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Gibt es einen Dialog!

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Ob Sowjetbürger in ein Kloster gehen können? Natürlich könnten sie es, niemand hindere sie daran. Wir erinnern uns, daß man uns in Kiew gesagt hatte, dem Nonnenkloster wäre es verboten, Novizinnen aufzunehmen. Als wir davon sprechen, meint Herr Makarzew, vielleicht wäre das Kloster in Kiew zu klein oder auf einem ungünstigen Gelände, vielleicht würden die Nonnen später einmal in ein anderes Kloster versetzt werden. Auch das Kloster zahle keine Steuern, sondern nur eine Versicherungsgebühr, die von der Größe des Gebäudes abhänge. Zahlen auch die atheistischen Organisationen für ihre Gebäude Steuern? Nein, denn sie seien in staatlichen Gebäuden untergebracht.

Wie steht es mit dem Dialog zwischen Christentum und Marxismus? Warum waren bei den Tagungen der Paulus-Gesellschaft bisher noch niemals Vertreter aus der Sowjetunion, Gläubige oder Nichtgläubige? Herr Makarzew weicht ein wenig aus. Wir müßten uns mit dieser Frage an die religiösen Institutionen und an das Institut für Atheismus wenden. Er selbst halte jedes Gespräch, das dem Frieden diene, für nützlich.

Wae steht es mit den Katholiken in der Sowjetunion? Was deren Lage betreffe, so meint Herr Makarzew, so müssen wir uns, um genauere Auskünfte zu erhalten, an die betreffenden katholischen Organisationen wenden. Die Katholiken leben hauptsächlich in den baltischen Staaten, dort gebe es sechs Diözesen und zwei . katholische Priesterseminare. Wie wir wüßten, seien dort auch zwei katholische Bischöfe, die erst vor kurzem bei einer Sitzung der Kommission zur Reform des kirchlichen Gesetzbuches in Rom waren. Hier zeigte sich Herr Makarzew sehr informiert. Als wir ihn fragten, warum es bei sechs Diözesen nur zwei Bischöfe gebe, meinte er, diese Sache sei Angelegenheit des Vatikans. Der Staat werde den Vatikan nicht hindern, auch für andere Diözesen Bischöfe zu ernennen.

Was ist mit den Bischöfen der anderen Diözesen geschehen? Hier wurde Herr Makarzew etwas ernster und sagte, sie hätten es an Loyalität gegenüber dem Sowjetstaat mangeln lassen. „Wie viele von ihnen sind noch im Gefängnis“? Eine Sekunde verschwand das freundliche Lächeln aus seinen Zügen. „Soviel ich weiß, keiner“, war die Antwort.

Dieses Gespräch war eines der zentralen Ergebnisse unserer Reise. Wir sind darauf in unseren Unterhaltungen, am Abend nach Tisch oder bei den Autobusfahrten in Moskau und Leningrad, immer wieder zurückgekommen.

Das Ergebnis der Reise: Darnach wird man uns gewiß fragen. Warum seid ihr hinübergefahren und was ist bei eurer Reise herausgekommen? Was herauskommt, hängt immer von dem ab, was man hineinsteckt. Das Ergebnis kann nur in der Gegenüberstellung zur Erwartung gewertet werden. Wir haben in acht Tagen nicht den Schlüssel zum Verständnis des russischen Volkes, der orthodoxen Kirche, der Religionspolitik des sowjetischen Staates gefunden. Wir haben keinen neuen Weg geöffnet, um Schwierigkeiten zu beseitigen, keine neue Phase der Entspannung in die Wege geleitet, wir bringen keinen Vertrag nach Hause, wir haben gewiß keine historische Tat gesetzt.

Aber konnten wir das selbst, konnte das ehrlicherweise jemand von uns erwarten? Was wir an Fakten erfahren haben, haben wir zum Teil wahrscheinlich schon früher gewußt, zumindest jene von uns, die sich mit den religiösen Verhältnissen in der Sowjetunion vertraut gemacht haben, aus Büchern und aus Zeitschriften. Aber es ist doch ein Unterschied, ob man etwas aus Büchern weiß oder aus eigener Anschauung.

Wir sind nicht als „Spähtrupp“ eines kalten, ideologischen Krieges ausgezogen. Erfolge in dieser Hinsicht können wir daher nicht aufweisen. Wir haben niemanden bekehrt, wir haben auch keine geistigen Minen gelegt, wir sind gewiß auch nicht „umgedreht“ worden. Unter unseren Souvenirs aus Rußland befindet sich auch keine rosarote Brille.

Die gläubigen Menschen, Religion und Kirche, leben heute in der Sowjetunion unter Verhältnissen, die unter all den verschiedenen Formen der Existenz des Christentums nach der Katakombenzeit einen Extremfall darstellen. Die Kirche wird in Rußland heute gewiß nicht blutig verfolgt, aber sie wird restlos abgelehnt, vom Staat, von der Politik, von der von dieser geformten Öffentlichkeit. Geduldet wird der religiöse Glaube des einzelnen Menschen und ein Mindestmaß an religiösen Einrichtungen, in denen sich dieser Glaube manifestieren kann, solange es eben „noch“ Menschen gibt, die religiösen Vorstellungen anhängen. Diese Duldung, dieses Mindestmaß an Kultfreiheit, wird in der Sowjetunion als Religionsfreiheit betrachtet.

Der Kirche wird aber jedes Recht abgesprochen, bei der Gestaltung der Zukunft, der Zukunft der Gesellschaft und der Zukunft der Menschen, auch nur ein Wort mitzureden. Daß vielfach Kirchen mit künstlerischem Wert in Museen umgewandelt werden, haben wir weniger tragisch gefunden als die Tatsache, daß keine neuen Kirchen gebaut werden können. Es gibt keinen Dialog zwischen Marxismus und Christentum in der Sowjetunion. Die orthodoxe Kirche kann diesen Dialog nicht führen. Oer Staat hat kein Interesse an einem Dialog, der die Religion als Gesprächspartner aufwerten würde. Wir haben nichts von einer Entspannung, von einer Auflockerung im Verhältnis von Staat und Kirche gespürt. Wir mußten im Gegenteil erfahren, daß die Entstalinisierung sich für die Kirche nicht erleichternd, sondern in vielen Fällen erschwerend ausgewirkt hat, da manche Zugeständnisse, die Stalin während des Krieges der Kirche gewährte, langsam wieder rückgängig gemacht wurden.

Hat der Glaube, hat die Kirche in der Sowjetunion eine Chance, zu überleben? Wenn man für die Existenz des Christentum* die bei uns gebräuchlichen Formen gesellschaftlicher und staatlicher Förderung, Anerkennung oder zumindest freundlicher Beachtung als unerläßliche Voraussetzung betrachtet, kann man an einem solchen Uberleben zweifeln, kann man die Chance als nicht gegeben betrachten. Aber sind das wirklich die einzig möglichen Chancen? Die gläubigen Menschen in Rußland scheinen solche Zweifel nicht zu haben. Sie glauben an Christus, der nicht nur das Haupt der Kirche, sondern auch Herr der Geschichte ist.

In dem großen Atheistenmuseu der Kasan-Kathedrale von Leningrad steht in einem der Seitenschiffe als Mittel- und Blickpunkt eine lebensgroße Skulptur: eine verhärmte, erschöpfte Frau trägt auf ihrem Rücken ein großes, schweres Kreuz, unter dessen Last sie fast zusammenbricht. Das russische Volk sollte diese Gestalt darstellen, so wurde uns erklärt, das jahrhundertelang dieses Kreuz des Aberglaubens, der Finsternis und der Pfaffenherrschaft getragen habe. Wir haben es anders gesehen. Wir sind lange vor diesem Kreuz gestanden. „Für die Heiden eine Torheit“, so sagt die Heilige Schrift. Für den Christen aber immer auch das Zeichen der Gnade, das Zeichen der Hoffnung, das Zeichen der

Erlösung. Die russischen Christen tragen heute ein schweres Kreuz. Aber es ist das Kreuz! Auch aus einem Atheistenmuseum läßt es sich nicht verbannen, dieses Zeichen der Hoffnung, der Gnade und der Erlösung.

Mit diesem Bild kehren wir aus Rußland zurück, es wird uns stärker in Erinnerung bleiben als alles andere, was wir gesehen haben. Möge das Kreuz als Zeichen der Herrschaft auf den in Museen verwandelten Kremlkirchen vom fünfzackigen Sowjetstern überragt werden. Das Kreuz als Zeichen der Macht ist in Rußland geschwunden. Das Kreuz als Zeichen des Leides und der Erlösung bleibt.

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