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Gespräche in Löwen

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Die Katholiken sind in ein Zeitalter der Kongresse eingetreten. Diese Kongresse tragen ein sehr verschiedenes Gesicht: kämpferische Demonstration der Macht nach außen, religiöses Bekenntnis, Sammlung und Selbstdarstellung, fachliche Arbeit gehen da nebeneinander. Im europäischen Katholizismus stehen die Allgemeinen Deutschen Katholikentage an prominenter Stelle neben den großen Kongressen in Rom, wo im kommenden Herbst der zweite Laienkongreß stattfindet. Oesterreich verhält gegenwärtig noch den Atem: Wir stehen zwischen dem großen Allgemeinen Oesterreichischen Katholikentag 1952 und dem kommenden Wiener Katholikentag unter dem Wort „Wir alle aber sind Brüder“. Nicht zu vergessen: den 5. Weltkongreß der katholischen Presse im Herbst dieses Jahres in Wien, dessen Vorbereitung ganz in österreichischen Händen liegt. Aus der Weltperspektive der Kirche und aus dem Gesichtspunkt des österreichischen Katholizismus verdient da ein Kongreß hohe Beachtung, der vor knapp einem halben Jahr in Belgien stattfand, und dessen Wirkung in den Benelux-Ländern, wie überhaupt im Westen Europas, immer weitere Kreise zieht... Die Redaktion

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Die Katholiken sind in ein Zeitalter der Kongresse eingetreten. Diese Kongresse tragen ein sehr verschiedenes Gesicht: kämpferische Demonstration der Macht nach außen, religiöses Bekenntnis, Sammlung und Selbstdarstellung, fachliche Arbeit gehen da nebeneinander. Im europäischen Katholizismus stehen die Allgemeinen Deutschen Katholikentage an prominenter Stelle neben den großen Kongressen in Rom, wo im kommenden Herbst der zweite Laienkongreß stattfindet. Oesterreich verhält gegenwärtig noch den Atem: Wir stehen zwischen dem großen Allgemeinen Oesterreichischen Katholikentag 1952 und dem kommenden Wiener Katholikentag unter dem Wort „Wir alle aber sind Brüder“. Nicht zu vergessen: den 5. Weltkongreß der katholischen Presse im Herbst dieses Jahres in Wien, dessen Vorbereitung ganz in österreichischen Händen liegt. Aus der Weltperspektive der Kirche und aus dem Gesichtspunkt des österreichischen Katholizismus verdient da ein Kongreß hohe Beachtung, der vor knapp einem halben Jahr in Belgien stattfand, und dessen Wirkung in den Benelux-Ländern, wie überhaupt im Westen Europas, immer weitere Kreise zieht... Die Redaktion

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In Belgien ist das öffentliche Leben wahrlich nicht durch einen Mangel an Aktualitäten gekennzeichnet. Aber diesmal soll von einem ganz anderen Thema gesprochen werden. Es handelt sich um ein religiöses Ereignis, das, obwohl es nicht auf der ersten Seite der Zeitungen stand, als das größte Ereignis in der Kirche Belgiens seit einem halben Jahrhundert erscheint: Der nationale Kongreß für das Laienapostolat in Löwen, der die Vorarbeit für den internationalen Kongreß in Rom im Oktober 1957 zu leisten hatte.

Der zweisprachige Kongreß wurde in Löwen, dieser alten Universitätsstadt, organisiert. Die beiden Sektionen — die französische und die niederländischen — sollten bei der Vollversammlung am letzten Tag zusammentreten. Im Wesentlichen handelte es sich darum, die Katholiken, die sich für das Laienapostolat interessierten, unter Umgehung der viel zu zahlreichen Vereinigungen einander näherzubringen. Zum erstenmal in der Geschichte der

Kirche Belgiens sollten die Laien der Hierarchie gegenübertreten. Es handelte sich darum, „die öffentliche Meinung der Kirche“ zu Wort kommen zu lassen, von der der Papst spricht. Man muß die sehr gebundene Atmosphäre der traditionellen Milieus dieses Landes kennen, um sich das Wagnis eines solchen Unterfangens vor Augen zu führen.

In diesem Punkt ähnelt Belgien weder seinen Nachbarn im Norden noch denen im Süden. Die Kirche Belgiens ist weit mehr als dies in Frankreich und in Holland der Fall ist, ein integrierender Bestandteil der nationalen Traditionen. Es ist hier nicht der Platz, daran zu erinnern, während wie vieler Jahrhunderte diese Provinzen an das Haus Habsburg gebunden waren, das immer ein Vorkämpfer für den Katholizismus war. In der jüngeren Vergangenheit steht das Konkordat von 1801: noch jetzt ist die katholische Kirche in Belgien eine Konkordatskirche, mit allen materiellen Vorteilen und der psychologischen Sicherheit, die dieser Umstand mit sich bringt. Schließlich gehört zu den Charaktereigenschaften der belgischen Katholiken ein politischer Konservatismus, freilich nur dort, wo sie noch die Stimmenmehrheit haben, nämlich im flämischen und ländlichen Teil. Sicherlich hat es auch hier nicht an politischen Kämpfen gefehlt, wie auch an schweren Schlägen, die die Kirche in dem trafen, was ihr am meisten am Herzen liegt — in der Erziehungsfrage. Auch war zu befürchten, daß die Katholiken häufiger zu politischen Machtmitteln griffen als zur Caritas und zur Geltendmachung der individuellen Freiheit, was im wahrsten Sinne des Wortes katholischer ist.

Am Vorabend des Löwener Kongresses waren zwei Richtungen wahrzunehmen: die Optimisten, die ihr ganzes Vertrauen in die Organisation und Vereinigungen setzten, weil sie die Zahl der Anhänger einer Organisation als Zeichen religiöser Vitalität ansehen, auf der anderen Seite die Pessimisten, die mangels konkreter Nachrichten über die En.tchrist- lichung in Belgien auf das schlimmste gefaßt sind und von einem Fassadenchristentum sprechen, dessen Vitalität sich jedoch erst in Zeiten der Verfolgung zeigt. Der Kongreß übertraf alle Erwartungen, sowohl die der Optimisten als auch diejenigen der Pessimisten. Tatsächlich mußten erstere zugestehen, daß es außerhalb der Organisationen eine Gruppe echter Gläubiger gibt, die außerhalb der Institutionen bleibt. Sie mußten auch zugeben, daß die eifrigsten unter ihnen die sogenannte paternalistische Tradition nicht mochten, von der die Atmosphäre dieser Institutionen beherrscht war. Was die Pessimisten anlangt, so waren auch sie überrascht von der starken Teilnahme am Löwener Kongreß.

Vor allem übertraf die Zahl der Teilnehmer alle Erwartungen: der Kongreß war dreimal größer als vorhergesehen: ungefähr 1700 Teilnehmer von der flämischen Sektion und 1300 Teilnehmer der französischen Sektion. Unter diesen Umständen konnte die Vollversammlung nicht stattfinden — kein Saal der Stadt konnte die Teilnehmer fassen. Aber der Kongreß war noch mehr durch seinen Geist ein Erfolg, der jede Erwartung übertraf. Dank einer Vorbereitung, die mit ebensoviel Zähigkeit wie Vertrauen geführt wurde, gelang ein bisher noch nie gewagtes Experiment: den Laien ein Forum zu geben, wo sie ohne politische oder soziale Hemmungen in voller Freiheit ihre Meinungen äußern konnten.

Tatsächlich waren es 26 „Rednertribünen", über welche die Laien verfügten, denn außer der Vollversammlung, bei der allmorgendlich doktrinäre Exposes vorgebracht wurden, gab es 26 fragliche Punkte, in die sich die Teilnehmer jeder Sektion in den Diskussionen des Nachmittags teilten. Es ist nicht möglich, auch nicht in großen Zügen, alle Themen auch nur etwas eingehender zu streifen. Es genügt vielleicht, hier die großen Interessengebiete anzugeben: Familie, Pfarre, Unterricht, Jugend- und Mannesalter, Berufsleben, das Heer, das geistliche Leben der Laien, Bibel und Liturgie, der Kongo und das internationale Leben. Bei jedem dieser Themen war ein Laie Vorsitzender mit einem Sekretär zur Seite und einem geistlichen Ratgeber.

Die Exposes einiger strittiger Fragen, wie der über die „Geistigkeit der Laien“ oder „Bibel und Liturgie“, wurden alle von jungen Leuten ausgearbeitet und vorgebracht. Es war nicht anders zu erwarten, als daß einigen Laien, die nie Gelegenheit hatten, auszudrücken, was sie auf dem Herzen hatten, einen gewissen Mangel an Reife im Ausdruck zeigten. Es gab jedoch keinen unangenehmen Zwischenfall, der wert wäre, aufgezeichnet zu werden. Dieses Experiment war übrigens ein doppeltes, weil auch die Bischöfe und die Assistenz, die in die Diskussionen eingriffen, den richtigen Ton finden mußten, um zu vermeiden, daß die Diskussion infolge ihrer Gegenwart nichts aufs Eis gerate. Die Situation erscheint dem Kenner des belgischen Traditionalismus einigermaßen revolutionär, fand jedoch bei dem gesamten Episkopat Verständnis, mit Ausnahme eines einzigen Bischofs, der bei einer Vollversammlung durch seinen Autoritarismus hart abschnitt. Es fand also in Löwen ein richtiger Dialog statt. Die Kirche und ihre Häupter waren in gleicher Weise erstaunt, feststellen zu müssen, mit welcher Leichtigkeit der Gedankenaustausch vor sich ging, und welch fruchtbare Resultate erzielt werden konnten.

Die Diskussionen der Kommission für das Thema: „Bibel Und Liturgie“ beispielsweise, hatten mit ihren Debatten einen unerhörten Erfolg. Während sonst viele Mitglieder des Klerus sich über die liturgische Apathie der Gläubigen beklagen und viele Laien, die sich nach liturgischer Erneuerung sehnen, von dem Konservatismus einer großen Menge von Geistlichen enttäuscht sind, trafen sich hier die Repräsentanten der beiden Gruppen und waren erstaunt über ihre große Zahl und Einmütigkeit. Diese Diskussion, die 50 bis 60 Teilnehmer zusammenbrachte, verlief ungemein lebendig. Ich schätze mich glücklich, bei dieser Gelegenheit auf den Pionier der österreichischen Liturgie, Pius Parsch, und seine Richtung hingewiesen zu haben. Der Wunsch, dem Volke in der Liturgie eine größere Stimme einzuräumen, wurde wiederholt, wenn auch in verschiedener Form, vorgebracht.

Was schließlich aus den Debatten und allgemeinen Versammlungen klar hervorgeht, ist die Feststellung, daß der Christ von heute in einem geistig heterogenen Milieu lebt und daß die traditionellen Organisationen, wenn sie auch oft unerläßlich sind, nicht ausreichen. So kam man darauf, wie notwendig es ist, konkrete Nachforschungen über den wirklichen Stand christlicher Vitalität in Belgien anzustellen. (Dies war um so erstaunlicher, als wenige Monate vorher, eben in demselben Löwen, die internationale Konferenz über religiöse Soziologie abgehalten wurde: Leider ist der innere Zusammenhang zwischen dieser Konferenz und dem Kongreß nicht erfaßt worden.) Erwähnenswert ist auch das allgemeine Expose in französischer Sprache von Andre Molitor, dessen zweiter

Teil sich im wesentlichen mit dem vielfach angefeindeten „institutionellen' Charakter des belgischen Katholizismus befaßte. Die Beurteilung fand nachhaltigen Beifall, den sie unseres Erachtens auch verdiente. Als mutiger und tiefblickender Christ zeigte A. Molitor einige Gefahren auf: Bei der Verwirklichung ihres Programms riskieren die Christen, eine Art Wall um sich zu errichten, dessen Zweck es ist, sie gegen die Gefahren der Umwelt zu schützen. In gleichem Maße entfernen sie sich jedoch von den Andersgläubigen und bewahren diese vor jeder „katholischen Ansteckung“.

Offensichtlich verfügen die belgischen Katholiken über die größte Zahl Institutionen auf der ganzen Welt. Damit zu vergleichen sind, nach den Ausführungen des Soziologen H o u t a r t, nur die Niederlande und Französisch-Kanada. Auch sind es diese Einrichtungen, die das Volk oft nicht von der Kirche selbst zu unterscheiden vermag, und diese Verschmelzung setzt dem Ausstrahlen eines lebendigen Glaubens den größten Widerstand entgegen. Mehrere Monate sind nun seit dem Kongreß für das Laienapostolat vergangen — viele sind schon ungeduldig in der Befürchtung, die apostolische Erneüerung möchte sich erschöpfen, bevor sie in die Tat umgesetzt ist. Diese Sorge ist übertrieben. Alles braucht seine Zeit. Es war aber offensichtlich, daß die Kirche Belgiens eine neue Seite im Buch ihrer Geschichte aufgeschlagen hat.

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