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Gott in Frankreich — heute

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Die zahlreichen Passanten, die jeden Tag an einem mächtigen Gebäude in der Pariser Straße Cours Albert I Vorbeigehen, dürften kaum ahnen, daß sie vor der bedeutendsten Zentrale der katholischen Presse in Frankreich stehen. Noch weniger wird ihnen bewußt, daß hinter der nervösen Hast zahlreicher Redaktionen, die dieses Haus beherbergt, Mönche meditieren, beten und in ihren Zellen um Erkenntnis ringen:

Diese Mischung zwischen Kloster und Weltoffenheit ist in Frankreich häufig anzutreffen und charakterisiert die Aufgeschlossenheit, alle Erscheinungen der Gegenwart zu kennen. In endlosen Gängen werden die Druckfahnen weitergereicht und die letzte Hand an eine Tageszeitung gelegt, die in ihrer Struktur höchstens noch in Holland zu finden ist. Riesige Bibliotheken, Archive für Zeitungsausschnitte und Bilder, das Ticken der Fernschreiber: Das Kloster des 20. Jahrhunderts.

Die modernste Druckerei von Paris steht dtem Verlag zur Verfügung, eine seltene Erscheinung im französischen Zeitungswesen, da die meisten Publikationen den Lohndruck vorziehen.

50 Prozent aller katholischen Zeitungen und Zeitschriften Frankreichs entstehen in diesen Räumen. Zwei weitere Verlagsanstalten teilen sich zu je 25 den Rest. Mit gewissem Stolz betont der wirtschaftliche Direktor, daß hier die katholische Industrie der Masseninformation arbeitet. Von der spezialisierten Fachpresse, die archäologische und bibel- wissenschaftliche Themen untersucht — Professoren der jüdischen Universität in Jerusalem wie Gelehrte aus dem protestantischen Geistesleben zählen zu den Mitarbeitern — bis zu den letzten Tagesneuigkeiten werden Ereignisse, Erkenntnisse und Tatsachen registriert. Die Politik des Staates, die Wirtschaft, stehen zur Debatte und unter einer bestimmten Wertordnung werden die Zusammenhänge kommentiert.

Der Verlag tritt in der Form einer Aktiengesellschaft auf, die Anteile befinden sich zur Gänze in der Hand eines Ordens, der als aktiver, in der Welt stehender Organismus waltet. Ein südfranzösischer Adeliger, d’Alzon, begründete diese Gemeinschaft und trug seinen Mitbrüdern auf, dem katholischen Frankreich ein lebendiges und allgemein verständliches Sprachrohr zu schaffen.

Mit einer Auflage von 630.000 Exemplaren gehört der „Pilger“ zu den am meistverbreiteten Illustriertenzeitschriften Frankreichs. Er ist das wirtschaftliche Rückgrat der „guten Presse“, und ohne seine Verbreitung würden die übrigen, ambitionierten Veröffentlichungen bald verdorren. Die Jugendzeitungen in einer sehr modernen Form fanden ebenfalls großen Anklang bei den Vierzehn- bis Achtzehnjährigen. Die Zeitschriften „hello“ und „rally“ gewannen mehr Freunde als die mit unerhörtem Werbeaufwand vertriebenen Organe der Twens und Teenager.

Im Jahre 1883 erschien als Tageszeitung „La Croix“, die, bereits 1880 als Monatsblatt gegründet, als sechsgrößte Abendzeitung der französischen Presse gilt. Mit einer Auflage von 130.000 bis 145.000 leitet dieses Blatt zu einer Tradition, die erst in den Monaten nach dem Konzil neueste Akzente erhielt. Obwohl „La Croix“ mit 90 Prozent Abonnenten rechnet, nimmt sie ein jährliches Defizit von 200,000.000 alter Francs in Kauf.

„La Croix“ spricht das katholische Frankreich in der Gesamtheit an und vermeidet extreme Positionen. „Wir vertreten und verteidigen die Mitte, rufen zur persönlichen Verpflichtung auf. Aus der Fülle von Nachrichten bieten wir eine Auswahl, die es den Christen gestattet, eine eigene Meinung zu bilden.“ In der IV. Republik, als das MRP die christlichen Belange in der Politik zu vertreten glaubte, mußten größere Rücksichten genommen werden als unter dem jetzigen Regime, obwohl der Gaullismus die Redakteure vor neue Probleme stellt. Viele Katholiken anerkennen de Gaulle. Andere werden Anhänger von Lecanuet oder wünschen eine Regruppierung der Linken unter Mitterand oder Mendes-France. „Betrachten wir die Schulfrage. Die Katholiken im Osten des Landes sind Verteidiger der konfessionellen Schulen, der Süden bestreitet diese Institutionen. Eine einzige unvorsichtige Stellungnahme nach der einen oder anderen Seite erzeugt hunderte, ja tausende Leserbriefe. Die einen klagen an und wittern Verrat, andere Kritiker verurteilen die Unbeweglichkeit der Redaktion, die jedem Wagnis ausweicht und im Immobilismus versandet. Zahlreiche soziologische Gruppen verlangen Rücksicht.“

Während „La Croix“ früher die Begriffe: Ordnung, Eigentum, Vaterland pflegte und für die Armee eintrat, wechselte die Orientierung und heißt heute: Freiheit, Gerechtigkeit, Friede und Menschlichkeit. Wenn auch das Herz in der Mitte schlägt, die Blicke sind bereits leicht nach links gewandt, zu einer Richtung, wo die großen Diskussionen über die Zukunft des Katholizismus stattfinden. Eine der maßgebenden Persönlichkeiten der Zeitschrift umreißt die Position von „La Croix“: „Wir suchen keine einzelnen Bewegungen der katholischen Aktion zu stützen oder zu beleben. Im Wechselspiel der reformfreudigen und der retardierenden Elemente verfolgen wir die Werte, die eine Synthese zwischen scharf formulierten Meinungen zuläßt. Wir erkennen ein neues psycho-

logisches Klima, in dem die Kirche Frankreichs ihren Verantwortungen nachgeht und suchen gefühlsmäßig diese Atmosphäre zu erfassen. Dies liegt in der Linie einer Zeitung, welche die Menschenrechte in den dunkelsten Tagen des algerischen Krieges vertrat. Ein sehr beachtlicher Fortschritt, denn noch vor kurzer Zeit wurden die nationalen Interessen den christlichen gleichgesetzt. Selbstverständlich untersuchen wir parteipolitische Enunzia- tionen mit großer Vorsicht, was die heftige Kritik des fortschrittlichen Flügels einbringt.“ „La Croix“ schuf mit einer Sonntagsausgabe ein zusätzliches Mittel der Information, das mit 130.000 Auflage den Anforderungen der modernen Wochenzeitschrift entspricht.

Die „gute Presse“ verfügt über eine derart große Anzahl von Publikationen, daß es einer eingehenden

Arbeit bedürfte (zwei Doktordissertationen liegen bereits vor), um diese zu analysieren.

Dokumente für den Fachmann

Hervorgehoben seien noch die seit 1919 zweimal monatlich erscheinenden „Katholischen Dokumente“, unerläßlich für jeden Journalisten oder Forscher, der nationale oder internationale Informationen über die Kirche sammelt.

Aus diesen Dokumenten entsteht die Geschichte des französischen Katholizismus in seinen Höhen und Spannungen, und eine unmittelbare Aussagekraft beleuchtet Probleme verschiedenster Art. Im starken Umfang stehen Dokumente der ökumenischen Bewegung, des protestantischen Weltkirchenrates zur Verfügung. Ein ausgezeichnetes Register sichert das Finden der jeweiligen Quellen. Wer die französische Presse im allgemeinen näher kennenlernen will, ihre Auflageziffern, Besitzveränderungen, erhält die notwendige Auskunft in einer besonderen Publikation, bestimmt für die Zeitungs- wissenschaftler und Redakteure. In solcher Geschlossenheit erscheint kein anderer Hinweis über die Querverbindungen und die Horizonte der französischen Presse.

Der Verlag schuf ein modernes Monatsmagazin, das besonders gediegene Farbdrucke aufweist. Der Erfolg blieb dieser Veröffentlichung bisher versagt und hat die Erwartungen keineswegs erfüllt, obwohl eine Auflage von 150.000 die Selbstkosten deckt.

Das „Christliche Panorama“ leidet unter dem Übel aller katholischen Zeitungen und Zeitschriften, die im sehr bescheidenen Ausmaß mit Annoncen rechnen. Eine bessere Bearbeitung des Marktes, eine strengere Kommerzialisierung wird nicht zu umgehen sein.

„Wo ist die Zeit“, seufzt die frühere Sekretärin von „L’Aube“, die derzeit das Bildarchiv leitet, „als der Begründer von ,L’Aube“, Gay, sein Klavier verpfändete, um die rückständigen Löhne und Gehälter zu bezahlen?“

Das letzte Kind des Hauses, die Jugendzeitschrift „Formidable“, gewann schnell Boden, die in außergewöhnlich diskreter Form und in Zusammenarbeit mit einem neutralen Zeitungskonzern der Jugend christliches Gut vermittelt.

Die Verlagstätigkeit der „guten Presse“ beschränkt sich auf Zeitungen und Zeitschriften, während eine Tochtergesellschaft, „Sedin“, die Herausgabe der katholischen theologischen Werke übernahm.

Dieser Verlag begann mit der Herausgabe von Sachbüchern, während die umfangreiche Romanliteratur in den Häusern Seuil und Cerf beheimatet ist. Die katholischen Provinzzeitungen mit Ausnahme reiner Kirchenblätter gerieten in den Sog von Paris. Sie fusionieren mit dem größeren Haus und wurden durch regionale Ausgaben ersetzt. Mit der bedeutendsten französischen Provinz zeitung, „Quest-Franee“, bestehen freundschaftliche Austausche, die persönliche Bindungen verstärken. Aber die große Unruhe, die den französischen Katholizismus auszeichnet, dringt in die bisher behütete Festung der „guten Presse“ ein. Mönche und Laien versuchen zahlreiche Fragen zu klären, die mit einer Reform dieses Tempels der Tradition einsetzt. Genügt es, objektive Informationen weiterzuigeben, die Vorsicht zur Maxime zu erheben, oder verlangt der neue Geist auch veränderte Formen?

Der Bruderverlag

In der Untersuchung eines namhaften Pariser Werbebüros gelangt dieses zum Schluß, daß die illustrierte Zeitschrift „La France catho- lique Muštre“ als besonders wirksamer Werbeträger anzusehen sei.

In der Tat spricht dieses Wochenblatt mit einer Auflage von mehr als

500.0 den Kern der französischen Familien an. Diese Zeitschrift gibt der zweite große französische Presseverlag heraus, der als die Gruppe Malesherbes nach der Straße bezeichnet wird, in der Redaktion und Verwaltung sitzen.

Dieser Verlag entstand durch das Zusammenwirken dreier Persönlichkeiten: eines Priesters, des jetzigen Chefs des Hauses, eines überaus bekannten Publizisten, Hourdin, und einer Dame, Fräulein Sauvageon, die während eines Waldbrandes in Korsika vor einigen Jahren unter entsetzlichen Umständen ihr Leben verlor. Die Gruppe Malesherbes wird ausschließlich von Laien geleitet, obwohl das Denken der Dominikaner, die Art des Ordens, theologische und weltliche Probleme zu behandeln, ihren Niederschlag findet. Bis zur Krise innerhalb des Dominikanerordens waren Vertreter dieser Gemeinschaft in maßgebenden Positionen des Verlages zu finden. Aber sie zogen sich aus der Verantwortung zurück, als von den internationalen Oberen derartiges gefordert wurde.

Das Konzept des Verlages erscheint modern, aufgeschlossen und verpflichtend. Die Verantwortlichen suchen überall Menschen zu finden. Der Verkauf vor den Kirchen ist organisiert, erfolgt auch von Wohnung zu Wohnung, und neben den

120.0 Abonnenten dringt die Zeitschrift in Familien ein, die Glaubensdingen gleichgültig gegenüberstehen. Die eigentlichen Werte des Christentums, abseits der großen und kleinen Geschichte der Kirche, die wesentlichen Fragen des Apostolates, der Liturgiereform, finden fachkundige Darstellungen. Das Bestreben liegt auf dem Akzent, unter gewissen Gesichtspunkten die Gegenwart zu schildern, eine allgemeine und verständliche Sprache zu finden. Die Zeitschrift ist keiner politischen Partei verpflichtet, obwohl Herr Hourdin zeitweise dem Führungsgremium des MRP angehörte.

Die lebendige und illustrierte Reportage steht im Vordergrund, die Redakteure bereisen in beachtlicher Mobilität ganze Kontinente und sind in den Zentren des Vietnamkrieges ebenso zu treffen wie in den Luxusstraßen Rios und den Elendsvierteln von New York. Die objektive Information steht als Leitmotiv über einer Redaktion, die eine städtische Bevölkerung anspricht.

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