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Good bye, Nixon!

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Der Temperamentsausbruch, mit dem Richard Milhous Nixon seinen Abschied aus dem politischen Leben beschloß, hat sein in der Gunst des Volkes schwankendes Bild endgültig gestürzt. Amerikaner erwarten von ihren Politikern, daß sie mit Würde verlieren können. Man verglich Nixons wehleidigen Zornesausbruch mit Adlai Stevensons philosophischer Erklärung, nachdem er zum zweitenmal die Präsidentschaft nicht erringen konnte: „Ich bin zu alt, um zu weinen, und zu jung, um zu lachen.“ Dabei beweist das Volk einen gesunden Instinkt, denn wer nicht stark genug ist, um Schicksalsschläge mit Gleichmut zu ertragen, ist den Aufgaben der Präsidentschaft nicht gewachsen.

Allerdings, wenn je ein Kandidat für ein öffentliches Amt Grund zu einem Gefühl bodenloser Enttäuschung hatte, war es Nixon. Niemand anderem war die Präsidentschaft so nahe und doch so fern wie ihm. Einmal trennten ihn nur die schwachen Herzschläge eines Schwerkranken, ein andermal fehlte ihm weniger als ein halbes Prozent der Wahlstimmen.

Nach dieser Niederlage wurde er Teilhaber in einer führenden Anwaltsfirma. Dies ermöglichte es ihm, sich in dem Goldfischteich der Millionäre, dem kalifornischen Ort Beverly Hills, ein Haus für 150.000 Dollar zu bauen, obwohl er, wie er sagte, Washington nur mit einem alten Auto und einer Hypothek auf seinem früheren Haus verlassen hatte. Trotzdem wollte Nixon lieber ein armer Präsident als ein reicher Anwalt werden. Er mußte sich selbst, dem Volk und wahrscheinlich nicht zuletzt seiner ehrgeizigen Frau beweisen, daß er das Zeug dazu hätte, ein großer Präsident zu werden.

Er hatte allen Grund, zu erwarten, daß er sich mit der Wahl zum Gouverneur Kaliforniens eine starke Ausgangsbasis für die Präsidentschaft schaffen konnte. Nur ein ganz verstockter Politiker konnte bezweifeln, daß ein Mann von Nixons internationalem Renommee, der angeblich Chruschtschow in seiner eigenen Küche dialektisch bezwungen hatte, in seinem Heimatstaat mit einem zwar wohlmeinenden, aber tolpatschigen Gouverneur fertig werden würde.

Die Verwaltung des Gouverneurs Brown, der seinen ersten Amtstermin hinter sich hatte, hatte sich nicht durch Brillanz ausgezeichnet. Nixons Argument, daß der volkreichste Staat der Union — Kalifornien wird New York noch in diesem Jahr überflügeln -den besten Gouverneur, der gefunden werden kann, verdient, fiel daher auf fruchtbaren Boden. Es nützte Mister Brown auch nicht, daß er, obwohl humaner als sein Gegner — im Gegensatz zu den Anschauungen der Mehrheit nahm er gegen die Todesstrafe und gegen den Boxsport Stellung —. es nicht verstand, den Politiker in sich geschickt zu verbergen. Damit erweckte er gewissermaßen den Eindruck eines windigen Gesellen. Nixon dagegen gab sich den Anschein des prinzipienfesten Staatsmannes, was kein kleines Kunststück war, nachdem er in der Unbedenklichkeit seiner Mittel der Typus dessen ist, was man unter einem Politiker versteht. Er erweckte den Eindruck, daß man auf ihn wie auf einen Fels bauen konnte. Im Verlauf des Wahlkampfes zeigte sich allerdings, daß der Fels aus Kreide war.

Nachdem Nixon wieder von vorne anfangen mußte, kämpfte er, ebenso wie bei seinen beiden Wahlgängen zum Kongreß, wie ein blutrünstiger Tiger. Damals war er seinen Gegnern mit sicherem Griff an die Gurgel gesprungen. Als Vizepräsident hatte sich Nixon erfolgreich bemüht, seine rauhere Seite in Vergessenheit geraten zu lassen. Daß er die Erinnerung daran wieder wach werden ließ, schadete ihm wahrscheinlich mehr, als ihm der Elan seines Angriffes nützte.

Eine Fernsehdebatte zwischen den Rivalen für den Gouverneursposten leitete die Entscheidungsschlacht ein. Gouverneur Brown machte dabei den Eindruck, als ob er Ferdinand, der friedliche Stier, sei, worauf hin ihm niemand große Chancen gab, den hungrigen Tiger abschütteln zu können. Bis zur Kubakrise gewann Nixon ständig an Boden, obwohl sein Versuch, der Brown-Verwaltung Korruption nachzuweisen, erfolglos war. Ebensowenig Erfolg war seinen Bemühungen, Brown als weich gegenüber den Kommunisten hinzustellen, beschieden.

Nixon machte die Kubakrise für seine Niederlage verantwortlich, weil sie das Interesse des Publikums von dem kalifornischen Wahlkampf abgezogen hätte. Hauptsächlich scheint die Krise jedoch deswegen zu seinem Scheitern beigetragen zu haben, weil sie eine Versuchung mit sich brachte, der er nicht widerstehen konnte. Die Versuchung, zu beweisen, daß Kalifornien ihn nicht so sehr aus spezifisch regionalen, sondern aus internationalen Erfordernissen heraus brauchte. Dies war ein schwerer Fehler, nachdem es ihm mühselig gelungen war, einen Großteil der Wähler zu überzeugen, daß er seinen Amtstermin ausfüllen und nicht bereits 1964 nach dem Weißen Haus schielen würde.

Am Samstag vor den Wahlen belegte er fünf Stunden Fernsehzeit mit einem sogenannten Telethon. Bei einem solchen stellen die Zuschauer telephonische Fragen. Unbewegt, ungerührt, jede Emotion wegpoliert, glich er einem Schauspieler, der seine Vorstellung des perfekten Politikers vorspielt. Mit majestätischem Aplomb nahm er Huldigungen entgegen, wie: „Sie werden der größte Gouverneur sein, den Kalifornien je gehabt hat.“

Diese ungemilderte Ausstrahlung seines Egos kostete ihn viele Stimmen. Er brachte sie auch zwei Abende später nicht wieder ein, als er sich in einer rührseligen Familienszene den Fernsehkameras zu einem letzten Appell an die Wähler stellte. Das Publikum verschlingt zwar Shows, die seine Tränendrüsen anregen — soap operas genannt, weil sie von Seifenfabrikanten vertrieben werden —, am Vormittag. Am Abend will es aber amüsiert werden.

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