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Gott in Rußland

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Das Flugzeug der Aeroflot überquerte kurze Zeit nach dem Start Budapest, welches durch ein Loch in der Wolkendecke wie ein modernes Mosaik aussah. Stolz verkündete die Stewardeß in Russisch, Deutsch und Englisch, daß wir soeben die Hauptstadt der Volksrepublik Ungarn passiert hätten und eine Flughöhe von nahezu 9000 Meter einhalten. Viel später erst erfuhr ich, daß auch die verschiedenen Maschinen, welche auf der Linie Wien—Moskau verkehren, miteinander im sozialistischen Wettstreit liegen, genauso wie die Bedienungsstationen der einzelnen Etagen in den Hotels, welche wir siebzehn Tage lang bewohnten.

Als wir in Kiew während einer Zwischenlandung die erste Zoll- und Devisenkontrolle absolvierten, bemerkten wir zum erstenmal, daß man uns Kirchenleuten eingehenderes Interesse entgegenbrachte als den übrigen Mitreisenden, abgesehen von einem jungen Paar aus der BRD, welches zur chemischen Ausstellung fuhr und durch seine mitgebrachten Exponate in Gläsern die Zöllner vor Fragen stellte, die in ihren Bestimmungen augenscheinlich fehlten. In unserem Visum stand: „In Religionsangelegenheiten”, und daher bemühte sich denn auch ein Oberster der Zöllner um uns, fragte nach Büchern und Schriften religiösen Inhaltes, machte uns aufmerksam, daß wir auch ein goldenes Kreuz — so wir eines hätten — bei der Devisenkontrolle angeben müßten, und ebenfalls unseren Ehering, den fast alle von uns anzuführen vergessen hatten, unter der Rubrik „eingeführte Edelmetallwaren” einzuschreiben hätten. „Es sind alles Geistliche”, sagte er erklärend zu seinen Untergebenen, die dann auch sehr höflich waren und die für uns unlesbaren Formblätter ausbesserten. Leider gab es diese Blätter nur in Rumänisch, Lettisch, Estnisch, Grusinisch und in uns unbekannten Sprachen. Die deutschen schienen ausgegangen zu sein.

„Väterchen” Bischof

Als die Maschine sich auf den Flugplatz Sheremetyevo bei Moskau senkte, war es bereits Nacht: Der Flug gegen Osten hatte den Tag um zwei Stunden verkürzt. Wir wurden bereits erwartet, und es zeigte sich, daß unsere russischen Freunde für alles vorgesorgt hatten. Ab nun waren wir — was wir allerdings erst später beurteilen konnten — privilegierte Gäste nicht nur der russisch-orthodoxen Kirche, sondern eigentlich auch des sowjetischen Staates, wie uns der Stellvertretende Vorsitzende des Rates für kirchliche Angelegenheiten erklärte. Als ständige Begleiter erhielten wir einen Sachkenner der Orthodoxen Kirche, der selbst im Range eines Erzpriesters war und dazu noch einen staatlichen Dolmetscher aus irgendeiner Abteilung des Außenministeriums, Unser Besuch, der sich nach einem genau festgelegtem Plan abspielte bezog ganz selbstverständlich staatliche Hotels, Restaurants, Verkehrsmittel und sonstige Organisationer mit ein, so daß man daraus Schließer konnte, daß unsere Gastgeberin, die russisch-orthodoxe Kirche, die Freiheit hatte, selbstverständlich übei das alles zu verfügen. Allerdings muß man wissen, was unter dieser Freiheit in der UdSSR zu verstehen ist.

Als wir uns nach kurzer Erfrischung im Restaurant zum Abendessen trafen, war dieses bis auf unseren reservierten Tisch voll. Das ausgedehnte Lokal war vor lauter Rauch kaum übersehbar, auf einer Tanzfläche bewegten sich einige Paare nach einer sehr lautstarken Band, die ausgezeichnet wohl- bekannte Schlager spielte. Man konnte kaum sein eigenes Wort verstehen. Trotzdem nahmen wir in aller Feierlichkeit an dem geschmückten Tisch Platz und setzten uns, nachdem sich der russischorthodoxe Bischof ebenfalls niedergelassen hatte. Welch seltsames Bild! Der Bischof in seinem Priesterkleid in diesem Lokal, welches von „Weltlichkeit” nur so strotzte. Das Publikum nahm kaum von uns Kenntnis, obzwar nicht nur Ausländer, sondern auch Russen anwesend waren. Während wir still das Tischgebet sprachen und die russischen Geistlichen sich bekreuzigten, ertönte über drei Tische hinweg der Song vom „blueberry hill”.

Die einzigen beiden sichtbaren Reaktionen der Öffentlichkeit auf das Auftreten eines Geistlichen konnte ich bei einem alten Portier bemerken, der unseren igastgeben- den Bischof mit „Batjuschka” (Väterchen) anredete und ihm bereitwillig die Türe öffnete und auf einer Straße in Moskau, wo zwei junge Burschen, die anscheinend etwas zuviel getrunken hatten, das Priesterkleid mit unartikulierten Schimpfworten registrierten. Im übrigen hatte man den Eindruck, daß die Bevölkerung mit dem Problem Kirche dahingehend fertiggeworden ist, diese als eine Art Hobby gewisser Menschen anzusehen, für welches man zwar kein Verständnis aufbringen kann, aber es ebenso harmlos wie überflüssig findet.

Mission im Zwielicht

Von seitens des Staates sind der Kirche ganz bestimmte Grenzen gesetzt, sie darf nur das sein, was der Staat ihr nach ihrem Wesen als genuin zugesteht oder ihr nach seiner Meinung als zutreffende Aufgabe zuweist. Die Öffentlichkeit selbst ist ihr deshalb weithin verschlossen. Das, was in unserer Zeit als besonderer Auftrag allen Kirchen vor Augen steht, nämlich das Hineinwirken in die Welt unter Benützung sämtlicher Möglichkeiten der modernen Zivilisation und Technik, ist gerade dort unmöglich, es sei denn, daß dieses Wirken sich zufällig mit den Intentionen des sowjetischen Staates deckt. Der missionarische Auftrag der Kirche, von dem wir Christen des übrigen Europa heute so viel reden, geht daher in einer seltsam zwielichtigen Weise parallel mit politischen Zielsetzungen, aber nicht im eigenen Land, sondern dort, wo es sich um effektive Machtpositionen der UdSSR handelt.

Im eigenen Land ist zu einer direkten religiös-weltanschaulichen Beeinflussung der Bevölkerung durch die Orthodoxe Kirche kaum eine Möglichkeit gegeben, wenn man die Litui’gie oder die liturgischen Handlungen nicht dazurechnet. Die Predigt, die ja nicht nur Zuspruch des Evangeliums ist, sondern auch ein bestimmtes ethisches Verhalten zur Umwelt zu behandeln hat, ist selten und knapp. Wenn sie gehalten wird, wie wir zweimal bemerkt haben, dann bewegt sie sich entweder auf dem Boden des Humanismus oder des Nationalismus. Es ist selbstverständlich, daß dabei die offizielle, in der UdSSR gepflegte, ethische Grundkonzeption miteinfließt und nach unserem Geschmack und unserer Gewohnheit das Besondere des christlichen Ethos oft vermissen läßt. Frieden, Mitmenschlichkeit, Gemeinschaft und Fortschritt sind dabei die tragenden Begriffe.

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