zuletzt kein Geschäft mehr zu machen.

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