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Digital In Arbeit

Gewalt in der W irtsdiaft

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Die Produktivität der amerikanischen Wirtschaft steigt im Jahr durchschnittlich um 3 Prozent, der Arbeitslohn um 6 Prozent. Das heißt, der Dollar muß in seiner Kaufkraft sinken — bisher um etwa 2 Prozent jährlich, im letzten Jahre schon um 3,7 Prozent. Spätestens 1964 wird er ein Drittel der Kaufkraft von 1939 haben.

Das heißt weiter: die Arbeiter erzielen die Lohnerhöhung, die sich nur mit einem Bruchteil als Kaufkrafterhöhung auswirkt, auf Kosten anderer Volksschichten, vor allem der Farmer. Diese erhalten nur einen Bruchteil dessen, was ihre Ware dem Konsumenten wert ist, weil auf dem Wege zu ihm zuviel an Verpackungs- und Transportkosten, das heißt zu 90 Prozent an Löhnen, hinsukommt.

Wenn der Sieg der Arbeiterschichte über die anderen Volksgruppen mit natürlichen wirtschaftlichen Mitteln errungen würde, wäre dagegen wenig einzuwenden. Die Einwendungen drängen sich aber auf, sobald Mittel der Gewalt eingeschaltet werden. Die öffentliche Meinung versteht das nicht, darum stehen Gesetzgeber und Gerichte dieser Entwicklung noch plan- und ratlos gegenüber, ja fördern sie unbewußt. Eine Senatskommission hat kürzlich Material zutage gefördert, das Alarm schlug. Alle Zeitungen sind davon voll, aber kaum jemand sieht oder will sehen, wo das Uebel wirklich steckt.

Als bis zum Beginn des Jahrhunderts Arbeitgeber gewalttätige Mittel zur Stärkung von Einkommen und Macht verwendeten und den Markt durch Kartelle fälschten, wurden zur Eindämmung dieser Gefahren Gesetze geschaffen, die jetzt oft drakonisch ausgelegt werden. Aus der damaligen Zeit stammt die grundsätzliche Parteinahme für den Arbeiter in jedem Arbeitskonflikt, für den „underdog”, die gedanken- und prüfungslos auf seine Gewerkschaften ausgedehnt wird. Seither ist es populär, sich, „wo es einen Arbeitskampf gibt, immer gegen den Arbeitgeber” zu stellen. Seither hat sich aber vieles geändert. Im Kampf zwischen Gewerkschaften und Unternehmer ist der Unternehmer der „underdog” geworden.

Die Gewerkschaften streben ein Monopol an, das gefährlicher ist als jedes Kartell eines Industriezweiges: das Arbeitermonopol durch Gewerkschaftskartell, das die ganze Erzeugung und den ganzen Handel des- Landes erfassen will. Dieser Erkenntnis und der analogen Anwendung der Antikartellgesetze auf Gewerkschaften verschließt man sich unter dem Schlagwort: „Arbeit ist kein Rohmaterial!” Aber sie ist ein Produktionsfaktor; letzten Endes beruhen alle Güter und Rohmaterialien auf Arbeit, gestützt durch Kapital. Ein Kartell der Arbeit fälscht den Markt ebenso wie ein Kartell der Unternehmer. Gewerkschaften, die auf „closed shop”, auf „union shop”, also auf Zwangsmitglieder ausgehen; oder direkten Zwang, physischen bis zum Bombenattentat, wirtschaftlichen bis zum Boykott, ausüben, um zum Beitritt zu zwingen, um den Außenseiter brotlos zu machen, begehen eine soziale Todsünde.

Die öffentliche Meinung der Vereinigten Staaten ist endlich durch die von der Senatskommission aufgedeckten Uebelstände unruhig geworden, ohne aber zu verstehen, um was es sich wirklich handelt. Die durch die mißbräuchliche Verwendung von Gewerkschaftsgeldern erzeugte Aufregung richtet sich nur gegen ein Symptom, nicht gegen das Uebel selbst.

Das Uebel ist, daß die Gewerkschaften sich zu einem Staat im Staate ausgebildet haben, die die Arbeiter als ihre Leibeigenen behandeln. Sie erkämpfen ihnen Vorteile, verlangen aber dafür bedingungslose Gefolgschaft — ganz wie einst die Ritter den Bauern Schutz gegen Preisgabe der Freiheit verkauften. Sie wollen immer mehr Leibeigene in ihren Dienst pressen. Sie maßen sich an, ins Privatleben einzugreifen, ihnen vorzuschreiben, wie sie zu leben, was sie zu lesen, wo sie zu kaufen, wen sie zu wählen haben; einėn eigenen Sittenkodex aufzustellen, in dem Treue und Gehorsam zur Gewerkschaft obenan, über allen Verpflichtungen gegen Staat und Gesellschaft stehen. Unbotmäßigkeit oder Kritik gegen die Führer wird als Delikt mit Geldstrafen oder mit Ausschluß bestraft, der im Arbeitskartell Brotlosigkeit bedeutet — und bedeuten soll. Keine Steuer wird so willkürlich festgesetzt und so drakonisch, ohne Rücksicht auf Existenzminimum und pfandfreie Güter, eingetrieben wie die verschiedenen Gewerkschaftsbeiträge.

Durch die Zwangsausdehnung der Mitgliedschaft haben die Gewerkschaften in kurzer Zeit ungeheure Vermögen angesammelt, wie hier schon einmal ausgeführt wurde1. Sie sind in den letzten zehn Jahren auf über 12 Milliarden Dollar, also auf etwa 800 Dollar pro Kopf der Mitglieder, die Wohlfahrtsfonds auf über 25 Milliarden angewachsen. Diese Vermögensmassen stehen in der kontrollosen Verwaltung der Führer und ihrer Gefolgsmannen, die sich gegenseitig Vertrauen und Verträge votieren. Selbst wo Sicherungen in die Satzungen eingebaut sind, gelten sie nur, wenn die Führer sich ihnen da oder dort freiwillig unterwerfen. Sonst wird der Arbeiter, der diese Bestimmungen anruft, sehr bald mit physischer Gewalt oder gewerkschaftlichem Druck an die damit verbundenen Gefahren erinnert, so daß es ihm oder einem anderen nicht so bald einfällt, es ein zweitesmal zu versuchen.

Nun müßten die Gewerkschaftsführer Engel sein, wenn sie eine solche unbeschränkte Macht nicht mißbrauchen würden. Aber sie sind es nicht und daher mißbrauchen sie diese Macht mit einer geradezu kindlichen Unbefangenheit.

Diese Unbefangenheit trat in der Senatsuntersuchung grell zutage. Arbeiterführer und ihre Gefolgschaft sind tief verletzt, daß man sich darum zu kümmern wagt, daß der eine willkürlich Hunderttausende von Gewerkschaftsgeldern für seine Privatzwecke, von Seidenhemden, teuren Sportausrüstungen bis zur Ausschmückung seines Heims — das ihm die Gewerkschaft teuer abgekauft und dann unentgeltlich zur Verfügung gestellt hat — verwendet; daß der andere daraus einen Rennstall unterhält; daß sie mit Gewerkschaftsgeldern Privatgeschäfte machen, die ihnen Millionen eintragen, wie etwa der Ankauf einer Benzinstation gegenüber dem Gewerkschaftspalast, dessen Benützung den Mitgliedern „empfohlen” wird. „Wir werden der Gewerkschaft jeden Cent zurückzahlen”, ist ihre ganze Verteidigung, und därüber hinaus die Verweigerung jeder Auskunft, „weil sie ihnen strafrechtliche Nachteile zuziehen könnte”. Einer brüstet sich gar: „I c h werde eine Million Dollar (aus Gewerkschaftsvermögen) für eine öffentliche Propaganda aufwenden, um meine Unschuld zu beweisen” — obwohl er das billiger durch Beantwortung der Fragen der Senätskommission hätte tun können. Aber seine Funktionäre decken ihn, versichern ihn ihres Vertrauens, versenden Telegramme an etwaige Zeugen, in denen diesen die Verweigerung der Aussage wegen „Unzuständigkeit” der Senatskommission, in den Augiasstall hineinzuleuchten oder wegen „Selbstbeschuldigung” nahegelegt wird.

Man findet es nicht allzu verwunderlich, wenn ein Haus, das mit gewerkschaftäfreier Arbeit errichtet werden sollte, mit Bomben in die Luft gesprengt wird — der Bauherr war ja schließlich gewarnt worden! Der Strafuntersuchung wurde dann ein Sündenbock ausgeliefert, der nur durch die Energie einer Frau gerettet wurde, die mit einem Sprechgerät die Vereinbarungen zwischen ihm und seinen Bestechern festgehalten hatte.

Auch die Gerichte sind nicht ganz unschuldig. Hat doch z. B. der Oberste Gerichtshof entschieden, daß einer Gewerkschaft, die mit Gewalt Lastwagen an einer Stadtgrenze aufhält und die Lenker zwingt, eine Begleitperson mitzunehmen und zu bezahlen — oder nur zu bezahlen und nicht mitzunehmen! —, nichts vorzuwerfen sei, weil es sich um einen „Arbeitskonflikt” handelte. Kurz, im Arbeitswesen herrscht, teils trotz papierener Gesetze, teils dank ihrer strengen Auslegung, Rechtlosigkeit.

Am bedenklichsten ist aber die Teilnahmslosigkeit vieler durch ihre Führer geschädigten Arbeiter. Was macht es denn schon aus, wenn jene eine Million unter sich verteilen, wenn sie den Mitgliedern zehn Millionen in Lohnerhöhungen verschafft haben? Niemand denkt daran, daß diese Beute den Konsumenten, also dem ganzen Volke, abgenommen wurde.

Daß es also Führer gibt, die die ihnen überlassene Macht und die anverftauten Riesenvermögen mißbrauchen — bei manchen Gewerkschaften gelegentlich, bei anderen typisch, bei manchen nie — ist also nur Symptom, nicht Wesen der Krankheit. Es ist daher fraglich, ob die Aufdeckung finanzieller Mißbräuche die Heilung herbeiführen wird. Selbst jene Volksvertreter, die sich an der Untersuchung beteiligen, wissen kaum, um was es wirklich geht, und wollen auch nicht zuviel von ihrer Popularität einbüßen. Sie werden sich daher leicht beruhigen, wenn die großen Gewerkschaften versprechen, .Ordnung im eigenen Hause zu schaffen”, d. h. den ärgsten Mißbräuchen nicht nur papierene Mauern entgegenzustellen; sie werden sich dadurch abhalten lassen, wirksame Gesetze zu schaffen, die die Wurzeln des Giftbaums treffen. Solange man nicht die Gewalt aus dem Hause der Arbeit verjagt, Gewalt gegen die Arbeiter, Gewalt gegen die Arbeitgeber, Gewalt gegen die Konsumenten, ist keine Besserung zu erwarten. Das aber erfordert viel Mut, um den Drohungen der gewaltigen Gewerkschaften zu trotzen, und viel Mühe, um der noch blinden, kaum blinzelnden Volksmeinung in den Vereinigten Staaten die Augen zu öffnen.

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