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Glauben — Dienen — Danken

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Der 79. Deutsche Katholikentag fand in Hannover statt, vom 22. bis 26. August 1962. Die Ortswahl war fast ein Wagnis. Die Halbmillionenstadt hat sich als Ort mit einer hochmodernen Industriemesse Weltruf verschafft. Eigentlich ist die ganze Stadt ein Messegelände. In den hektisch flutenden Verkehrsraum wurde ein Fest-und Bekenntnisraum hineingebaut. Niedersachsen-Stadion, der gewaltige Schützenplatz, dessen Pappelrondiell in der Mitte zur Altarinsel ausgebaut wurde, Messehallen verwandelten sich in Stätten eines tief ergreifenden Kultes. Es gab keine Kathedrar len, in denen „Kirche“ schon durch die sakrale Architektur gegeben ist. Die aus den Trümmern des Krieges wiedererstandene Kirche St. Marien, ein sehr sachlicher Bau, birgt das Grab Dr. Ludwig Windthorsts. In aller Nüchternheit wirkt sie wie ein Schrein deutschen Schicksals. Die Propstei-kirche St. Clemens erinnert an die fürstliche Bedeutung der Stadt. Es sind Bauten für Diasporagemeinden. Nun sollte sich hier ein Katholikentag entfalten, der das darstellt, was man unter „deutschem Katholizismus“ der Gegenwart verstehen mag. Die Losung war rein religiös begründet: „Glauben — Danken — Dienen“. Würde sich der religiöse Auftrag, der aus dieser Losung spricht, als Wirklichkeit gestalten und erleben lassen? Der Auftrag wurde erfüllt. Die Macht, mit der die Losung zur gestaltenden Kraft wurde, wuchs an der Nüchternheit der Umgebung.

Die Losung „Glaube“ kam in ihrer ganzen inneren Spannung zum Tragen: von den Gottesdiensten bis zur Problematik glaubensmäßiger Haltung in den Situationen unserer Gesellschaft. Die Gottesdienste erhielten durch Kardinäle und Bischöfe ein wahrhaft apQs,tßl|schgs Charisma. , Man hatte nach den Erfahrungen früherer Kathor ntage bei der Pontifikalmesse am Sonntag^ dem Haupttag, “'.mit etwa zehn Prozent Kommunikanten gerechnet. Das wären erwartungsgemäß bei 200.000 Teilnehmern 20.000 gewesen. Es drängten sich aber nun weit mehr als 50.000 zum Tisch des Herrn. Die Hostien reichten nicht aus. An die Pontifikalmesse mußte auf dem Festplatz sofort eine zweite Kommunionmesse anschließen. Glaubensgeist der Diaspora. Am Abend vorher hatte im Niedersachsen-Stadion zu nächtlicher Stunde eine Vigilfeier stattgefunden. Der kultische Teil dieser Feier begann mit einer Feuerweihe, die Erzbischof Jaeger von Paderborn vollzog. Feierliche Prozessionen trugen das Evangeliar, den Kelch und das Kreuz herein, die das Geschehen auf dem Altar versinnbilden. Lichtträger trugen das Licht vom Altar zu den in der Dunkelheit stehenden Gläubigen. Überwältigend war der Anblick, als nun mehr als 40.000 Kerzen, von der Mitte bis zu den hohen Rändern des Stadions aufsteigend, aufflammten. Ein Pfimgsterlebnis in der Wirklichkeit einer sonst verdunkelten Welt. Auch dies war nicht etwa nur ein Sturm der Gefühle. Die Vigil galt dem heraufziehenden Morgen des bevorstehenden Weltkonzils.

In der Form des Katholikentages gab es Überliefertes, Neues und Überraschendes. Nicht im offiziellen Programm verzeichnet war die persönliche Feier des goldenen Priesterjubiläums von Kurienkardinal Augustinus Bea SJ. Sie fand in der Marienkirche im Kreis der „Fides Romana“ statt. In seinem Lebensrückblick sprach der Kardinal von der überwältigenden Würde und Bürde des Priestertums.Als er im Blick auf die göttliche Führung von der „persönlichen Un-würdigkeit“ sprach, empfand man jene Erschütterung, wie sie uns in der Kirchengeschichte aus dem Frühling des ersten Jahrtausends berichtet wird. Dieser Kardinal, dem das Volk den Namen „Kardinal der .-Einheit“., gegeben hat, erkennt • seine „weltumfassende Aafg_*be>Vals einen Dienst: Nervus servorum Dei. Was hier ausstrahlt, ist der Geist, in dem der Primat des Papstes in der Gemeinschaft des Konzils erscheinen wird. In der stilvoll verlaufenen Akademiefeier für Niels Stensen (1638 bis 1686), den erfinderischen Anatomen und Geologen, den Konvertiten und Bischof von Hannover und der nördlichen Diaspora, stellte er die Gestalt des großen Mannes als leuchtendes Vorbild für die Einheitsbestrebungen in der Christenheit der Gegenwart dar. Unter der Zuhörerschaft befanden sich bekannte Theologen und Kirchenmänner der lutherischen Kirche. Hannover ist ja der geistige Mittelpunkt des Luthertums in Westdeutschland. Ein Vortrag über Niels Stensen hätte verletzend wirken können. Kardinal Bea tat, was den Erfolg seiner bisherigen Arbeiten verbürgte — er hielt sich an die Quellen.

Am Beispiel Stensens zeigte er, wie diesen Mann gerade die erlebte Tragik der Spaltung zur katholischen Kirche hinführte. Das Befreiende in der Führung der Einigungsbestrebungen durch den Präsidenten des Päpstlichen Sekretariats für die Einheit der Christen ist der starke Wille, die Gespräche aus der Sackgasse der reinen Kontroverstheologie herauszuführen und die Einigung auf den Grund der religiösen Gesinnung zu stellen. Wörtlich mahnte Bea: „Wenn sie nicht auf diesem Grunde ruht, wenn sie nicht von echtem und tief religiösem Geist getragen ist, wenn sie nicht mit religiösen Beweggründen und Mitteln arbeitet, dann fehlt ihr die Seele, das Besondere, was sie von allen anderen heutigen Einheitsbestrebungen unterscheidet und sie hoch emporhebt über alle anderen, auch noch so berechtigten Einheitsbewegungen, so wie die übernatürliche, göttliche Gnadenordnung hoch über allen menschlichen Ordnungen steht.

Mit ..der klaren Erkenntnis der Wahrheit“ soll sich das theologische Gespräch verbinden'. Wieder ein entscheidender Satz: „Hier kommt die große Aufgabe des theologischen Gesprächs, das besonders nach dem Konzil dringend nötig sein wird. Da gilt es, den wesentlichen Sinn der

Glaubenslehre festzustellen an Hand einer ruhigen, objektiven Erklärung der Heiligen Schrift, die ja die gemeinsame Grundlage beider Bekenntnisse bildet. Daß sich aus diesen Gesprächen, die hier in unserem Vaterland schon seit längerer Zeit mit gutem Erfolg gepflegt werden, vieles ergibt, was für die Verständigung unerläßlich ist, zeigt die Erfahrung.“ Kardinal Bea hofft im Verfolg solcher Gespräche auch auf eine Klärung dessen, was in der theologischen Aussage wirklich Glaubenssubstanz und was nur zeitphilosophischer Ausdruck ist.

Mit Freude wies der Kardinal auf das Dokument der theologischen Sektion des Weltrates der Kirchen hin: „Wir glauben, daß die Einheit, die zugleich Gottes Wille und Seine Gabe an Seine Kirche ist, sichtbar gemacht wird, indem alle an jedem Ort, die in Jesus Christus getauft sind und Ihn als Herrn und Heiland bekennen, durch den Heiligen Geist in eine völlig verpflichtende Gemeinschaft geführt werden, die sich zu dem einen apostolischen Glauben bekennt, das eine Evangelium verkündigt, das eine Brot bricht, sich in gemeinsamem Gebet vereint und ein gemeinsames Leben führt, das sich in Zeugnis und Dienst an alle wendet.“ Zum Schluß forderte Bea zu intensiver Zusammenarbeit im öffentlichen Leben auf: Caritas, soziale Fürsorge, Moral der Gesellschaft, Familie und Schule.

Ein Vorgeschmack dessen, was solche Zusammenarbeit der Christen bedeuten kann, zeigte sich auf dem Katholikentag. Wann immer in den Großveranstaltungen das brüderliche Verhältnis zu den Evangelischen angesprochen wurde, gab es starken und herzlichen Beifall. Bundespräsident L ü b k e, der als erstes Staatsoberhaupt an einem Katholikentag teilnahm, berichtete in seiner Rede im Niedersachsen-Stadion, wie sehr es ihn ergriffen habe, daß der evangelische Bischof von Berlin, Dr. D i b e-lius, am Abend des 13. August in einer Fürbittandacht ein Bittgebet der katholischen Gemeinde in Leipzig für die Einheit Deutschlands gesprochen habe. Das Bekenntnis zur Bruderschaft ist die Antwort der Christen äUf die gewaltsame Teilung des-Landes. Der evangelische Landesbischöf L i 1 j e veranstaltete an seinem Dienstsitz einen Empfang für Kardinal Bea, Nuntius B a f i 1 e, Erzbischof Jaeger, Bischof Janssen von Hildesheim, Katholikentagspräsident Bundesminister Lücke usw.

Es ist wahrlich ein gutes Zeugnis für diesen 79. Deutschen Katholikentag, daß im Bericht die Macht des religiösen und kirchlichen Geschehens vorangestellt werden muß. Das Verständnis zwischen den Konfessionen bedeutet — das kam immer wieder zum Ausdruck — eine machtvolle Stärkung der Aufgaben, die den Kirchen in der Gesellschaft und in der geschichtlichen Situation des deutschen Volkes gestellt sind. Die s o-z i a 1 e Diskussion, die früher manchmal den Hauptteil der Versammlungen in Anspruch nahm, geschah im Rahmen einer „Delegiertenversammlung der Verbände“. Das war für die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg neu. Der Generalsekretär des Zentralkomitees, Heinrich K ö p p 1 e r, untersuchte im Einleitungsreferat „Standort und Aufgabe der katholischen Verbände“. Nach 1945 sei die öffentliche Meinung in der Kirche den Verbänden mit einer merkwürdigen Unsicherheit, ja sogar Ablehnung begegnet. Das sei nicht nur auf die allgemeine Organisationsmüdigkeit zurückzuführen. Manche wollten einfach die in der Zeit der Unterdrückung des NS-Staates in innerste kirchliche Bereiche zurückgezogene Arbeit „nun freiwillig in dieser Beschränkung fortsetzen“, also aus der Not eine Tugend machen. Es habe fast zum guten Ton gehört, gegen die angebliche Macht der Verbandszentralen und ihrer „Verbandspäpste“ zu polemisieren. Fast schien es, der sichere Blick, mit dem die deutschen Katholiken früher gesellschaftliche Zustände analysiert hätten, sei verlorengegangen. Diese Zeit der Unsicherheit und des Zweifels ist vorbei: „Die katholischen Verbände sind wieder erstarkt, und sie erfahren auch von jenen wieder Anerkennung und Unterstützung, die sie darum vor

Jahren noch vergeblich angegangen hatten. Die Einsicht, daß starke und lebendige Organisationen nicht nur für eine lebensnahe Seelsorge sehr wünschenswert, sondern für die Wirksamkeit der Kirche in einer demokratischen Gesellschaft geradezu unentbehrlich sind, scheint sich wieder durchzusetzen. Daß katholische Verbände eine überlebte Form des vorigen Jahrhunderts seien, wird eigentlich nur noch von einigen Literaten und Theoretikern behauptet.“ Zu dieser Analyse der gesellschaftlichen Situation des deutschen Katholizismus gab Prof. Dr. Gustav G u n d 1 a c h das gesellschaftsphilosophische Konzept. Er ging von der dogmatischen Grundlage aus, daß der in der Kirche „fortlebende Christus“ (Kirche als „Lebensprinzip der menschlichen Gesellschaft“) von den Christen fordert, daß sie sich zur Hilfe an den Ordnungsstrukturen der Gesellschaft verpflichtet fühlen. Geistvoll vollzog Gundlach die Auseinandersetzung mit dem heute so vielberufenen Humanismus. Der Kirche kommt dabei eine „positive, assistierende Ausrichtung“ zu. Die Mithilfe wird sich darauf erstrecken, das „Zueinander“ und „Gegenüber“ in der menschlichen Gesellschaft auf den personalen Kern des menschlichen Geistwesens zurückzuführen. Das moderne „Humanuni“ ist krank. Deshalb können wir nicht bei „vorletzten Begründungen“ stehenbleiben, sondern müssen über das bloß Faktische hinaus zu letzten Begründungen schreiten.

Mit einer umfassenden Entschließung zu gesellschaftlichen und kulturellen Fragen bekundeten die Verbände ihren Willen zur sozialen Tat.

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