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Digital In Arbeit

Gott in Frankreich — heute

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In der Creuzze, einer rüden Gegend, einem harten Boden mit einer verlassenen Kirche, sucht ein junger Mann Arbeit. Ein Landarbeiter, der Hof um Hof besucht, um seine Dienste anzubieten, ist selten. Der Bauer mustert mißtrauisch den Fremden. „Kennen Sie die Landarbeit, das frühe Auf stehen; bedienen Sie einen Traktor und das Vieh? Sie sehen wie ein Stadtmensch aus.“

„Ich will arbeiten, das ist alles. Wer ich bin? Ein Landarbeiter ohne Besitz.“

Der Lohn wurde ausgehandelt. Er ist bescheiden genug.

„Und das Quartier?“

„Das besorge ich mir selber. Ich wohne im Pfarrhaus.“

Mißtrauischer geworden mustert der Bauer den eben angeworbenen Knecht.

„Das ist seit langem unbewohnt. Hier hält es kein Pfarrer aus. Wir sind nämlich antiklerikal“, betont der Bauer stolz.

„Das weiß ich, deswegen bin ich eben gekommen.“

Der Bauer, Priester oder Priesterbauer, nickte melancholisch. Er fühlte die Abwehr, die offene Feindschaft. Die Creuzze gilt als heidnisches Land. Ebenso gut hätte er in den Dschungeln in Südostasien das Evangelium verkünden können. Der Priester schuftet wie ein Landarbeiter. Er liest die Messe am Sonntag vor leeren Bänken. Niemand ladet ihn ein oder empfängt den Neuangekommenen. Der Bauer ist mit der Arbeit zufrieden. Aber es dauert Monate, bis ein Gespräch zustandekommt, eine erste Auseinandersetzung zwischen zwei Männern. Der eine will die Liebe verkünden, das Wort Gottes, der andere versinkt in Gleichgültigkeit; verärgert, ja sogar haßerfüllt denkt er an seine zahlreichen Forderungen. Der Staat ist kaum bereit, die Leistungen der Landwirtschaft zu honorieren. Große Versprechungen von einem gemeinsamen Markt tauchen auf, aber die Schwierigkeiten bestehen weiter. Elegante Minister diskutieren endlos in Brüssel und verwenden Worte, die niemand begreift. Die Einkünfte bleiben gering. Sie verringern sich. Die Kinder wandern ab. Niemand ist bereit, den Hof zu übernehmen. Was will dieser Geistliche in unserem Ort?

Aus der Abstumpfung gerüttelt

Die Masse der französischen Bauern verharrt passiv. Die Aussprache zwischen Alten und Jungen ist schwierig. Der fortschrittliche Teil der französischen Bauernschaft kommt zum überwiegenden Teil aus der katholischen Jugendbewegung, der früheren JAC, jetzt MRJC (Mouvement Rural de la Jeunesse Chre- tienne). Keine Bewegung zog die französische Bauernschaft so an wie diese Organisation, die seit 1929 den aktivsten Teil der Landjugend erfaßte.

Wie schlecht ernährt Landwirtschaft die Jugend! Die Abwechslungen sind selten. Der Zugang zu den allgemeinen Gütern der Kultur scheint versperrt. Freilich schenkt man der fachlichen Ausbildung große Aufmerksamkeit. Die Bedingungen des modernen Lebens, die unzähligen Bedürfnisse des Landes finden ihre Berücksichtigung in den sogenannten „Familienhöfen“. Dort wird durch eine Woche die Technik der Landwirtschaft unterrichtet und werden Fragen allgemeiner Natur eingehend erörtert. Weitere drei Wochen verbringen die Jungbauem mit praktischer Arbeit und bemerken eine enge Beziehung zwischen Theorie und Praxis. Diese Kurse werden von den offiziellen Landwirtschaftskammern geleitet. Aber diese wären ohne Leben, wenn die christliche Bewegung der Landwirtschaft, die zahlenmäßig größte unter den spezialisierten Organisationen der katholischen Aktion, als Motor versagen würde. Die Zahl der Anhänger der katholischen Bauernbewegung ist schwer anzugeben; eine eigentliche Mitgliedschaft wurde vermieden. Die Bewegung verzichtet auf regelmäßige Mitgliedsbeiträge, was zu finanziellen Schwierigkeiten für die Zentrale führt, da zahlreiche Angestellte der Organisation zur Verfügung stehen. Die einzelnen Diözesen erstellen ein Budget, das aus Spenden oder Verkäufen von Gegenständen stammt, von den bäuerlichen Mitgliedern angefertigt. Fixe Einnahmen erbringt eine umfangreiche Presse, der durchaus der Titel Massenpresse zusteht. Diese Einkünfte gestatten es der Bewegung, in finanzieller Hinsicht ihren Aufgaben beinahe gerecht zu werden.

Von Tür zu Tür

Die einzelnen Sektionen verfügen über eigene Zeitschriften, die von einer dreimonatlichen abgezogenen Ausgabe bis zum Druck auf Glanzpapier reichen. Das Hauptaugenmerk des Vertriebes liegt auf der illustrierten monatlichen Zeitschrift „Clair foyer“ mit der beachtlichen Auflage von 450.000 Exemplaren.

Der christliche Charakter der Zeitschrift tritt eher in den Hintergrund. Es ist vorgesehen, daß „Clair foyer“ alle ländlichen Familien erreicht, und deswegen werden in sehr rücksichtsvoller und dezenter Form die Forderungen des Christentums vorgetragen. Die Zeitschrift wird von Tür zu Tür durch eigene Vertriebsgruppen verkauft, die vollkommen kostenlos diese Arbeit übernehmen. Für den gläubigen Christen dagegen steht die Zeitschrift „Der Christ heute“ zur Verfügung. Darüber hinaus erfährt der Bauer in der Wochenzeitung „Agrar 7 jours“ die moderne Technik der Landwirtschaft, wird über einschlägige Gesetze informiert und studiert die nationalen und internationalen Fragen der Landwirtschaft.

Die bäuerliche Welt Frankreichs untersteht einer eigenartigen Entwicklung. Während weite Regionen des Landes bereits dem Heidentum verfallen, in diesem Zustand verharren, besteht die Gefahr, daß sie die Kernländer ' des Katholizismus anfaulen und mit ihrem Vorbild anstecken. Die Beziehungen Stadt- Land-Industrie unterliegen wesentlichen Veränderungen. Die Bauern gelangten zu spät zum Bewußtsein ihrer Bedeutung in Staat und Wirtschaft. Sie ringen um eine Orientierung, die in die Zukunft weist. Die Männer und Frauen der christlichen Bauernbewegung überwinden mit beachtlicher Ausdauer dieses pessimistische und mittelmäßige Denken. Langsam, aber sicher dringt ein neuer Glaube in die Höfe und Dörfer. Unter ungeheuren Opfern und Mühen gelang es der Bewegung, den französischen Bauernstand zumindest teilweise aufzurütteln. Die Bedeutung der Bewegung liegt in der Entdeckung des bäuerlichen Menschen, in der Bildung echter Gemeinschaften und in der Beziehung zu den wesentlichen Werten eines zukunftsträchtigen Bauernstandes. Seid gegrüßt, ihr Männer der katholischen Bauernbewegung; euer Handdruck beim Abschied war fest, aufrichtig und ehrlich.

Die Revolte der Studenten

„Kommt, mich zu sehen; meine Türe ist stets geöffnet, und besser wiegt ein Gespräch der Freundschaft als die sterile Polemik.“ So ruft Monsignore Veuillot den einstigen Leitern der JEC (katholischen Studentenbewegung) zu, die in einem ungewöhnlichen öffentlichen Brief ihr Schweigen brachen und Aufklärung über die Vorgänge erbaten, welche die Studentenbewegung der Katholischen Aktion im vergangenen Jahr auf das schwerste erschütterten. Ob sie Simonnet hießen, früherer Minister, oder maßgebende Persönlichkeiten des MRP waren, bekannte Professoren, hohe Staatswürdenträger, sie hatten in den Jahren 1940 bis 1962 die studentische Bewegung geleitet, sie aufgebaut und entscheidende Impulse für ihr geistiges und berufliches Fortkommen empfangen.

Am 6. April definierten 67 verantwortliche Leiter der christlichen Studentenbewegung ihre Positionen. Sie wichen personellen Diskussionen aus, fragten nach einer Richtung, die alle christlichen Studenten suchen. Die bisherigen Leitsätze wurden als ungenügend bezeichnet. „Die allge meinen katholischen Zentren verlieren jeden Kontakt mit der studentischen Jugend“, klagten die Sekretäre. Der Student zeigt an den kirchlichen Einrichtungen ein immer geringer werdendes Interesse. „Wo ist ein christliches Leben, eine Entwicklung der Kirche im studentischen Sektor? Die Kirche weigert sich, die

Ansprüche der Studentenschaft ernstzunehmen.“ Dadurch drängt sie die christliche Jugend in eine Position des Abwartens.

Es begann bereits im April 1964 in Dijon, wo der Rat der JEC einen Bericht annahm, der besonderes Gewicht auf praktische Aktionen legte, den bisherigen Rahmen erweiterte und alle Aspekte des studentischen Lebens einschloß.

Zwei stehen gegenüber

Im Juli 1964 verlangte die Bischofskonferenz den Rücktritt Henry Nollets, des Generalsekretärs der JEC, um die weiteren Absprachen zwischen den Bischöfen und der Bewegung zu erleichtern. Gleichzeitig forderten die Bischöfe die JEC auf, einen umfassenden Bericht über den Zustand des Glaubens und Unglaubens im studentischen Milieu auszuarbeiten und Vorschläge zu erstatten, die eine Rechristianisierung der Universitäten erleichtern. Dieser Bericht stieß in seiner doktrinären Orientierung auf Bedenken. Am 20. und 21. März 1965 fand eine Arbeitstagung zwischen den Sekretären der JEC, der JECF statt, um Klarheit über die Grundlagen der Bewegung herauszustellen.

Zwei Standpunkte standen einander deutlich gegenüber. In der darauffolgenden Abstimmung erlangte die „politisierende“ Richtung die Mehrheit. Die Seelsorger der JEC reichten sofort ihre Demission ein, da der Charakter der Bewegung eine grundlegende Änderung erfahre. Der Episkopat wurde von dieser neuen Ordnung peinlichst überrascht. Er entsandte Monsignore Veuillot und den Generalsekretär der Katholischen Aktion, Monsignore Streif.

Nach dramatischen Auseinandersetzungen wurde den bisherigen verantwortlichen Sekretären nahegelegt, zurückzutreten, und ein provisorisches Generalsekretariat eingesetzt. Die neue Führung erklärte ihre Bereitschaft, die Hinweise Monsignore Veuillots anzuerkennen. Demnach ist die JEC ausschließlich ein Teil der Katholischen Aktion. Die organischen Bindungen zur Hierarchie werden ausdrücklich bestätigt. Die menschliche Solidarität allein sei ungenügend, sie bekräftige den Willen, unter den Studenten die Wort des Evangeliums zu verkünden.

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