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Glaube in einer ehrfurchtslosen Welt

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Wenn das Kirchenvolks-Be-gehren iiber eine halbe Million Unterschriften erhielt, ist das auch ein Zeichen dafiir, daB ein wirkliches Interesse an Kirche und kirchlichen Lehren besteht? Waren alle, die unterschrieben haben, so en-gagiert wie die Betreiber? Jedenfalls ging es bei dem Volksbegehren um organisatorische Fragen, nicht um eine Auseinandersetzung mit dem christlichen Traditionsgut. Die evan-gelischen Kirchen, in denen all das verwirklicht ist, was das Volksbegehren wiinschte, haben jedenfalls die gleichen Schwierigkeiten wie wir. Das ist in meinen Augen der nicht zu widerlegende Beweis dafiir, daB die im Volksbegehren angeschnittenen Probleme peripher sind und mit (wenn auch wiinschenswerten) Strukturveranderungen nicht viel ge-tan ist. Die Krise unserer Zeit liegt tie-fer, sie liegt in den Wertvorstellungen unserer Zeit, die man sakular, besser

noch ehrfurchtslos, nennt. Hier muB die Kirche ihren Weg finden, um neu-erlich richtunggebend in unserer Zeit wirksam sein zu konnen.

Nun setzen die Denkstrukturen unserer Zeit ein vollig anderes Weltbild voraus als das von Antike und Mittel-alter, da die Bibel entstanden ist und die meisten Dogmen formuliert wurden. Wunderberichte zum Beispiel waren iiberall verbreitet und rein li-terarisch gesehen sind sie einander ahnlich, ob sie aus dem Heidentum, dem Judentum, dem Christentum oder dem Islam stammen. Immer und iiberall sollten die Wunder etwas aus-sagen iiber den Wundertater und den, an dem das Wunder geschah. Sie dienten oft zur Illustration eines Glaubensinhaltes.

Problem: der real auferstandene Jesus

Heute aber ist man Wunderberichten gegeniiber mehr als skeptisch, und auch das kirchliche Lehramt tibt vor-sichtige Zurtickhaltung. Begriffe wie Auferstehung, Himmelfahrt oder Jungfrauengeburt finden sich nicht mehr im profanen Wortschatz unserer Tage, sondern sind dem inner-kirchlich liturgischen Gebrauch vor-behalten. Der historische Charakter der mit diesen Begriff en verbundenen christlichen Heilslehren wird daher verstandlicher- (aber nicht richtiger-) weise relativiert. Das heiBt mit ande-ren Worten in aller Scharfe: Uns droht die ideologische Basis verlorenzuge-hen, wenn wir nicht Moglichkeiten der Hermeneutik finden, sie wieder in den Griff zu bekommen.

Die weithin literarkritischen Fra-gestellungen, die die Exegese des Al-ten und des Neuen Testaments derzeit beherrschen, konnen uns iiber die

theologische Absicht eines biblischen Traditionsstiicks Auskunft erteilen. Damit ist sehr viel getan, wenn zum Beispiel aus der Emmausjiingerperi-kope deutlich wird, daB der auferstandene Herr in der Eucharistie ge-genwartig ist. Fiir viele Zeitgenossen aber beginnt schon die Schwierigkeit beim Glauben an den real auferstan-denen Christus, und man versucht auch diese zentrale Aussage des christ-

lichen Glaubens zu relativieren. Rudolf Bultmann meinte, daB Christus in das Kerygma, das heiBt in den ver-kiindeten Glauben, auferstanden sei, und nach Willi Marxsen zum Beispiel heiBt Auferstehung Jesu nicht mehr, als daB die Sache Jesu auch nach des-sen Kreuzestod weitergehe. Kein Wunder also, daB die Probleme im evangelischen Baum nicht geringer sind als bei uns, wenn man die Heils-ereignisse der Bibel nicht auch als Tatsachen versteht, die weltbildunab-hangig als solche existieren. Wir miissen also mit den Mitteln, die uns heute zur Verfiigung stehen - ich denke da in erster Linie an Ergebnisse der Archaologie, der Kenntnis der alten Geschichte und der Beligionsge-schichte des Judentums - die Frage nach dem „fundamentum in re", das heiBt der geschichtlichen Tatsach-lichkeit, stellen, die in den der Exegese gelaufigen literarischen Gattungen vermittelt wurde.

Dogmen in heutige Sprache umsetzen

Dabei scheint mir eine Uberlegung notwendig. Wenn Aussagen als heils-relevant nur in der in der Antike ge-brauchlichen Formel-und Bilderspra-che vermittelt werden konnten, um damals als solche verstanden zu werden, dann trifft das auch im vollen AusmaB auf Erefgnisse zu, die sich tatsachlich zugetragen haben. Auch diese konnten nur durch die herme-neutischen Moglichkeiten der Zeit ihrer Entstehung berichtet werden. Das heiBt mit aller Konsequenz: Eine nicht historische, zum Beispiel legendare, Vermittlung sagt noch nicht eo ipso aus, daB auch das Vermittelte nicht hi-storisch ware. Nur ein Beispiel: Die beiden Kindheitsgeschichten nach Matthaus und Lukas konnen auf gar keinen Fall iiber einen Leisten ge-schlagen werden, sie sind voll von theologischen Aussagen, die Matthaus oder Lukas damit machen wollten. Die Aussage der Jungfrauengeburt wird in beiden Evangelien vollkom-men verschieden voneinander ver-wertet. Das ist aber doch wohl auch ein sicherer Beweis dafiir, daB diese Aussage alter ist als die beiden Kindheitsgeschichten und unabhangig von die-sen in den christlichen Gemeinden be-kannt gewesen sein muBte.

Schwerer noch als die Aussagen der Bibel, die letztendlich doch auf eine solide historische Basis zuriickgefiihrt werden konnen, ist es, die aus der Antike stammenden Formulierungen der Dogmen in heutige Sprache her-meneutisch relevant umzusetzen. Dies ist aber notwendig, wenn wir nicht in der kirchlichen Liturgie eine Sprache sprechen wollen, deren In-halte fiir uns auBerhalb der Kirche nichts bedeuten. Hier stoBen wir an die ideologische Basis unseres Glaubens. Wenn hier der richtige Weg ge-

funden wird, wird - wie ich meine -die Krise iiberwunden sein. Dann wird sich zeigen, daB unsere Kirche nicht nur aus den 144.000 Gerechten besteht, auf die uns die Johannes Apo-kalypse reduziert, sondern wieder ein Volk Gottes wird, das dem Verkiindi-gungsgebot der letzten beiden Verse des Matthaus-Evangeliums gerecht wird. Dann wird wieder die rechte Ehrfurcht vor den Giitern unserer Tradition bestehen, in der wir der Herausforderung des Sakularismus unserer Zeit gewachsen sein werden. In diesem Sinn konnte ich den Aka-demischen Senat dazu gewinnen, durch die Wiener Internationalen Hochschulkurse eine Vortragsreihe veranstalten zu lassen zum Thema „ Glaube in einer ehrfurchtslosen Welt".

Der Autor ist

emeritierter Universitdtsprofessorfiir Judaistik, Direktor der Wiener Internationalen Hochschulkurse und Prdsi-dent des Osterreichischen Katholischen Bildungswerks.

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