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Gespräche mit Bidault

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Die französische Presse, die sich seit einem Jahr über die Aktivität der OAS- und CNR-Führer im Ausland — in Spanien, Italien und Deutschland — in der Regel besser informiert zeigte als die deutschen Behörden, hat vor einige“n Tagen über einen gescheiterten Entführungsversuch Georges Bi-daults gesprochen. So behauptete eine bekannte politische Wochenschrift, daß zwei Wochen vor der Entführung des Obersten Argoud aus München Mitglieder des „Spezialdienstes“ der Fünften Republik den ehemaligen Ministerpräsidenten bereits in einen Wagen verfrachtet hatten. Lediglich einem starken Menschenauflauf hätte es Bidault zu verdanken gehabt, daß die

Entführer von ihrem Vorhaben abließen. Heute dürfte kein Zweifel darüber bestehen, daß ein in Deutschland oder Portugal stummer Chef des Nationalen Widerstandsrates der Pariser Regierung lieber ist als ein von Land zu Land hastender Wanderer zwischen den Welten, der unter Ausnutzung der Neugier und Sensationslust alle Möglichkeiten der Publikation wahrnimmt, um dem bestehenden französischen Regime moralischen Schaden zuzufügen.

Wer Georges B i d a u 11, seinen unversöhnlichen Haß gegen de Gaulle und seine wirklichkeitsfremden Vorstellungen hinsichtlich der politischen' Entwicklungen in Frankreich kennt, wird freilich kaum vermuten, daß er nunmehr den Kampf als verloren ansehen und die Flinte ins Korn werfen würde. Er wird sich weiterhin für den allein prädestinierten Nachfolger des jetzigen Staatspräsidenten halten und den Glauben an den Sturz des gaullistischen Regimes in absehbarer Zeit behalten. Das ist die tragische Illusion eines der engsten Mitarbeiter und Freunde de Gaulles während des Widerstandes gegen die deutsche Besatzung, der sich — wie es „Le Nouveau Can-dide“ kürzlich ausdrückte — in Verbindung mit seinem Bewunderer, dem „kleinen Napoleon“ Oberst Argoud, noch für einen „Churchill“ halten konnte. Ohne Argoud ist Bidault nur noch ein schattenhafter „Geisterpräsident“, der in völliger Isolierung zum Selbstgespräch verurteilt ist. Das CNR aber, längst zerfallen in heterogene Grüppchen, ohne Führung und Strategie und — vor allem — ohne eine nennenswerte Gefolgschaft in Frankreich selbst, ist heute nichts anderes als ein Kadaver der einst so aktiven Geheimarmee OAS.

Haß ist ein schlechter Ratgeber

Gewiß ist die Gefahr einer Ermordung de Gaulles durch ein Kommando oder eine individuelle Aktion keineswegs gebannt; aber die Hoffnung, im Anschluß daran die Macht ergreifen zu können, ist nach der Sanktionierung der algerischen Unabhängigkeit und nach dem letzten Wahlsieg der Gaullisten einer lähmenden Resignation bei den Aktivisten des Widerstandes gewichen. Die Gruppe um Bidault und den ehemaligen Minister Jacques S o u s t e 11 e, die ihre Aktivität auf die Bekämpfung des Regimes mit geistigen und politischen Mitteln beschränkte und sich nicht in sichtbarer Form mit den Bombenlegern und Attentätern identifizierte — Mord und Totschlag war mit ihrer Formation des College de France und der ficole Normale Superieure unvereinbar — war im letzten Entwicklungsstadium in den Augen der zur aktiven Rebellion entschlossenen Fallschirmjäger und ehemaligen Fremdenlegionäre praktisch isoliert. Auch Oberst Argoud, dem man noch vor zehn Jahren eine glänzende Karriere an der Spitze der französischen Armee prophezeit hatte, kam bei den Landsknechten in den Verruf, zu intellektuell zu sein und die kostbare Zeit mit doktrinären Exposes und Operationsplänen zu verlieren.

Als nach der Verhaftung des Generals S a I a n im vergangenen Jahr die Berufung Georges Bidaults zu seinem Nachfolger an der Spitze des neugegründeten Nationalen Widerstandsrates bekannt wurde, atmete General de Gaulle erleichtert auf. Aufgeräumt erklärte er vor dem Ministerrat: „Diese Nachricht wird Sie ja wohl alle beruhigen!“ Die spätere Entwicklung rechtfertigte den Optimismus des französischen Staatspräsidenten, denn der historische Theoretiker und hoffnungslose Illusionist Bidault, der vornehmlich seinen eigenen Entschluß vor der Welt zu rechtfertigen suchte, war nicht dazu angetan, den Bestand der Fünften Republik ernsthaft zu gefährden. Im In- und Ausland blieb das Echo auf seine durch Presse und Rundfunk verbreiteten Anklagen gering und ohne die erhoffte Durchschlagskraft. De Gaulle erblickte in dieser Aktivität nur Nadelstiche eines „Politikers auf verlorenem Posten“; und in Kreisen, die der Regierung nahestanden, sprach man, teils mit gespieltem, teils echtem Bedauern, vom pathologischen Ehrgeiz eines körperlich und seelisch gebrochenen Mannes.

Wer ist geisteskrank?

Der Verfasser dieser Zeilen hat Georges Bidault in den Jahren 1961 und 1962 bis kurz vor seinem Verschwinden aus Paris (März 1962) mehrfach besucht. Bidault bewohnte eine Villa auf einem Hügel von Saint Cloud, unmittelbar an der Straßenabzweigung nach Versailles undRueil-Malmaison. Das kleine zweistöckige Haus in der ländlichen Rue Traver-siere mutete wie ein verwunschenes Schloß an, und die drei oder vier mit Maschinenpistolen ausgerüsteten Gendarmen, die im Garten patroullierten, ließen nicht klar erkennen, ob sie hier als Leibgarde fungierten oder einen Gefangenen bewachten. Der Hausherr, der damals noch in der parlamentarischen Opposition recht aktiv war, machte sich mit gespielter Ironie über seine Bewacher lustig. Bis zum Beginn des Jahres 1962 zeigte er eine souveräne Haltung. Er war davon überzeugt, daß de Gaulle in wenigen Wochen stürzen würde, auch ohne Zutun der OAS. Die Franzosen würden erkennen, daß sie von einem „Geisteskranken“ regiert würden. Auf die Frage, ob es ihm mit dieser Charakteristik ernst sei, erwiderte er leidenschaftlich:

Was Bidault von de Gaulle denkt

.Jawohl, er ist geisteskrank. Er kört Stimmen und hat Visionen. Er hält sich für die Reinkarnation der Jeanne d'Arc. Er glaubt, daß ihn der Himmel dazu erkoren habe, Frankreich zu neuer Größe emporzuführen. In unserer Geschichte gibt es nur eine Parallele zu dieser Erscheinung: das ist Karl X., dessen geistige Umnachtung allzuspät offenbar wurde. Als sich der König 1830 auf das Schloß ww Saint Cloud zurückgezogen hatte, standen Wachen auf dem Turm, die durch Femrohre die Vorgänge in Paris beobachteten. Eines Tages kam aufgeregt ein Turmwächter zu ihm gelaufen, um ihm die Hissung der Trikolore auf dem Louvre zu melden. Dies ließ jedoch den König ungerührt. Er lächelte nur und bemerkte: ,Pol (er meinte Polignac) ist heute nacht die Jungfrau im Traum erschienen. Das ist für mich ein Beweis, daß uns nichts passieren kann!' — Ich könnte Ihnen Dutzende von Symptomen nennen, die den Wahnsinn unseres heutigen Souveräns unter Beweis stellen. So hat er beispielsweise .socA vor kurzem einem Minister, der ihm sorgenvoll überyi die' Gefähr von Streiks, sozialen Unruhen und inflationären Entwicklungen berichtete, die erstaunliche Antwort gegeben: dies alles spielte keine Rolle. In wenigen Monaten werde der Krieg ausbrechen, und dann würden sich all diese Probleme von selbst lösen. Vor Monaten hat er schon einmal wütend mit der Faust auf den Tisch geschlagen und ausgerufen: ,Man kann nicht mehr regieren! Es fehlt uns ein Krieg'.' Ich kann es einfach nicht verstehen, wieso mein alter Freund Adenauer den deutschfreundlichen Erklärungen de Gaulles vertrauen kann! M i r gegenüber hat er jahrelang die entgegengesetzte Meinung vertreten.“

„Herr Präsident, Sie waren lange Zeit der engste Mitarbeiter des heutigen Staatspräsidenten. Hat sich denn bei ihm, nach Ihrer Überzeugung, eine grundlegende Änderung vollzogen?“

Bidault: „Ich habe ihn schon immer für pathologisch gehalten. Sein Zustand hat sich freilich seit einigen Jahren entschieden verschlimmert.“

Der kranke Löwe

Man sprach damals in Paris in oppositionellen Kreisen vielfach von einer Ablösung de Gaulles durch An-toine P i n a y. Auf die Frage, ob Bidault an die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit Pinay glaube, erwiderte er sit Nachdruck: „Nur unter der Bedingung, daß ich an der Spitze der Regierung stehe!“ Dies sagte Georges Bidault zu Beginn des Jahres 1962.

Ende Februar oder Anfang März 1962 besuchte der Verfasser Bidault zum letztenmal. Damals schien er um Jahre gealtert und war kaum wiederzuerkennen. Er saß, mit einem dicken

Schlafrock angetan, inmitten von Büchern, die stapelweise den Fußboden seines Arbeitszimmers bedeckten, zusammengekauert und fröstelnd vor einem elektrischen öfchen. Seine Stimme war so leise, daß man ihn kaum verstehen konnte. Nur der kalte Haß gegen de Gaulle schien ihn aufrecht zu halten, sein Selbstbewußtsein und sein Optimismus war jedoch gebrochen. Er sprach ernsthaft davon, daß ihm de Gaulle nach dem Leben trachte und der Kabinettschef de Innenministers Frey, Sanguinetti (Alexandre Sanguinetti ist heute UNR-Abgeordneter in der Nationalversammlung, er gilt als der erfolgreichste Bekämpfer der Geheimarmee) seine Ermordung wahrmachen würde, wenn er nicht rechtzeitig das Land verlasse. Bidault wirkte so müde und gebrochen, daß sein Wiedererscheinen als Exponent der französischen Politik, in welchem Rahmen auch immer, unvorstellbar schien.

Alkohol und Morphium

Einige Tage später erzählte der Verfasser seine Beobachtungen dem ehemaligen Ministerpräsidenten Men-des-France, und dieser bestätigte die in Paris umlaufende Überzeugung, daß Bidault ein hoffnungslos „pathologischer Fall“ sei. „Man braucht nicht lange nach einer Erklärung dieses Phänomens zu suchen“, sagte Men-des-France. „Als Bidault während der deutschen Besatzung an exponierter Stelle stand, litt er außerordentlich unter der Angst, von der Gestapo aufgespürt und verhaftet zu werden. Diese Tatsache vermindert keineswegs seine Leistung in der Resistance, im Gegenteil.' Er bekämpfte die Todesangst mit einem Überkonsum von Alkohol und — als dies nicht mehr ausreichte — schließlich mit Drogen. Alkohol und Morphium haben seine physischen und psychischen Kräfte untergraben. Sie haben Zwangsvorstellungen geweckt, die im Verfolgungswahn gipfelten. Charakteristisch für solche Fälle ist, daß sie andere für geisteskrank halten. Heute ist er ein schwerkranker Mann. Seine Rückkehr auf die politische Bühne ist völlig ausgeschlossen.“

Diese Worte des ehemaligen Ministerpräsidenten' Mendes-France be-; leuchten die-ganze Tragik, die dem Fall Bidault anhaftet: Sie erklären dte pathologische Maßlosigkeit des Hasses und der Selbstüberschätzung und die Tatsache, daß ausgerechnet ein Historiker nicht einzusehen vermag, daß die Geschichte über ihn hinweggeschritten ist. Man sollte dieser Tragik mit menschlichem Verständnis begegnen.

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