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Gesprengte Tore im Verbotenen Land

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Durch viele hunderte Jahre hat die Natur die Geheimnisse des Landes um das Quellengebiet des Mekong und Yangtsekiang mit ihren unwegsamsten Hochgebirgen und Eiswüsten geschützt. Die düstere Romantik Tibets, seiner Landschaft und seiner Menschen haben kühne Reisende und Forscher gelockt, ohne daß es ihnen gelungen wäre, die Rätsel Tibets mehr als nur vom Rande her zu lösen. Der vor dem zweiten Weltkrieg begonnene heroische Versuch der Schweizer Mönche vom St. Bernhard, als Pioniere christlicher Wahrheit und Kultur an einer Pforte des Landes festen Fuß zu fassen, ist über schwer erkaufte Anfangserfolge nicht hinausgekommen. Nun bricht Gewalt die Schranken des Verbotenen Landes auf. Der Einmarsch von Truppen des kommunistischen Chinas, der im letzten Spätherbst die Besetzung des Landes eröffnete, bedeutet wahrscheinlich das Ende des alten Tibet, eine ungeheuerlich neue Welt stürzt über das Land des lama istischen Mönchstaates herein.

Freilich, diese Invasion chinesischer Truppen in Tibet stellt keinen Einzelfall in der Geschichte des Landes dar. Im Verlauf der letzten Jahrhunderte hatten mehrmals feindliche Heere die Grenzen Tibets überschritten und allein seit Beginn dieses Jahrhunderts war der Dalai Lama zweimal gezwungen, sich durch Flucht auf neutrales Gebiet der Gefangennahme zu entziehen. Im Jahre 1904, als ein englisches Expeditionskorps in Tibet eindrang, um das nördliche Vorfeld des damaligen indischen Imperium Englands gegen ein weiteres Vordringen russischer Kräfte zu sichern, nahm der damals regierende dreizehnte Dalai Lama, Zuflucht in Urga, der Hauptstadt der Äußeren Mongolei. Fünf Jahre später kehrte er in seine Lhassaer Residenz zurück, doch nur um bald darauf, diesmal auf Grund eines chinesischen Einmarsches, von neuem die Flucht zu ergreifen. Sein Weg führte nunmehr nach dem Süden, wo er von den Engländern mit offenen Armen aufgenommen wurde. Ein Jahr lang weilte er in dem tibetanisch-indischen Grenzort Kalimpong, um schließlich nach Abzug der chinesischen Truppen wieder im „Schneeland“ die Regierungsgewalt zu übernehmen. Anders sind die Aussichten für den ausgetriebenen vierzehnten Dalai Lama auf seine baldige Rückkehr ins „Schneeland“* Die heute in Zentralasien bestehende politische Lage unterscheidet sich grundsätzlich von allen früheren, äußerlich vielleicht ähnlich erscheinenden Gegebenheiten.

Während die zu Beginn dieses Jahrhunderts gegen Tibet gerichteten militärischen Unternehmungen der Eingliederung Tibets in die Einflußsphäre der einen oder der anderen Großmacht galt, ohne jedoch eine Änderung der einzigartigen Kultur und Sozialstruktur Tibets zu erstreben, ist nunmehr eine völlige Umwandlung dieser beiden Wesenheiten eines der Hauptziele der kommunistischen Okkupanten. Obwohl seitens der chinesischen Kommunisten immer wieder erklärt wird, der gegenwärtige Feldzug habe nur den Zweck, Tibet den Händen der „anglo-amerikanischen Imperialisten“ zu entreißen, und es sei keineswegs daran gedacht, das in Tibet die Grundlage aller Kultur bildende Religionsleben in irgendwelcher Weise zu beeinflussen, so widerlegt bereits das in den ersten Wochen der Invasion Geschehene diese Behauptung. Während man einerseits Religionsfreiheit proklamiert und die Wiedereinsetzung des aus innerpolitischen Gründen in chinesischem Exil weilenden Pantschen-Lama — des zweithöchsten Kirchenfürsten Tibets — sogar als eines der Ziele der kommunistischen „Polizeiaktion“ darstellt, geben die aus den bereits von chinesischem Militär besetzten Gebieten Tibets durchsickernden Nachrichten ein ganz anderes Bild.

Nach Vorbild der von den Russen nach dem ersten Weltkriege in der Äußeren Mongolei betriebenen Ausrottung der lamaistischen R e 1U dabei in erster Linie die Aufgabe, die Eigenwirtschaft der Arbeitersiedler in der Weise zu unterbauen, daß ihnen ein möglichst weitgehender Grad von Selbstversorgung geboten wird. Die Wirtschaftshilfen, die zu diesem Zwecke gewährt werden, bestehen in der Beistellung von Viehweiden, Saatgut, Zuchtvieh usw. Dazu kommt Wirtschaftsberatung und Wirtschaftsschulung. Ein Hilfsverein, den die Arbeiter selbst führen, ermöglicht eine verbilligte Beschaffung von allerlei Bedarfsartikeln. Es ist bekannt, daß in den letzten Jahrzehnten die Stellung des großen Grundbesitzes im Aufbau des sozialen Lebens eine sehr umstrittene ist. Meist wird dabei übersehen, daß die verschiedenen Größenordnungen im Grundbesitz jeweils eigene funktionelle Aufgaben in der Wirtschaft und in der sozialen Ordnung haben. Es wäre erfreulich, wenn es einem Wirtschaftskomplex, der im wesentlichen einen Großgrundbesitz zur Basis hat, gelänge, die Formen und Wege zu finden, der Landflucht durch Existenzsicherung seiner Angehörigen in neuer und origineller Weise Einhalt zu gebieten.

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